Wien - Eigentlich ist Alban Bergs Lulu eine der schlimmsten Opern überhaupt. Die Zerfallsgeschichte der "Kindfrau" und mit ihr der Gesellschaft, ihr Morden und ihr Tod - das wäre nur schwer zu ertragen. Es ist aber ein Prinzip der Kunstform Oper, bei aller Drastik den Schrecken ästhetisch zu überhöhen. Im Falle Bergs geschieht dies einerseits musikalisch äußerst brisant durch das Aufeinandertreffen geradezu schreiender Expressivität und objektivierender Distanzierung, etwa durch die coolen "Jazz"-Einwürfe. Andererseits bringt im letzten Akt, den Berg nicht mehr fertigstellen konnte, das finale Abschlachten der Protagonistin und ihrer Gespielin, der Gräfin Geschwitz, durch Jack the Ripper, einen theatral-irrealen, ritualhaften Zug ins Geschehen, der das individuelle Schicksal in der Mordserie aufgehen lässt.

Olga Neuwirth hat dieses Ende schon immer missfallen. In ihrer Adaption, an der die Komponistin zwischen 2006 und 2011 arbeitete, wurde allerdings eine Reihe von Änderungen vorgenommen. American Lulu hat ein neues "Gesamtkonzept", das die Handlung - bei Bergs literarischer Vorlage, den "Lulu"-Dramen Frank Wedekinds, um 1900 und in der originalen Oper in den 1920er-Jahren angesiedelt - in die 1950er- und 1970er-Jahre verlegt. Den Schauplatz bilden statt einer deutschen Großstadt, Paris und London nun New York und New Orleans. Hinsichtlich des "Amerikanischen" ist für Neuwirth vor allem der Alltagsrassismus virulent, den sie unermüdlich registriert.

Doch gleichzeitig ist Neuwirth dem Original auf höchst eigene Weise nah. Nach dem Vorbild von Bergs "Jazzband"-Musik im ersten Akt ist ihr Orchester bläser- und schlagzeuglastig, doch klingt Berg auch dort noch durch, wo es in eine ganz andere Klanglichkeit gehüllt wird. Musikalisch atmet das große Dringlichkeit, geballten Schmerz: Man könnte das Stück als einen einzigen Aufschrei gegen Unmenschlichkeit deuten.

Das klingt im Theater an der Wien allerdings vor allem dank des akribischen Dirigats von Johannes Kalitzke ausgesprochen gut. Das Orchester der Komischen Oper Berlin, wo American Lulu 2012 uraufgeführt wurde, funktioniert tadellos. Mehr als das ist über die Darsteller zu sagen. Insbesondere von Marisol Montalvo als Lulu, die zu einem Exhibitionismus genötigt ist, der in anderem Zusammenhang nichts als entwürdigend wäre: Sie gibt die Lulu jenseits kultivierten Gesangs bis zum Letzten. Die Inszenierung von Kirill Serebrennikov hat zwei Gesichter: Einerseits ist sie schonungslos brutal, andererseits schafft sie einen stilisierten Raum, der distanzierend wirkt. (Daniel Ender, DER STANDARD, 10.12.2014)