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Bühne und Konzert Cecila Bartoli

Die Primadonna leidet in der Trainingshose

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Hier gilt es der Opernwahrheit nicht der Primadonnen-Eitelkeit: Cecila Bartolis radikale Iphigenie in Salzburg Hier gilt es der Opernwahrheit nicht der Primadonnen-Eitelkeit: Cecila Bartolis radikale Iphigenie in Salzburg
Hier gilt es der Opernwahrheit nicht der Primadonnen-Eitelkeit: Cecila Bartolis radikale Iphigenie in Salzburg
Quelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Der Krimkrieg in der Oper: Cecilia Bartoli singt und spielt in Salzburg Christoph Willibald Glucks „Iphigenie en Tauride“. Bei ihr wird die griechische Opferpriesterin zur aufwühlenden Zeitgenossin.

Es kracht, es donnert, es knallt. Doch hier rasen nicht nur die Streicher, jaulen die Holzbläser, knattern die Trompeten und scheppert das Gewitterblech im üblichen Ouvertüren-Unwetter, wie es für eine Oper gewordene griechische Tragödie gleich die richtige Stimmung schafft. Im Salzburger Haus für Mozart, wo Diego Fasolis und seine Luganeser I Barocchisti-Truppe im Graben mit jedem trennscharfen Ton klar machen, dass es an diesem Abend keinesfalls nur um Schönklang, dafür um ehrliche Emotionen geht, wird sofort deutlich: Unter die instrumental beschworenen Naturgewalten als Wut der Götter mischen sich weit schlimmere Klänge vom Band – Flugzeugmotoren, Gewehrsalven, Kampflärm.

Und damit ist klar, diese „Iphigenie en Tauride“ mit der Christoph Willibald Gluck 1779 in Paris den größten Triumph als Musiktheaterreformator feiern konnte, das ist keine ferne Geschichte um eine altmodische Heroine mit dysfunktionaler Familie auf einem Theaterpodest im gipsernen Griechenchiton, eine schöne Repertoire-Fremde, hauptsächlich von Musikwissenschaftlern im Archivstaub keusch geliebt. Da geht es um eine dramatisch packende Frau von heute. Denn das antike Tauris, mit dem Diana-Heiligtum, wo jeder Fremdling vom halbbarbarischen König Thoas der Göttin der Jagd (!) geopfert wird, ist ja nichts anderes als die vor zwei Jahren noch ukrainische, gegenwärtig russisch annektierte Krim. Und plötzlich ist das Schwarze Meer gar nicht mehr so weit weg. Weder auf dem Theater, noch in Wirklichkeit.

Auch der flache, meist in fieskaltes Neonlicht getauchte Einheitsraum von Christian Fenouillat hat weder Würde noch Größe. Ein kahle, heruntergekommene Mischung aus Bunker und Hinterbühne mit schmutzigen Kacheln und Betonwänden, eine ungemütliche Schutzhöhle mit ein paar eisernen Bettgestellen, Tischen und Stühlen. Abgeschlossen wird der von einem rostigen Eisernen Vorhang, der sich am Ende torartig hebt, um Diana (die herrlich angeödet tschilpende Rebeca Olvera) als goldiges Göttinnen-Idol eher beiläufig-pflichtschuldig das gute Ende herbei führen zu lassen, welches damals die Gattung noch strikt verlangte.

Kunstfertig lumpenhafte Kostüme

Hier besitzt niemand mehr etwas, das machen auch Agostino Cavalcas kunstfertig lumpenhafte Kostüme deutlich, – nur noch das nackte Leben. Das aber singt laut und gefühlsgeladen. Im fantastischen Chor des Radiotelevisione Swizzera, besonders in der prägnanten Riege der Frauen, von denen jede ihre eigene Priesterrebellin scheint, bis hin zu störrischen Anführerin, der als Tribut für Diana aus Mykene nach Tauris verbrachten Atridentochter Iphigenie, die sich schon in der ersten, erdig flackernden, ja beißenden Evokation als Cecilia Bartoli entpuppt.

