"Turandot" in Bregenz.

Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Bregenz – Als Stefan Herheim 2012 an der Grazer Oper Giacomo Puccinis "Manon Lescaut" inszenierte, ließ er den Komponisten selbst darin auftreten und in die Handlung eingreifen. Die dortige Intendantin hieß damals Elisabeth Sobotka, die nun ihre erste Saison bei den Bregenzer Festspielen verantwortet.

Herheim führt heuer Regie in der Opernproduktion im Festspielhaus (Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen"). Auf der Seebühne taucht indessen just wieder die Figur Puccini auf, wenn auch hier der Regisseur ein anderer ist. Marco Arturo Marelli zeigt ihn vor Beginn der Oper in einer der Bühne vorgelagerten kleinen Kammer, wie er grübelnd am Pianino sitzt und dann versonnen der Melodie aus einer Spieluhr lauscht – ein Verweis auf die Quelle jener fernöstlichen Melodien, die Puccini im Haus eines Freundes kennenlernte und in seiner letzten, unvollendeten Oper dann auch verwendete.

Der Satz der drei Minister Ping, Pang und Pong, dass Turandot gar nicht existiere – den sie eigentlich äußern, um den fremden Prinzen Calaf von seinem lebensgefährlichen Liebeswahn abzubringen –, bekommt dadurch eine andere Bedeutung, dass dabei die Notenblätter auf dem Klavier durch die Luft flattern. Vor allem aber verwandelt sich Puccini in den Protagonisten – und umgekehrt –, sodass sich die Liebesmühen um das Werk mit der Liebe zur chinesischen Prinzessin ebenso vermengen wie mit der Liebe der Sklavin Liù zum Prinzen – einer typisch Puccini'schen Frauenfigur, die sich erst opfern muss, um das Herz Turandots aus seiner Starre zu lösen.

Erlösung als Traumbild

Weiter als bis zu Liùs Tod konnte der Komponist sein Stück nicht vollenden – nicht nur seiner Krankheit wegen, sondern womöglich auch, weil sich für ihn der dramaturgische Knoten auch unter anderen Umständen nicht ohne weiteres hätte lösen lassen. Marellis tiefenpsychologischen Ansatz analytisch aufzuschlüsseln ist jedoch komplizierter, als ihn einfach sehend wahrzunehmen. Die Vermischung der Ebenen leuchtet ein, gerade weil die Grenzen verschwimmen. Wer da nun im dritten Akt buchstäblich ans Bett gefesselt wird, muss gar nicht klar werden, um die Erlösung durch Turandots Kuss einerseits in Bezug auf Calaf und andererseits als Traumbild des Komponisten aufzufassen.

Gespielt wird die gängige Vervollständigung von Franco Alfano, allerdings in der – zumindest in Österreich – bislang nicht üblichen kompletten Fassung. Musikalisch ist sie weniger homogen als die noch auf die posthume Uraufführung zurückgehende Straffung, doch sie macht das Zueinanderfinden des Liebespaares dramaturgisch ungleich schlüssiger. Marelli scheut sich hier nicht vor dem Kitsch – und bietet auch ansonsten eine opulente Optik mit viel Show und Action, die jedoch in seinem mächtig breiten Bühnenbild mit Chinesischer Mauer und einem Heer von Kriegerstatuen fast nie das Übergewicht gewinnt. Nun, vielleicht mit Ausnahme der verschwenderisch-orgiastischen Wasserspiele im Schlussbild.

Musikalische Feinzeichnung

Technischer Aufwand und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Oper kollidieren auch musikalisch kaum (wie sich übrigens mehrfach via Fernsehen überprüfen lässt): Natürlich bedeutet jede Open-Air-Aufführung eine gewisse Vergröberung, doch ist vor allem der Eindruck von den Stimmen erstaunlich nahe an einer natürlichen Akustik. Der Klang wirkt nicht aufgeblasen, ein ausgeklügeltes System sorgt für ein recht realistisches Richtungshören. Problematisch wird das nur, wenn sich unverstärkter Gesang und der Sound aus den Lautsprechern zu einem hybriden Etwas überlagern, was sich je nach Sitzplatz und Windverhältnissen ändert.

Unter diesen Bedingungen – und vielleicht unter dem sanften Nieselregen – schien vor allem der Tenor von Riccardo Massi anfangs zu leiden, als er noch etwas verhalten und undeutlich wirkte. Seinen All-Time-Schlager "Nessun dorma" lieferte er jedoch mit Kraft und Glanz. Die exzentrische Dramatik der Turandot von Mlada Khudoley erscholl wohldosiert auf die Tribüne, wobei diese Figur vor allem dadurch gewann, dass ihre Verletzbarkeit nicht hinter dem üblichen Kostüm verschwand, sondern ein menschliches Gesicht erhielt. Guanqun Yu war hingegen eine in der Regie eher eindimensionale, stimmlich aber warm und satt leuchtende Liù.

Und wenn vorhin von akustischer Vergröberung die Rede war, gab es beim Orchester daneben auch das gegenteilige Phänomen, dass nämlich die Feinheiten der Partitur wie unter einem Brennspiegel zum Vorschein kamen. Denn Paolo Carignani sorgte mit den Wiener Symphonikern nicht nur für elastischen Fluss und brillanten Aplomb, sondern für eine Feinzeichnung, die jene der Regie mit Leichtigkeit überflügelte. (Daniel Ender, 23.7.2015)