Bild nicht mehr verfügbar.

Im Käfig der Emotionen: Zurga (Nathan Gunn) und Leila (Diana Damrau), die im Mittelpunkt von Bizets Oper stehen, die gegenwärtig im Theater an der Wien zu sehen ist.

Foto: APA /Photowerk / Werner Kmetitsch

Wien - Notfalls kann man in der Oper immer noch die Augen schließen und sich vorstellen, wie das in einer konzertanten Aufführung wäre. Auch in dieser Versuchsanordnung wäre der Premierenabend im Theater an der Wien fast ungetrübt, ja zu großen Teilen fulminant verlaufen. Wieder einmal zeigte es sich, was für ein Juwel das ORF Radio-Symphonieorchester sein kann. Dirigent Jean-Christophe Spinosi brachte Georges Bizets Les pêcheurs de perles mit Elan zum Leuchten: mit allen nötigen rhythmischen Konturen, wobei die flüssigen Tempi beinahe vergessen ließen, dass die dramaturgischen Schwächen des Stücks besonders im ersten Akt die charmante Musik belasten.

Selbst hier blieb das Orchester unter steter Spannung - vielfarbig, doch homogen, mit funkelnden Bläserstimmen - und wechselte souverän zwischen klangmalerischer Illustration des Bühnengeschehens und nahtloser Begleitung der Sänger. Den Arnold Schoenberg Chor zu loben gehört zu den Mantras der Kulturberichterstattung. Seinen sagenhaften Schmelzklang und die gleichzeitige Klarheit bewies er auch hier.

Vokale Perlen auch bei den Protagonisten, drei Männern und einer Frau. Neben dem gleichsam außer Konkurrenz stehenden, sonoren, aber nicht besonders markanten Nicolas Testé (Hohepriester Nourabad) lieferten sich die beiden amourösen Widersacher einen ungleichen Kampf: Dmitry Korchak gab den Nadir, dem sein erotischer Erfolg schon in die Tenorrolle geschrieben ist, mit überlegener Dosierung der Kraft und der Registermischungen, die fokussiert, doch nie eng klangen. Nathan Gunn zeigte als Zurga einen verlässlichen, doch weniger vielgestaltigen Bariton.

Im Mittelpunkt der Oper steht als prima donna assoluta e sola die Rolle der Leila, und Diana Damrau übertraf die höchsten Erwartungen. Dass ihr Sopran an Volumen und Mittellage gewonnen und auch ein klein wenig an Schwere dazubekommen hat, schien wie ein Katapult für ihre Höhenflüge zu dienen: Kraft und Bühnenpräsenz verdichteten sich zu einer nachdrücklichen Figur. Regisseurin Lotte de Beer hatte die diskussionswürdige Idee, das Ganze als Reality-Show à la Dschungelcamp zu verorten. Plakativ wurde den Einheimischen von Ceylon zu Beginn ihr pittoresk-exotisches Zuhause genommen, um eine Filmcrew ihre Kulissen aufbauen zu lassen. Im verschwenderischen Bühnenbild von Marouscha Levy sah man den Schoenberg Chor als Zuseher daheim an ihren Fernsehgeräten in einem mehrstöckigen Gebilde, das auch als Videofläche dienen konnte. Dass man hier den einzigen Clou des schlichten Librettos mit einer Zuspielung erklären zu müssen glaubte, entspringt dem verlorenen Glauben an die Denkfähigkeit des Publikums - doch geschenkt.

Implodiertes Konzept

Was das Konzept zur Implosion brachte, waren weder die eingeblendeten Mehrwertnummern noch eine - für sich witzige - Straßenbefragung auf dem Naschmarkt vor dem Theater. Die Idee brach gerade dort ein, wo Kameramann, Regisseur und Visagist einmal nicht nervös die Bühne bevölkerten, um daran zu erinnern, dass alles nur Show sei.

In der Liebesszene des zweiten Aktes und in der Dramatik des dritten Aktes übernahm doch die Kraft der Gattung Oper das Ruder, ohne dass die Regie noch einen Zusammenhang mit dem Setting einbrachte. So konnte der ungetrübte Jubel für alle schwer vergessen machen, dass das - durchaus annehmbare - Konzept nicht wirklich zu Ende gedacht war. Damit gleicht die Inszenierung ein wenig jener oberflächlichen Unterhaltung, die sie doch kritisieren wollte. Die modernen Medien mögen die Kunst auffressen - doch manchmal verschlucken sie sich daran. Und das ist eigentlich ganz gut so. (Daniel Ender, DER STANDARD, 18.11.2014)