Ungeschminkt und überzeugend: Cecilia Bartoli
Ungeschminkt und überzeugend: Cecilia Bartoli
Quelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Man kann diese Sängerin eigentlich nicht genug für ihre unbeirrte Konsequenz und ihr Qualitätsbewusstsein bewundern. Vom Koloraturschnuckel ist sie zum Mezzoweltstar gereift, hat ihr eigenes, meist sorgfältig ausgegrabenes und recherchiertes, oftmals herkömmliche Fachzwang-Schubladen missachtendes Repertoire gefunden, von ihr kontrollierte Produktionsmethoden und einen individuellen Tourneerhythmus geschaffen. Und ihr Salzburger Pfingstfestival, das sie jetzt im vierten Jahr leitet, ist nicht etwa ein Ort der (wohlverdienten) Primadonnen-Eitelkeit geworden, sie leistet sich hier den Luxus einer autarken Experimentalküche, in der eine sich immer mehr herausschälenden Bartoli-Künstlerfamilie jede Saison wunderbar thematisch abgeschmeckte Menus kocht. Und bei denen ausgerechnet die Chefin am wenigstens bella figura macht.

Immer steht freilich eine Frau im Mittelpunkt der geschickt variierten Motti. Nach dem mit ihr als pharaonischer Händel-Schlampe präsentierten Cleopatra-Mythos, folgte 2013 der Komplex „Opfer“, der vokal riskant, aber faszinierend in ihrer, einer römischen Neorealismo-Hausfrau ähnelnden Bellini-Norma gipfelte. Letztes Jahr huldigte Cecilia Bartoli dem ernsten wie dem heiteren Rossini, der sie als Buffa-Putze in „La Cenerentola“ noch einmal nostalgisch an die Anfänge ihrer Karriere führte. Diesmal tritt sie uns als gereifte Gluck-Tragödin mit allem Mut zur wahrhaften, jede melodische Phrase aus des Wortes Bedeutung gestaltender Hässlichkeit entgegen. Und nächstes Pfingsten, zum 50. Geburtstag, schenkt sie sich, eingewoben in das Thema „Romeo und Julia“ dirigiert von Gustavo Dudamel, die Maria in Leonard Bernsteins „West Side Story“!

Ein Wunder der Reduzierung

Sicher, „Orfeo ed Euridice“ ist Glucks schönstes und berühmtestes Werk, und die „Iphigenie auf Tauris“ ist seine beste Oper. Aber selten sieht man die musikalisch, szenisch und darstellerisch so ideal und konsequent wie jetzt in Salzburg – und auch nochmals bei den Sommerfestspielen. Alles ist hier reduziert, das Drama, die Musik (die selbst noch um die Ballette gekappt wurde), das Ariengerüst der Seria-Oper, das verkürzt und in szenische Strukturen integriert wurde, die Inszenierung. Und alle arbeiten sie hier mit einem Willen, mit einem Atem.

Cecilia Bartoli ist immer das Zentrum, ihre Iphigenie ist ein verlorenes Kind und eine Kämpferin, liebende Schwester, glühende Patriotin, verängstigte Frau. Sie duckt sich oft und macht sich doch vokal groß. Am Stärksten ist sie aber im intensiven, nie wohligen, verloren, ja verletzlich tönenden Piano. Die bannende Kraft des Leisen, die hat diese Ausnahmekünstlerin immer schon zu beschwören gewusst.

Es gibt wenig Überraschungen an diesem Abend, aber eine packende, von Diego Fasolis auch in den Pausen, Ausbrüchen und Instrumentalnummern gehaltene Spannung, die ihn – wie „Elektra“ oder „Salome“ nach kaum 105 Spielminuten seinem nur vermeintlich guten Ende zutreibt; das freilich lauter ausgelaugte, zerstörte, ausgebrannte Charaktere zurücklässt. Es ist eine Familienaffäre, das Stück, wie die Produktion. Moshe Leiser und Patrice Caurier, La Bartolis Hausregisseure, haben sich zweckdienlich klein gemacht und damit, wie die Ausstatter, allergrößte Wirkung erreicht.

