Festspiele Erl: Zeitsprünge mit Wagner

(c) Tiroler Festspiele Erl/Xiomara Bender/APA
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„Die Meistersinger“ unter Gustav Kuhn mit dem prägnanten neuen Hans Sachs von Michael Kupfer-Radecky ernteten Standing Ovations im Passionsspielhaus.

Halskrausen in allen Größen und Formen, Schlapphüte, Krinolinen, Pluderhosen, Schamkapseln, Puffärmel und vor allem Tüll in Hülle und Fülle: Die alten Zöpfe sind abgeschnitten, aus luftig herbeizitierten, pittoresken Kleidungsrelikten von anno dazumal (Kostüme: Lenka Radecky) haben sich zuletzt die Solisten und auch der schallkräftige Chor endgültig herausgeschält: Mutig in die neuen Zeiten schreitet die Nürnberger Gesellschaft in Anzügen und Kleidern der Gegenwart – was als augenzwinkerndes Aperçu von Gustav Kuhns Regie selbst wieder konservativ aussieht. Die nochmals aufbrandenden, ihm geltenden „Heil!“-Rufe sind Hans Sachs dabei peinlich, er sucht sie vergeblich abzuwiegeln, entschuldigt sich schließlich mit einem gequälten Achselzucken beim Publikum.

Dessen anschließende Ovationen nahm Michael Kupfer-Radecky im Passionsspielhaus Erl freilich dankbar entgegen: Das Rollendebüt des 43-jährigen Deutschen gelang stimmlich eindrucksvoll und darstellerisch souverän. Kupfer-Radeckys Bariton ist gut durchgebildet, sonor, aber schlank – und: ja, die Partie noch mehr Volumen und satte Tiefe vertragen. Aber die Stimme trägt, er scheint sich in den speziellen Erler Passionsspielhaus-Verhältnissen (mit dem Orchester im Hintergrund der Bühne) nicht zu überanstrengen. Vor allem jedoch kann er den Charakter mit der Flexibilität und Wortdeutlichkeit eines Liedsängers plastisch und facettenreich formen. Ein trotz angegrauten Bartes noch junger Sachs steht auf der Bühne, dessen Augen beim Anblick Evchens begehrlich-verträumt werden und der ihre Hand lieber hinter seinem Rücken in jene Stolzings drückt. So grundsympathisch angelegt und gesungen, ist und bleibt Hans Sachs das unangefochtene Zentrum dieser Erler „Meistersinger“, die in Besetzungsdetails wie in der Gesamtwirkung den „Tristan“ des Vorabends mühelos in den Schatten stellten.

Pastose Größe – und ein Duell

Sogar Sachs' Interaktion mit Beckmesser erweckt nie den Anschein, der Schuster würde den selbstgerechten Stadtschreiber mit unlauteren Mitteln düpieren – und auch wenn James Roser es an klangvoller Prägnanz der Diktion nicht mit seinem Widerpart aufnehmen kann, weiß er ihm doch als Figur Paroli zu bieten: Nicht gefährlich, aber auch nicht bloß komisch, ist der Merker hier ein Vorzeigebürokrat mit Mascherl, strengem Seitenscheitel und (in den Jahren seit der Premiere schon wieder altertümlich gewordenem) Laptop.

Ja, ein Laptop: Kuhn lässt zwischen Zeitebenen wechseln, inszeniert die Versammlung im ersten Aufzug gleich als Aufsichtsratssitzung einer Art „Meistersinger AG“, die Michael Mrosek als Vorsitzender Kothner mit nicht ganz so pingelig ausformulierten Fiorituren leitet, wie es wünschenswert wäre. Dabei ziehen die teils gelangweilt in Boulevardblättern schmökernden Mitglieder ihre nach der Messe abgelegten Renaissancekostümchen erst wieder über, wenn sie sich symbolhaft gegen Stolzings Modernismen wappnen wollen. Ihn, den verbürgerlichten jungen Ritter, stellt Kuhn mit Zweireiher und Halstuch durchaus etwas schnöselig dar. Ferdinand von Bothmer, etwa aus der Wiener Volksoper bekannt, kann genügend tenorale Reserven mobilisieren und sogar eine aristokratische Aura sängerisch vermitteln. Schade freilich, dass er insgesamt über Gebühr blass und brav wirkt. Da hätte eine fesche und gut singende Eva wie Joo-Anne Bitter durchaus mehr Temperament und Spielfreude verdient. Dergleichen versammelt sich dafür im hervorragenden Iurie Ciobanu: ein lyrischer Tenor mit italienischem Schmelz, prägnanter Textbehandlung, differenziertem Gesang und für den David ideal sonnigem Spiel, das mit Anna Lucia Nardi als tadelloser Magdalene bestens harmoniert. Wirklich schwach freilich der vokal unausgereifte, auch äußerlich unglaubwürdig jung wirkende Pogner von Giovanni Battista Parodi – der einzige Ausfall unter den wackeren Meistersingern.

Verblüffend, was Bühnenbildner Jaafar Chalabi mit mobilen Sitzelementen auf der schmalen Spielfläche alles bauen, andeuten und erreichen kann – und überraschend, wie stark die Regie alle konkreten Schusterelemente auszublenden wagt, ohne Wesentliches wegzulassen: Da treten im „Duell“ des zweiten Aufzugs Beckmesser mit Harfenistin, Sachs aber mit einer Trommlerin auf. Als Dirigent weiß Kuhn sein Festspielorchester geschmeidiger als beim „Tristan“ auf pastose Größe und sonoren Fluss einzuschwören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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