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  4. Christof Loy inszeniert im Theater an der Wien Tschaikowskys „Die Zauberin“

Bühne und Konzert Opernrarität

Mezzogranate im Transenballett

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Ganz ohne Russenfolklore in strengem Arrangement: Asmik Grigorian (Nastasja) und Vladislav Sulimsky (Fürst Kurljatew) in Tschaikowskys „Die Zauberin“ Ganz ohne Russenfolklore in strengem Arrangement: Asmik Grigorian (Nastasja) und Vladislav Sulimsky (Fürst Kurljatew) in Tschaikowskys „Die Zauberin“
Ganz ohne Russenfolklore in strengem Arrangement: Asmik Grigorian (Nastasja) und Vladislav Sulimsky (Fürst Kurljatew) in Tschaikowskys „Die Zauberin“
Quelle: Monika Rittershaus
Spannende Tschaikowsky-Entdeckung zum Saisonauftakt: Der Regisseur Christof Loy stellt im Theater an der Wien die dramatisch dunkellodernde „Zauberin“ erfolgreich auf den Opernprüfstand.

Sirene, Circe. So mag man bildungsbürgerlich eine Frau nennen, die vorgeblich mit übersinnlichen Kräften die Männer anzieht und verführt, die sie kirre macht, ihrer Sinne beraubt und sie zu willenlosen Opfern ihrer Lüste und Leidenschaften werden lässt. Aber eine Zauberin, das ist eine Hexe, eine, die in die Regel Böses will, mit magischen Mächten verbündet ist, die auf der dunklen Seite steht.

Die Alcina/Armida aus den beiden Renaissance-Epen „Der rasende Roland“ von Ariost und „Das befreite Jerusalem“ von Torquato Tasso ist so eine – und sie wurde von Lully, Händel über Gluck, Haydn, Rossini bis Dvorák gerne auch zur machtvollen, am Ende aber durch die Kraft der Liebe verlierenden Opernfigur veredelt. Aber Peter Tschaikowskys scheinbar herkunftslose „Zauberin“ Nastasja, genannt Kuma, zunächst Titelfigur eines Ende des 19. Jahrhunderts in Russland erfolgreichen Dramas von Ippolit Schpaschinski, die ist eigentlich eher ein bezauberndes Fräulein.

So führt sie im späten Mittelalter eine Lokalität am Fluss, nahe der Stadt Nischni-Novgorod, die man sich durchaus als eine Art von erotische Freuden verheißende Insel der Circe vorstellen kann: Hier können Männer an einem liberalen Ort sich hingeben, ihre bürgerliche Existenz vergessen. In Schweine wird hier freilich niemand verwandelt.

Im Repertoire nur eine Mauerblümchenexistenz

Doch es mag nicht nur am verfälschenden Titel „Die Zauberin“ gelegen haben, dass diese 1887 komponierte, immerhin siebte der neun Tschaikowsky-Opern, zwischen dem ukrainischen Schlachtengemälde „Mazeppa“ und der eleganten, stets populären Vertonung der Puschkin-Novelle „Pique Dame“ stehend, bisher im Repertoire nur eine Mauerblümchenexistenz führt. Immerhin, Inszenierungen von David Pountney in St. Petersburg und Tatjana Gürbaca in Antwerpen und Erfurt haben dem in jüngster Zeit etwas abgeholfen.

Nun hat sich im Theater an der Wien, an der Spitze einer weitgehend muttersprachlichen Besetzung, auch Christof Loy auf eindrückliche Weise für diese eigentlich unglückliche Frau interessiert. Denn Kuma wird zum Spielball einer dysfunktionalen Herrscherfamilie, weil der von seiner Frau entfremdete Fürst Nikita sich für sie begeistert, ja ihr verfällt. Sie hingegen liebt dessen Sohn Prinz Yuri, der sie zunächst auf Befehl seiner Mutter ermorden soll, aber dann ebenfalls ihren Reizen erliegt. Am Ende wird Kuma von der hysterisch überagierenden Fürstin vergiftet, der Fürst aber tötet seinen Sohn und wird wahnsinnig.

