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La Juive (Die Jüdin)

Oper in vier Akten
Libretto von Eugene Scribe
Musik von Fromental Halévy


In französischer Sprache mit flämischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere an der Vlaamse Opera in Gent am 14. April 2015


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Vlaamse Opera
(Homepage)
Die Jüdin aus Reihe sechs

Von Joachim Lange / Fotos von Annemie Augustijns


Dass die Flämische Oper Fromental Halévys Jüdin aus dem Jahre 1835 in ihr Programm nimmt, ist ein Verdienst um die Pflege des unterbewerteten Genres Grand Opéra. Es ist hier aber auch ein Politikum. Die jüdischen Gemeinden in Antwerpen und in Gent, wo die erfolgreiche Zweistädteoper abwechselnd mit ihren Premieren herauskommt, sind wachsendem Antisemitismus ausgesetzt und das Wahnsinnsattentat von Brüssel sitzt allen noch in den Gliedern. So wird die Sorge um die Sicherheit diesmal schon vor der Oper demonstriert. Deutlich sichtbar mit bewaffneten Beamten, aber auch unsichtbar backstage.

Vergrößerung in neuem Fenster Gerade haben die Christen den Juden zu Boden geworfen, da gehen sie auf Geheiß des Kardinals auf die Knie

Intendant Aviel Cahn hat heuer zu einer zweitätigen Konferenz über das "Judentum in der Musik" eingeladen, bei der die Europäische Musiktheater Akademie (Wien) zu den Mitveranstaltern und sowohl der Wiener Staatsoperndirektor Dominique Meyer, als auch sein Vorgänger Ioan Holender zu den Teilnehmern zählen. Letzterer wird mit Neil Shicoff diskutieren. Jossi Wieler, Barrie Kosky und Peter Konwitschny sollen über ihre Erfahrungen mit den einschlägigen Stücken sprechen.

Shicoff hatte in Wien seinerzeit in der Jüdin als Eléazar triumphiert. Jetzt in Gent ist Roberto Sacca ein so ganz anderer Jude - sehr heutig, sehr wütend und kämpferisch. Doch er vermag es bei all seinem offen zur Schau gestellten vokalen Selbstbewusstsein in seiner großen Arie dem Publikum auch sehr nahe zu kommen. Vokal und rein physisch.

Vergrößerung in neuem Fenster

Bei den Juden daheim sieht die Tafel aus wie das Abendmahl.

Im Mittelpunkt dieser Geschichte aus dem Konstanz von 1414 steht Rachel, die als Jüdin aufgewachsene Christin, die sich verbotenerweise in einen Christen verliebt. Als der Scheiterhaufen brennt, enthüllt ihr Ziehvater Eléazar dem Kardinal, dass der gerade seine eigene, tot geglaubte Tochter ins Feuer geschickt hat.

Regietheatermatador Peter Konwitschny (70), der in der DDR zu einem der aufregendsten Regisseur reifte und dann vor allem in Graz und Hamburg Maßstäbe setzende Inszenierungen ablieferte, ist nach seinem gescheiterten Leipziger Intermezzo als Chefregisseur längst wieder zu alter Hochform aufgelaufen. Natürlich zieht er all' die Register, mit denen er u.a. bei seinem Wiener Don Carlo Furore machte. Für die nüchterne Bühne beschränkt sich Ausstatter Johannes Leiacker auf fahrbare, selbstleuchtende Gittertürme und eine gewaltige Kirchenglasrosette im Hintergrund.

Vergrößerung in neuem Fenster Rachel zwischen ihrem Vater und ihrem Geliebten.

Konwitschny entlässt das Publikum aber nicht in die abgedunkelte Beschaulichkeit des Zuschauerraums, sondern rückt ihm auf die Pelle. Macht es zum Komplizen von Hohn und Spott. Und zum anteilnehmenden Nachbarn. Das funktioniert, weil sich bei ihm die Christen und die Juden durch nichts unterscheiden als die Farbe ihrer Hände. Bei den einen sind sie blau, bei den anderen gelb. Ansonsten lassen alle beim gleichen Schneider fertigen und tragen das Alltagsgrau genormter Anzüge. Es steht auch kein siebenarmiger Leuchter, sondern nur ein dreiarmige Allerweltskerzenständer bei den Juden daheim auf der Tafel, die eh wie ein Abendmahl aussieht. Da es Konwitschny meisterhaft gelingt, seine intensive Personenregie immer der Musik abzulauschen, trifft hier die angeschwipst in ihre Koloraturen torkelnde Prinzessin Eudoxie (garndios: Nicole Chevalier) natürlich auch die Kerze, auf die sie mit der Pistole schießt. Direkt und im übertragenen Sinne. Oder wenn Rachel mitten aus dem Zuschauerraum mit ihrem christlichen Verehrer Leopold (Randall Bills) um ihre Liebe kämpft, ist die in jeder Hinsicht fabelhafte Asmik Grigorian wirklich die Nachbarin aus Reihe 6.

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Verzweiflung pur: Rachel mit Sprengstoffgürtel

Konwitschnys Trick, dem Kampf der Fanatiker auf Leben und Tod so verblüffend nah zu kommen, besteht darin, dass er aus den Christen und Juden Menschen macht, die in den Mechanismen von Manipulation, Verachtung und Feindbilder befangen sind. Und zwar auf allen Seiten. Eléazar ist genauso intolerant, wie der Kardinal Brogni (Dmitry Ulyanov) um die Mäßigung seines Mobs bemüht ist.
Wenn Rachel offen gegen den Mob aufbegehrt, dann enthüllt sie eine Sprengstoffgürtel unter ihrem Mantel. Wenn der Chor darauf reagiert, dann artet das zu einer gemeinsamen Sprengstoffgürtelproduktion aus, bei der Hände in vielen Farben beteiligt sind. Ein beklemmendes "Fanatiker aller Länder vereinigt Euch!"

Wenn dann aber die beiden Frauen, die Leopold lieben, im Kerker beschließen, dass Rachel vor dem Tribunal alle "Schuld" am Bruch des Liebesverbotes über die Religionsgrenzen hinweg auf sich nimmt, um wenigstens ihn zu retten, dann entledigen sich beide ihrer verschiedenfarbigen Handschuhe und beginnen sich abzuklatschen, wie in einem unschuldigen Kinderspiel. Diese großen Bilder und kleinen Gesten einer Übersetzung ins Allgemeine machen den Abend zu großer Kunst, die genau ins Hier und Heute gehört. Besonders das erstklassige Ensemble, aber auch Tomás Netopil am Pult des Orchesters der Flämischen Oper sorgten dafür, dass der Abend zur packenden Szene auch die musikalische Schubkraft bekam.


FAZIT

In Gent ist Peter Konwitschny eine grandiose Inszenierung von Halevys La Juive gelungen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomas Netopil

Regie
Peter Konwitschny

Ausstattung
Johannes Leiacker

Licht
Manfred Voss

Chor
Jan Schweiger

Kostüme
Bettina Bartz
Luc Joosten



Koor Opera Vlaanderen

Symfonisch Orkest Opera Vlaanderen


Solisten

Rachel
Asmik Grigorian

Eléazar
Roberto Sacca

Kardinal Brogni
Dimitry Ulyanov

Leopold
Randall Bills

Prinzessin Eudoxie
Nicole Cheavalier

Ruggiero
Toby Gierling



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Vlaamse Opera



Da capo al Fine

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