Festspiele Erl: Wagner in den Tiroler Bergen

Tiroler Festspiele Erl - Oper Richard Wagner, Tristan und Isolde, Premiere 10.07.2015
Tiroler Festspiele Erl - Oper Richard Wagner, Tristan und Isolde, Premiere 10.07.2015Tiroler Festspiele Erl / APA-Fot
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"Tristan und Isolde", der erste Wagner im neuen Festspielhaus, mit unsichtbarem Orchester à la Bayreuth – und eher braven als glänzenden Sängern.

Der brillante Wiener Satiriker Daniel Spitzer berichtete einst von einem „Tag während der Bayreuther Schreckenszeit“ – also von den ersten Wagner-Festspielen 1876. Wenn er darin den Fachwerkbau auf dem Grünen Hügel die „Fabrik“ nannte, „in der die Melodie ohne Ende erzeugt wird“, dann begann das Passionsspielhaus Erl 122 Jahre später, seinem Publikum einen Blick in den Hochofen des Musikdramas zu gewähren, freilich mit umgekehrten Vorzeichen als in Bayreuth: Kommt dort der Klang aus dem uneinsehbaren, sogenannten mystischen Abgrund, wurde hier, ganz ähnlich wie bei einem transparenten Zifferblatt, das Orchester im Hintergrund als faszinierendes Räderwerk und Antrieb des Ganzen sichtbar. Die vergleichsweise geringen szenischen Möglichkeiten versuchte Spiritus Rector Gustav Kuhn als Dirigent und Regisseur in Personalunion durch Originalität in der Beschränkung auszugleichen. Er erzielte dadurch auch bei den „unbeschuhten Wagnerianern“ wachsenden Erfolg, wie Herbert Rosendorfer einmal die radikale Verehrerfraktion des Komponisten genannt hat, in deren Augen eine Regie schnell zum unerträglichen Auswuchs gerät.


Inversives Bayreuth. Dass die vornehmlich aus Kuhns Accademia di Montegral gespeisten Sänger nicht immer allerhöchsten Standards genügen konnten, verstand sich bei einigen der schwierigsten Partien des Repertoires gewissermaßen von selbst: Dem wachsenden Zuspruch tat das keinen Abbruch, kräftezehrende Publicity-Stunts wie der „Ring in 24 Stunden“ taten das Ihre, und neben Wagner gab es auch Strauss, Beethoven, schließlich sogar Puccini.

Was das „inverse Bayreuth“ mit dem prominent sichtbaren Orchester anlangt, markiert das 2012 mit Bartóks „Blaubart“ eröffnete, zusätzliche Festspielhaus auch eine Zeitenwende bei den Tiroler Festspielen Erl, die Kuhn und der Musiker Andreas Schett (bekannt durch seine Musicbanda Franui) gemeinsam gegründet haben und 1998 erstmals über die Bühne gingen ließen. Und das nicht nur deshalb, weil mit dem Neubau, in dem, Wagnerisch gesprochen, Kuhns kühnes Wähnen Frieden fand (seinem alten Freund und Festspielpräsidenten Hans-Peter Haselsteiner sei Dank), Erl rund um den Jahreswechsel inmitten wintersportlichem Hochbetrieb auch eine musikalische Nebensaison zwischen Weihnachten und Dreikönig zugewachsen ist. Dieses „Wintererl“ orientiert sich gern in Richtung Bach, Mozart oder gen Süden: Für 2015/16 sind inmitten diverser Konzerte auch Rossinis „Barbiere di Siviglia“ und Verdis „Nabucco“ angekündigt, und Kuhn wäre nicht Kuhn, würde er nicht noch zuvor am vierten Adventsonntag das komplette Weihnachtsoratorium spielen.

