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Regen, immer wieder Regen

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Von Moskau auf direktem Weg in die Hansestadt: Bei „Anna Karenina“ braucht es dafür nur eine neue Videosequenz.
Von Moskau auf direktem Weg in die Hansestadt: Bei „Anna Karenina“ braucht es dafür nur eine neue Videosequenz. © Jörg Landsberg

Bremen - Von Mareike Bannasch. Nass ist‘s in der Welt der Anna Karenina, wo sie auch hinkommt, was auch passiert: Regen, Regen, Regen. Beständig rauscht er im Hintergrund, während sich der Strudel aus Liebe, Hass und Verzweiflung unaufhörlich weiter dreht – und schließlich alles mit sich reißt.

Bereits 2008 hat sich der Stuttgarter Schauspielintendant Armin Petras Leo Tolstois Jahrhundertroman angenommen und ihn bühnentauglich zurechtgestutzt. Nun, sechs Jahre später, feiert „Anna Karenina“ Uraufführung am Theater Bremen, dieses Mal im Musiktheater. Thomas Kürstner und Sebastian Vogel haben unter dem Titel „Drei Atmosphären“ ein musikalisches Gerüst komponiert, das zwar keine Oper ist, dafür aber Musiktheatermaterial für Orchester, Sänger und Schauspieler. Und ein sehr gutes noch dazu.

Denn während die drei, naja eigentlich vier, Paare auf der Bühne zueinander finden, sich voneinander entfernen und schließlich scheitern, stimmen die Bremer Philharmoniker unter der Leitung von Clemens Heil einen musikalisch dichten Strudel an, vor dem es kein Entrinnen gibt und dessen Klangbild nicht nur gedämpft ist. Ganz im Gegenteil, die Atmosphären sind eher von schrillen, Unheil verkündenden Melodien geprägt. Hier verzahnen sich die einzelnen Motive, sind nicht mehr zuzuordnen und kreieren so ein fast schon episch anmutendes Gesamtbild.

Zunächst kommt dieser Kreisel noch relativ leicht daher, nur um nach und nach an Fahrt zu gewinnen und den Anfang vom Ende einzuläuten. Denn dass die Geschichte von Anna Kareninas glückloser Liebe zu Wronski (Hubert Wild) ein böses Ende nehmen wird, das ist allen schon von Beginn an klar.

Da sind eigentlich keine Überraschungen zu erwarten, im Drama vor reduzierter Kulisse, die von einer Holzwand dominiert wird (Bühne: Susanne Schuboth), die auf der ansonsten kargen Bühne emporragt. Dass es sie dann doch gibt, liegt auch an dieser Wand, sie versperrt die Sicht, nur wer sich herunter beugt, kann zwischen den Ständern hindurch sehen oder gehen. Der verdeckte Blick hält allerdings nicht lange, dank Live-Videoübetragung blickt das Publikum in Daschas und Sebastians Zuhause, eine Hütte am Meer oder ist Teil einer ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft.

Die moderne Form der 24-Stunden-Überwachung, die hier die Geschichte hinter der Geschichte erzählt und schonungslos alles aufdeckt, was die Charaktere eigentlich nicht von sich preisgeben wollen. Vor dem unbestechlichen Auge der Kamera ist niemand sicher. Doch nicht nur eine weitere Dimension der Suche nach dem ultimativen Glück kreiert Petras mit diesem Kniff, er spielt auch immer wieder Szenen aus Bremen ein, die weit mehr sind als nur vermeintlicher Lokalkolorit.

Vielmehr wird hier die Liebesgeschichte im Russland des Zaren entstaubt, und ihre Allgemeingültigkeit freigelegt. Gescheiterte Ehen gibt es auch in der Hansestadt, genauso wie tratschende Nachbarn oder Kollegen, in diesem Fall verkörpert vom ruhig dominierenden Chor. Petras bringt hier ein buntes Sammelsurium aus Hausfrauen, Bauern, Arbeitern und Angestellten auf die Bühne, die Erzähler und Kommentator in Personalunion sind und sich später noch um einen Kinderchor erweitern.

Wann immer das Spiel im vorderen Teil der Bühne zu kurz greifen würde, erklären die Sänger, ordnen ein und bewerten. Und machen aus Anna Kareninas Suche nach dem Glück eine Passionsgeschichte, die sich als allgemein gültig versteht und sich nicht nur um Annas Liebe zu Wronski dreht, der hier nicht als schneidiger Offizier, sondern als konturloser Schönling daherkommt. Ganz in schwarz mit dunkler Sonnenbrille (Kostüme: Karoline Bierner) an der Holzwand lehnend – Eine inhaltsleere Illusion, die Annas Ansprüchen gar nicht genügen kann.

Doch wer ist diese Frau überhaupt, die für den Traum vom ganz großen Glück Mann und Kind aufgibt? Im Bremer Theater gibt Nadine Lehner Karenina ein Gesicht, mit dem man zunächst nur wenig Mitleid empfinden mag. Zu kalt ist ihre mit klirrendem Sopran vorgetragene Abrechnung mit dem Ehemann, zu sehr sympathisiert sie mit ihrem untreuen Bruder. Und doch schafft Lehner den Bogen zur von Verlustängsten geschüttelten Frau. Besonders beeindruckend arbeitet die Sopranistin ihre stimmlichen Möglichkeiten im Schlussakt heraus. In ihren Gefühlen gefangen, wankt sie nicht nur körperlich hin und her, während sich der Kreislauf der Musik unaufhörlich weiterdreht – bis zum kreischenden und abrupten Ende.

In seinem genreverbindenen Ansatz schickt Petras aber nicht nur Sänger auf die Bühne, Martin Baum ist ebenfalls mit von der Partie. Er gibt den Stefan, einen Lebemann par excellance, der den Strudel der Gefühle erst in Gang setzt. Ein Verzweifelter, der angesichts überbordender Liebe wahnsinnig wird und so einen zynischen Kontrapunkt zu all den Verliebten bildet. Wegweisend nimmt er den Zuschauer an die Hand und warnt ihn in einem Monolog fast schon weise vor der Macht der Gier. Allerdings erst, als es für Warnungen schon zu spät ist und sich das grandios inszenierte Karussell rasend schnell auf den Abgrund zu bewegt – während im Hintergrund der Regen rauscht.

Weitere Vorstellungen: 28. Oktober, 1., 12., 20. November sowie 9. und 19. Dezember, jeweils 19.30 Uhr im Theater Bremen.

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