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Es bedarf vereinter Kräfte, um den Senior zu bändigen: Andrè Schuen (als Figaro), Pietro Spagnoli (als Bartolo), Mari Eriksmoen (als Rosina) und Topi Lehtipuu (als Il Conte di Almaviva, v. li.).

Foto: APA, Herbert Neubauer

Wien - Juveniler Graf jagt junges Mädchen. Das klingt recht unkompliziert - wäre da nicht eine hartnäckige, natürlich verständliche Sehnsucht, die im spanischen Sevilla eine Respektsperson plagt: Mit der Vormundrolle mag sich Dottore Bartolo ja nicht abfinden; in seinem Kopf tobt ein Gewit- ter des Begehrens. Sein Mündel, die liebliche Rosina, die sich in der schmucken Häuslichkeit der 1940er-Jahre eingekerkert fühlt, wird für den graumelierten Herrn zur Projektionsfläche.

Er kann nicht anders. Bartolo sieht einen späten Frühling quasi in Streichelweite; Spazierrituale mit dem Hündchen im Park - solche Einsamkeitstherapien mögen Greisen Trost bieten. Aber nicht dem vitalen Bartolo!

Über diese rüstige Seniorenhürde muss er also drüberkommen, der Graf Almaviva: Als Student verkleidet, trällert er denn auch sein Ständchen unterm Balkon des Mädchens. Als Soldat begehrt er Einlass in Bartolos Domizil. Und als falscher Musiklehrer landet er schließlich tatsächlich in des Doktors Wohnung (Bühnenbild Christian Fenouillat).

Es dauert somit ein gutes Weilchen, bis er Körperkontakt mit seiner Dame aufnehmen kann, wobei Topi Lehtipuu die gräfliche Rolle szenisch solide interpretiert (im Vokalen vermag er kaum je frei von Nöten zu gestalten). Es dauert allerdings überhaupt eine kleine Ewigkeit, bis Giovanni Paisiellos (1782 in St. Petersburg komponierte) Oper Il barbiere di Siviglia in der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier in die Humorgänge kommt.

Die Virtuosen der pointierten Personenführung, die im Theater an der Wien schon Leichtfüßig-Meisterliches (Le Comte Ory) vollbrachten, bedürfen des schon ins Stückfinale einbiegenden dynamischen Theaterchaos, um szenische Dichte zu generieren. Und dies vor allem mithilfe der Bartolo-Figur.

Einnicken und Aufhängen

Pietro Spagnoli zeichnet den Dottore, der angesichts der nahenden gräflichen Gefahr zur Mauer des Misstrauens wird, als sympathischen und letztlich hilflosen Zeitgenossen. Seinen kultivierten Gesang würzt er mit tragikomischem Kammerspiel, das sich in Passagen des Einnickens ebenso entfaltet wie beim Versuch, sich aufzuhängen oder seinem Mündel nahezutreten.

So ist die Inszenierung an ihren Glanzstellen auch das Porträt eines Abschieds von der Jugend, eine Etüde des Loslassens, ohne jedoch allzu tiefgründig zu geraten. Ist bei dieser respektablen Musik, die bisweilen klingt wie Mozart ohne Mozart, die also nicht unbedingt mit Gipfeln der melodischen Inspiriertheit aufwartet, auch recht schwer möglich.

Andererseits: Es hat Paisiello Hochvirtuoses und dramaturgisch Elegantes ersonnen - auch an der anspruchsvollen Rosina-Partie wird es kenntlich: Mari Eriksmoen verleiht dem Mädchen mit Geläufigkeit Kontur, wie auch Andrè Schuen (als Figaro) durchgehend profunde vokale Momente gelingen. Humorig natürlich auch Fulvio Bettini (als Don Basilio), während es im Orchestergraben mitunter historisch informiert blitzt und donnert.

Dirigent René Jacobs und das Freiburger Barockorchester garantieren akzentuiertes, rhythmisch prägnantes Musizieren im Geiste schlanker Phrasierung. Eine Prise mehr Poesie wäre im Sinne von Farbkontrast und Gefühlstiefe allerdings auch nicht sündhaft gewesen - bei diesem Auftakt zur Beaumarchais-Trilogie im Theater an der Wien.

Auf Paisiellos Vertonung folgt ja Mozarts Le nozze di Figaro (11. April) . Und am 8. Mai lockt zum Abschluss Darius Milhauds La mère coupable, das auf dem finalen Figaro-Stück von Beaumarchais basiert. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 18.2.2015)