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Kurzes Opernglück, bevor es auch in Erl ins Jenseits geht: Mona Somm (als Isolde) und Gianluca Zampieri (als Tristan).

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Intendant und Dirigent Gustav Kuhn.

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Erl – Wagner ruft, erstmals in diesem Festspielsommer. Schon im Zubringerbus nach Erl darf man Gesang genießen, aus dem Radio des Fahrers tönt dezent der Evergreen Everlasting Love, interpretiert von der Gruppe Love Affair. Eine immerwährende Liebesaffäre der tragischen Art gibt es auch im Festspielhaus zu bemitleiden: Die Tiroler Festspiele Erl bieten eine Wiederaufnahme von Tristan und Isolde als erste szenische Produktion dieses Sommers; musiktheatralische Kleinodien wie Der Ring der Nibelungen und Die Meistersinger sind ebenfalls zu erleben.

Die Aufführung im neuen Festspielhaus wie auch die Festspiele selbst leitet deren Gründervater Gustav Kuhn, ein Musiker mit wagnerianischem Selbst- und Sendungsbewusstsein. Der Bau des architektonisch und akustisch beeindruckenden Hauses wurde zum Großteil von Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner finanziert, Kuhns König Ludwig II. der geerdeten Art. 23.000 Wagnerianer und anderweitig Musikinteressierte fanden im letzten Sommer den Weg ins Unterinntal.

Bei der Oper und den Symphoniekonzerten betrug die Auslastung 95 Prozent, der Eigendeckungsgrad des Festivals scheint mit 15 Prozent noch ausbaufähig. Auch heuer wird ergänzend zur "schweren Muse" wieder ein bunt gewirktes Programm an Liederabenden, Solo- und Kammermusikkonzerten angeboten mit mitwirkenden Künstlern und Gruppen wie Vesselina Kassaorova, die Musicabanda Franui oder die volksmusiknahe Formation Alma.

Eigentlich wollte man im neuen Haus von Delugan Meissl ja eher Mozart und Belcanto spielen (was man in der Winterausgabe der Festspiele auch macht) und Wagner nur im Passionsspielhaus nebenan; aber man kann ja wohl mal eine Ausnahme machen. Die Tristan-Inszenierung wurde jedenfalls von drüben übernommen, und was das Bühnenbild von Ina Reuter anbelangt, so macht das ziemlich froh.

Der erste Aufzug bietet drei rohweiße Segel, drei fein geschwungene Holzbänke und reichlich Reling; alles atmet die gediegene Schlichtheit der Produktpalette eines Manufactum-Katalogs. Auch die Kostüme von Lenka Radecky weisen zurück in die Entstehungszeit der Oper: Tristan erinnert mit seinem Barett an den Komponisten der Oper, Brangäne an eine (fast allzu) noble Gouvernante. Einzig die Garderobe Isoldens, die hier an Wagners geliebte Mathilde Wesendonck erinnern soll, spielt fallweise ins Popprinzessinnenhafte.

Die Regie des Regietheaterkritikers Kuhn gelingt im ersten und dritten Aufzug passabel, im höchsten Liebestaumel des zweiten Aufzugs hat das holde Paar in Zeitlupe sowie oft 20 Meter voneinander entfernt Halbkreise abzuschreiten – bizarrer kann kein Regietheater dieser Welt sein. Kuhns Rudimentärregie passt durchaus zum mächtig-kargen Passionsspielhaus; im Festspielhaus sollte man sich jedoch langsam etwas Nuancierteres einfallen lassen.

Die kleinen Partien sind exzellent, die mittleren sehr gut und die großen durchwachsen besetzt: initiativkräftig-agil etwa Giorgio Valentas Junger Seemann, golden und klar Markus Herzogs Hirte. Deutlich und souverän Franz Hawlatas Marke, ganz kraftvoll-helle Männlichkeit Michael Mroseks Kurwenal, glänzend Hermine Haselböcks Brangäne. Mona Somms spielt eine stolze, impulsive, grenzherrische, Isolde; etwas zickig auch das nicht immer runde, ausgewogene Timbre ihres durchschlagskräftigen Soprans. Gianluca Zampieri präsentiert den Tristan als Wachsfigur und artikuliert den Text zahnlos; in der exponierten Lage ist da mehr heiseres Drücken und Schreien als Singen.

Die Klangbrandung

Freilich müssen die Sänger von Orchesterseite allzu oft gegen eine wahre Klangbrandung ansingen, von der sie verschluckt werden wie Heulbojen vom schäumenden Meer. Drängend, wuchtig, oft übermächtig flutet Kuhns Interpretation aus dem mit schwarzem Tuch bedeckten Orchestergraben; das Festspielorchester musiziert initiativkräftig und farbmächtig, wenn auch nicht ohne Fehl und Tadel. In den Pausen sind leich- te Abwanderungstendenzen des Publikums zu bemerken, die überwiegende Mehrheit feierte alle Künstler final frenetisch. (Stefan Ender, 13.7.2015)