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Richard Wagners "Siegfried" in Nürnberg
Apokalypse wow!

Der österreichische Regisseur Georg Schmiedleitner hat am Staatstheater Nürnberg Richard Wagners "Siegfried" auf die Bühne gebracht. Eine trashige Tragikomödie, die unter die Haut geht.

Von Jörn Florian Fuchs | 21.04.2015
    Das undatierte Probenfoto zeigt eine Szene aus der Oper «Siegfried» am Staatstheater Nürnberg (Bayern), die am 19.04.2015 Premiere feierte. Foto: Staatstheater Nürnberg/dpa (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur bei Nennung: «Foto: Staatstheater Nürnberg/dpa» - zu dpa: «Buh-Rufe für Nürnberger «Siegfried»: Hartz-IV in der Nibelungen-Welt» vom 20.04.2015)
    Szene aus der Oper "Siegfried" am Staatstheater Nürnberg. (Staatstheater Nürnberg / dpa)
    Das hat sich nicht einmal Frank Castorf in Bayreuth getraut. Einzugreifen in Wagners heilige Partitur! Und gleich mehrfach! Am Opernhaus Nürnberg wird der erste Aufzug des "Siegfried" immer wieder von leisem Surren oder ziemlich lautem Stöhnen 'bereichert'. Schuld ist eine Waschmaschine, in der Mime Massen von Kleidung zu reinigen versucht. Was auch dringend nötig ist, denn fast alle Figuren kommen in ziemlich schmuddeligem Proll-Look daher.
    Mime ist ein sehr unangenehmer Zeitgenosse, als Hausmann dazu ein echter Reinfall. Ziemlich ungelenk bereitet er Eierspeisen und manch anderes zu, während Siegfried mit einigen Freunden die Bude auf den Kopf stellt. Alle tragen Bärenmasken, sind vermutlich Teil einer Gang. Im Kühlschrank gibt es reichlich Alkohol, aber auch einen abgeschlagenen Kopf! Bei Wagner ist Siegfried ja ein eher dümmlicher Jüngling, Georg Schmiedleitner zeigt ihn als schlecht frisiertes Riesenbaby, das gern unerwartet gewalttätig wird. Vincent Wolfsteiner singt die kräftezehrende Partie mühelos, mit schönen Spitzentönen und angemessenem Metall-Timbre. Obergott Wotan, der in den vorigen "Ring"-Teilen einen Schrottplatz verwaltete, taucht nun als Penner mit Rollwägelchen auf. Brillant wie Antonio Yang Mime Fangfragen stellt oder Siegfrieds Suche nach Brünnhilde Einhalt gebieten will - vokal passt da alles.
    Szenisch freilich bleibt dieser Wotan eine Lachnummer, vor der sich niemand fürchtet. Genau dies passt wiederum ins Konzept. Nicht nur von Martin Winklers vokal wuchtigem Alberich ist der herum-wandernde Gott wahrhaftig angepisst. Dass der Schwarzalbe sein Gemächt herausholt und auf den Ex-Mächtigen uriniert, sorgte freilich bei großen Teilen des Publikums für Unruhe. Der zweite Aufzug spielt in einem heruntergekommenen Nirgendwo, vielleicht am Rande einer verfallenen Autobahn. Rechts steht eine verrostete Metallrutsche. Zum Kampf mit Fafner rotiert der Bühnenboden heftig, doch der reale Drache entpuppt sich als eher harmloses Wesen, das sich nur schwerfällig bewegt und leichtes Opfer für Siegfried ist. Dieser kommt immer mehr in Fahrt, leckt Blut und sticht kurz darauf seinen Ziehvater Mime mit sichtlichem Spaß ab.
    Schmiedleitner zeigt die pure Parodie
    Nun geht es auf zu neuen Ufern. Auf dem Flammenfelsen liegt Brünnhilde, so sagt es das Waldvöglein, eine groteske Figur in halbtransparentem, schwarzen Kleid, umgeben von knallbunten Luftballons. Zu den von Marcus Bosch ungemein geschmeidig gestalteten Erweckungsklängen im dritten Aufzug rekelt sich Brünnhilde erst mühsam, dann lustvoll. Rachael Tovey spielt und singt diese Walküre sehr wendig. Und nun beginnt ein rund siebzigminütiges Comedyprogramm. Statt hehrer Gefühle und großem Schmelz zeigt Schmiedleitner die pure Parodie. Ein sichtlich voneinander genervtes Paar sitzt bald auf einer billigen Couch und glotzt in einen Flachbildfernseher. Mit Schwert Nothung öffnet Siegfried Bierflaschen, dazu werden reichlich Chips gefressen. Genau wie Frank Castorf konterkariert Schmiedleitner Wagners breit gepinselte Klanggemälde durch Brachialhumor. Zum Finale sieht man unzählige Hochzeitsgeschenke nebst dem Waldvöglein als skeletthafter Todesbotin. Das darauf folgende Buhgewitter zog vom Zuschauerraum weiter zur Premierenfeier und entlud sich dort noch mehrfach und sehr heftig.
    Tatsächlich tischt uns die Regie immer wieder starken Tobak auf. Dennoch erzeugt der Abend einen Strudel abgründiger Konsequenz, als Gegenentwurf zum oft erlebten Pathostheater. Neben allem Ironischen und gezielt Banalen gibt es außerdem einen glasklar durchgezogenen Handlungsstrang, der von Machtverlust und dem Kampf jeder einzelnen Figur ums eigene Überleben erzählt. Auch dank des kraftvollen Dirigats von Marcus Bosch geht dieser "Siegfried" unter die Haut.