Die Bartoli ruft die Götter

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Der Thoas des unauffälligen Michael Kraus ist ein ausgestopfter, bluffender, mafiotischer Bandenboss. Die sonst gerne homoerotisch ausgedeutete Freundschaft zwischen Orest und Pylades, die Iphigenie befreien sollen und doch fast selbst Oper werden, mutiert zwischen dem spillerigen Topi Lehtipuu (als zauderlichem Pylades) und dem kompakt-baritonkräftigen Christopher Maltman ebenfalls nur zur Zustandsbeschreibung isolierter Individuen. Erst als Orest in der berührenden Finalszene nackt auf einer Plastikplane geopfert werden soll, schiebt sich der tolle Singschauspieler Maltman wirklich in den Mittelpunkt. Und die Bartoli, die Pistole am Kopf des Bruders, den sie gerade erst erkannt hat, scheint gar irre zu werden an der Lage und Situation. Aus der Diana niemand wirklich erlöst. Sie alle haben ihr Schicksal weiter zu tragen.

Glühende Gefühle mir Schlachtmesser: Cecilia Bartoli und Christopher Maltman
Glühende Gefühle mir Schlachtmesser: Cecilia Bartoli und Christopher Maltman
Quelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Wie passiv, klassizistisch gelöster wirkt da hingegen die nur wenige Wochen vor der Gluck-Oper in Weimar uraufgeführte Schauspielfassung, die dann am nächsten Morgen, eingerichtet von Sven-Eric Bechtholf (auch Thoas), im Mozarteum zu erleben war. Fast abgeklärt, somnambul muten nach den Ausbrüchen der Oper die nüchterne Rezitation von Brigitte Hobmeier (zu sehr Iphigenien-Kind), Michael Rotschopf, Markus Bluhm und Hans-Michael Rehberg an.

Kokett koloraturglitzernd mit Spiegel

„So ruf ich alle Götter“, hat Cecilia Bartoli Goethe zitierend ihre diesmal mythologisch weitgefassten Pfingstfestspiele 2015 benannt. Und zu den Göttern zählten genauso die Waldgestalten, Feen, Elfen, Handwerker und Athener Liebende, wie sie der Opernregisseur und frühere Puppenspieler Hinrich Horstkotte für seinen „Sommernachtstraum“ am Salzburger Marionettentheater atmosphärisch und retro-originell inszeniert hat. Als Tanzpendant gastierte das Hamburger Ballett mit John Neumeiers bewährter Varianten des Shakespeare-Stücks im Großen Festspielhaus. Dort produzierten sich auch Anna Netrebko, Juan Diego Flórez und Andreas Scholl in einem Galaabenden mit ernsten und tragischen Mythologien von Dido und Aeneas, Orpheus über König Artus bis zur Schönen Helena à la Offenbach.

Es gab Götter auf der Kinoleinwand, Apollo und Ulisses in einem hinreißenden Händel-Konzert mit Philippe Jaroussky und Nathalie Stutzmann, antike Söhne und Väter im Liederabend von Christoph und Julien Prégardien – und schließlich noch einmal Cecilia Bartoli als Semele, die sich im Wunsch nach Unsterblichkeit an Jupiters Blitzen verbrennt. Zuvor aber in Händels Opern-Oratorium kokett mit einem Spiegel koloraturglitzert, jetzt nur noch Prinzessin, nicht mehr die verdreckte Priesterin vom Abend zuvor. Und während Charles Workman „Where’er you walk“ allerzärtlichst tenorschmeichelt und Birgit Remmerts empörter Alt zum Inbegriff von Junos Eifersucht sich verhärtet, möchten wir nur mit Semele von diesem Salzburger Musikpfingstfest singen: „Endless pleasure, endless love“.

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