Donnerstag, 28. März 2024

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Philip Glass' Oper "Akhnaten" in Antwerpen
Die Einführung des Monotheismus

Echnaton versuchte, mit dem Sonnengott Aton den Monotheismus zu etablieren, stieß jede Menge innenpolitischer und künstlerischer Reformen an und herrschte mit seiner schönen Hauptfrau Nofretete 17 Jahre lang – wobei er allerdings jeden Bezug zum Volk verlor. Der britische Regisseur Nigel Lowery inszenierte die Oper "Akhnaten" nach Phil Glass in Antwerpen.

Von Michael Struck-Schloen | 14.02.2015
    "Tut wu-a yéri enti
    Wá-a wa-u yeri wēnénet"
    Schon die Sprache schafft Distanz: Echnaton, der Pharao mit den radikalen Ideen und der unstillbaren Sehnsucht nach dem Licht, singt in altägyptischer Sprache vom Schöpfer der Dinge und des Lebens, der die Menschen mit seinen Augen und die Götter mit seinem Mund schuf.
    "Pérer én rem em yértif
    Cheper nétscheru tép ref."
    Echnaton – zu Deutsch: "der Diener des Gottes Aton" – singt zusammen mit seiner Mutter und seiner Gattin Nofretete den Hymnus von seinem Sonnengott, den Philip Glass in seine endlos orgelnden Musikmantras einbettet. Es ist eine von elf Stationen einer Oper, in denen Glass den Aufstieg und Sturz des ägyptischen Herrschers aus dem 14. Jahrhunderts vor Christus nachzeichnet – eine Parabel ohne dramatische Aktion: rituell und von erbarmungsloser Konsequenz, gemeißelt in musikalische Keilschrift und ohne jede Exotik, wie sie für Giuseppe Verdis in seiner Aida noch ein Muss war.
    An der Flämischen Oper in Antwerpen hat der britische Regisseur Nigel Lowery die Geschichte vom berühmtesten Pharao neu und packend erzählt – als eine Reise aus dem Dunkel ins Licht. Für Lowery ist Echnaton der Herrscher als Künstler, der fliehen will aus der verkommenen Realität – einer düsteren Welt mit Drogen, Verbrechen und Missbrauch, die von der Antwerpener Mode-Ikone Walter Van Beirendonck als fantastische, groteske Figuren über die Bühne geschickt werden. Vor diesen Erzübeln flieht Echnaton in seine magische Welt der Kunst. Wir folgen ihm dank Handkamera unter die Bühne, wo er in einer Art Atelier mit Zeichentisch, Pinsel und Farben sein neues, buntes Reich skizziert, das er dem einen Gott Aton weiht. Die alten Götter werden gestürzt, die Gegner seiner Pläne mit Polizeigewalt unschädlich gemacht.
    So wird Echnaton selbst zum Tyrannen, der mit seinen Frauen im goldenen Käfig seiner neuen Stadt Achetaton völlig wirklichkeitsfern regiert – gewandet in goldene, fantastische Stoffe und gefangen in Tänze und Rituale, die der iranische Choreograf Amin Hossainpour virtuos in einer Mischung aus zeremoniell fließenden Bewegungen und hektischen Gesten zeigt. In Antwerpen ist Akhnaten ein großes Ausstattungsstück – aber die golden schimmernde Kostümwelt von Beirendonck ist falsch und gefährdet, am Ende bricht der Traum vom Gottesstaat zusammen, wird Echnaton davongejagt. Übrig bleibt die Erinnerung an ihn, wenn die Touristen über die Ruinen von Achetaton schreiten und in ihren Reiseführern lesen.
    Akhnaten von Philip Glass ist kein einfaches Stück: n seinem meditativen Kreisen und den manischen Wiederholungsschleifen, die dem Opernorchester unter Leitung von Titus Engel noch etwas unvertraut waren. Aber Nigel Lowery und sein Team finden die richtige Gemengelage aus Parabel und Politdrama, aus Kostümfest und Kammerspiel, lebenden Bildern und Handkamera – auch dank fantastischer Sänger wie dem Countertenor Tim Mead in der Titelrolle oder Kai Rüüttel in der Rolle der Nofretete. So transzendierte die Ohnmacht des Herrschers Echnaton an der Flämischen Oper zuletzt in die Macht der Kunst.