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Langsam, aber sicher wird es eng um ihn. Noch merkt der Grabschdoktor nicht, dass ihn seine Gattin (Anett Fritsch als Contessa, li.) und Susanna (Emoke Barath, re.) in die Falle locken.

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Wien - Mitunter stellt sich Erleichterung schon deshalb ein, da Opernfiguren den zweiten Teil des Wörtchens "Musiktheater" gestisch ernst nehmen. Wenn sie also irgendwie lebensnah anmuten und nicht - wegen skulpturaler Immobilität - mit Teilen des Bühnenbildes verwechselt werden. In dieser Hinsicht bietet das Theater an der Wien oft Erleichterung. Und dies wiederum besonders dann, wenn aktuelle Staatsopernpremieren (Elektra) noch in den Knochen stecken. Insofern hat auch Felix Breisach bei Mozarts Figaro detailvoll-präzise Arbeit geleistet.

Allerdings hat der Regisseur für den räumlichen Rahmen des Machtspiels zwischen dem Grafen und Figaro ein heikles, aktuelles Milieu gewählt, das abendlang mit den heiteren Werkaspekten im Clinch liegt. Almaviva ist hier nicht nur der Arztdiktator eines Sanatoriums, in dem Menschen mit psychischen Problemen Linderung suchen. Er verordnet nicht nur Operntherapiesitzungen in einer drehbaren Box (Bühnenbild: Jens Kilian), die ein bisschen Freuds Analysezimmer nachempfunden ist. Er ist auch ein Missbrauchstyp, der Fäden zieht, bis ein Aufstand der Patienten ihn und die Verhältnisse zerzaust.

Die heiklen Themen

Wer durch - auch nur angedeutete - sexuelle Übergriffe den zu Heilenden weitere Traumata beschert, dem ist mit auch der Heiterkeit verpflichteten Opernmitteln jedoch wohl nicht mehr beizukommen. Wer es versucht, bagatellisiert Heikles und schafft weder Komödie noch psychologische Tiefenanalyse. Da spielt also der Oberarzt mit Barbarina Karten (vokal solide Gan-ya Ben-gur Akselrod), nur um ihr letztlich das Nachthemd zu öffnen und die (mit Drogenproblemen beladene) Wehrlose per Handy für sein "Begeilungsarchiv" abzulichten.

So jemandem später innerhalb eines konventionellen Beziehungsgeflechts authentische Gefühle gegenüber seiner Frau abzunehmen (die Gräfin ist hier vielleicht für die Finanzen zuständig und hat eine erotische Bindung an Cherubino), ist dann nicht mehr möglich. Da kann der Täterdoktor am Ende noch so drastisch entlarvt werden. Der Regie gerät die selbstgewählte, düstere Problematik zur allzu heißen Kartoffel.

So entstehen auch unlogische, lachhafte Szenen und verpuff vieles: Da wären die atmosphärischen Verdichtungen durch Lichteffekte und bewusstes Innehalten der Figuren, während Cherubino im Mittelpunkt steht (stimmlich blass Ingeborg Gillebo). Da wäre auch eine Art höfische Tanzszene, die ein "Jeder-mit-jedem-Spiel" traumwandlerisch zelebriert. Es bleibt aber bei delikaten poetisch überhöhten Momenten als Fremdkörper in einer selbstgebauten Regiefalle.

Auch vokal dominiert letztlich nicht sonderlich Abendfüllendes: Emöke Barath (als Susanna) und Alex Esposito (als Figaro) haben stimmlich wenig Strahlkraft anzubieten, während Anett Fritsch (als Gräfin) immerhin Volumen und Verve zeigt. Stephane Degout aber ist tatsächlich ein subtiler, schön klingender Almaviva/Chefgrabscher. Insgesamt dominiert aber Biederes, während Dirigent Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre verlässliche Impulsgeber waren - was klangliche Überraschungseffekte, dramatische Akzentuierung wie auch Rasanz der instrumentalen Linien anbelangt. Bei klangpoetischen Stellen herrschte anämischer Stillstand. Lob für alle. Nur die Regie wurde buhmäßig traumatisiert. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 13.4.2015)