Nein, die Zeitenwende bricht auch dadurch an, dass das Erler Festspielhaus mit seiner außen wie innen eindrucksvollen Architektur sich stärker am oberfränkischen Original orientiert. Die amphitheatralisch ansteigenden Sitzreihen machten auf Spitzer einst „den unangenehmen Eindruck eines Concilssaales, in welchem die Vertreter der verschiedenen Wagner-Diöcesen saßen, um die Unfehlbarkeit des Meisters zu beschließen“. In Erl wurde nun anlässlich der ersten Wagner-Aufführung im neuen Haus noch einmal über die Fehlbarkeit der beteiligten Akustiker abgestimmt – mit wohlwollendem Ergebnis. Diffizil, aber steuerbar ist das Zusammenwirken aus einem an sich relativ halligen Bühnenraum und den Orchesterwogen aus dem Graben. Dieser ist mit 160 m enorm, aber auch sehr tief und zwar nicht mit einer hölzernen Muschel, aber mit einem blickdichten schwarzen Tuch überdeckt: Adieu, sichtbarer Klangkörper! Zieht man die Summe aus mehreren Ohrenzeugenberichten, scheint sich die beste Balance zu den Singstimmen auf den mittleren Rängen zu ergeben, während die Sänger von den Plätzen ganz unten und ganz oben einen schwereren Stand haben.

Leicht ist an „Tristan und Isolde“ ohnehin nichts. Und dass nun im Neubau eine der bekannt kargen Passionsspielhaus-Inszenierungen ohne grundlegende Adaption auf dem Programm steht, lastet bleiern auf dem Abend: Zu schematisch und steif wirkt im neuen Ambiente immer wieder das, was Kuhn seinen Protagonisten etwa im Liebesduett an Gängen abverlangt. Als Dirigent ist er dagegen sehr auf Fluss bedacht, lässt auch im Liebestod nicht die Zeit stillstehen, sondern eilt so zügig wie kaum jemand dem Ende zu: Das Orchester der Tiroler Festspiele Erl mit Mitgliedern aus 24 Nationen gibt sein Bestes, kann aber nicht jede Regung und Wendung mit schlackenlos formulierten, präzisen Seelentönen erfüllen.


Es fehlt das brodelnde Leben. Das etwas statische Bühnengeschehen zu brodelndem Leben zu erwecken schaffte auch die schätzenswerte Mona Somm als Isolde nicht: Freilich verfügt sie über alle nötigen Töne, sogar über jugendlich leuchtenden Klang und eine aparte Erscheinung, bleibt der Figur aber die psychologischen Schattierungen schuldig. Gianluca Zampieri müht sich daneben als Tristan meist unfokussiert und rau, hält aber immerhin ohne grobe Probleme durch – ein braver Handwerker in der Montur eines Künstlers, der äußerlich an Wagner selbst erinnert. Denn Lenka Radeckys Kostüme siedeln das Geschehen im 19. Jahrhundert an, bilden gleichsam Wagners Liebesaffäre mit Mathilde Wesendonck ab: Als gehörnter Gatte Otto/Marke trägt Franz Hawlata Hut und Mantel und salbadert mit unangenehm ölig-greller Tongebung, während Hermine Haselböck (Brangäne) zunächst eine auch stimmlich herb-exaltierte Gouvernante auf einem Dampfschiff mimt, bevor sie mit Isolde ein gefühlvolles Schwesternpaar à la Jane Austen formt. Michael Mrosek singt einen kernig-soliden Reisebegleiter Kurwenal, der schließlich, genau wie Tristan zuvor, von einem Schuss aus der Pistole des Melot (Wolfram Wittekind) niedergestreckt wird: viel Begeisterung.

Festspiele Erl

1998 begann alles mit dem „Rheingold“, nun laden die Tiroler Festspiele Erl rund um Gustav Kuhn als Dirigent und Regisseur bereits zu ihrer 18. Sommersaison. Im weiter genützten Passionsspielhaus und im 2012 eröffneten Festspielhaus stehen heuer noch „Tristan und Isolde“ (18. 7.), „Die Meistersinger von Nürnberg“ (19. 7., Matinee!) und zweimal der „Ring“ auf dem Programm (ab 23. und 30. 7.), aber auch Verdis Requiem (17. 7.), Liederabende von Vesselina Kasarova (16. 7.) und Francisco Araiza (22. 7.), Kammermusik, Konzerte mit der Musicbanda Franui und der Gruppe Alma u.v.m.

www.tiroler-festspiele.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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