Die moritatenhaft finstere, durchaus russisch-folkloristisch eingefärbte Handlung in vier Akten hat Peter Tschaikowsky freilich mit einer kraftvoll strömenden, lyrisch leuchtenden, komplex durchkomponierten Musik versehen. Da gibt es überwältigende wie abwechslungsreiche Chortableaus zu Beginn, gleich 15 Rollen, die sich einmal zu einem zwölfstimmigen Satz verdichten, mitreißende Hymnen und Lieder, ein loderndes Liebesduett, Verwünschungen und ein dramasattes, blechkrachendes , von einem visionär-utopischen a-cappella-Männerchor unterbrochenes Gewitterfinale.

Er hält das dramtische Feuer am Klangbrennen

Das alles dirigiert am Pult des nicht immer ganz bläserexakten Radio-Symphonieorchester des ORF Mikhail-Tatarnikov, Musikdirektor des semiprivaten St. Petersburger Mikhailowsky Theaters in St. Peterburg. Er kann es idiomatisch, hält das dramatische Feuer am Klangbrennen, wird aber manchmal etwas grob und laut.

Christof Loy verweigert sich hingegen allem Rustikalen. Die unbehandelte Holzwandkiste von Ausstatter Christian Schmidt, vor der auf einem Podest die handelnden Personen quasi theatralisch ausgestellt werden, ist das beinahe einzige Zugeständnis an den ländlichen Spielort. Gestellt volkstümlich ist sonst nur noch das Auftrittslied der Kuma in ihrem Kabarett mit Frauenchor in Tracht, Transenballett und Laubwaldprospekt: Die Russin ist eine, die Birken liebt.

Ansonsten herrscht zeitlos nüchterne Moderne vor. Von draußen zeigen sich bisweilen künstliche Tannen hinter einem Sehschlitz, ein Stadtpanorama wird bald wieder von einem grünen Vorhang verschlossen. Am Ende dominiert eine schwarzweiß gemalte Waldansicht, in der sich schließlich eine ein von paradiesisch anmutendem Licht umflossenen Türe öffnet, um die tote Kuma in eine bessere Welt zu entlassen. Christof Loy konzentriert sich also ganz auf das dichte Beziehungsgeflecht seiner Figuren, die historischen und geographischen Umstände sind da nur Folie.

Viele, schön angetippte Nebenrollen

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Souverän bewegt er den toll präsenten Arnold Schönberg Chor, mal als lauernd bewegungslose Männergruppe, mal als wuselnde Volksmasse. Die vielen, schön angetippten Nebenrollen, vom schmierig verschlagenen Vagabunden Paisi (Andreas Conrad), über den beamtenhaft trocken seinem Vernichtungswerk nachgehenden Schreiber Mamyrov (Valdimir Ognovenko), dem ergeben pelzgewandeten Leibjäger Juris (Martijn Cornet) und den abgründig vergaukelten, das Gift mischenden Zauberer Kudma (Martin Winkler) bis zur alterslosen Hanna Schwarz als untröstlicher Kammerfrau, sie sind immer präzis umrissen.

Im Zentrum, fast wie in einer Zelle zwischen Tisch, Stuhl und Eisenbett, konzentriert sich Loy ganz auf sein Quartett fatal, hält es unter ständiger Beobachtung, lässt es nie aus den unerbittlichen, doch mitfühlenden Regisseursaugen. Die beiden Damen arbeiten dabei mit den Waffen der Frauen, der schwarze Unterrock wird ihr Symbol. Die lyrisch reine, aber auch mit gleißendem Sopranstahl aufwartende Asmik Grigorian bewegt sich dabei als Kuma bisweilen wie somnambul durchs Geschehen, zieht die Männer bereits zur Ouvertüre an wie die Motten, zwischen deren geiler Masse sie verschwindet.

Fürstin in Gatinnenuniform

Eine von Tschaikowsky ungewöhnlich differenziert ausgeformte Rolle, die dominante, aber letztlich verzweifelte Fürstin, der durchdringend bühnenfüllenden Mezzogranate Agnes Zwierko zeigt sich im Negligé und ohne Perücke noch sehr verletzlich. Erst in ihre Gattinnenuniform aus Frisur, kostbar bestickter Robe und Zobel wird sie handlungsbereit. Doch auch so kann sie ihren Mann nicht mehr an sich binden. Der Fürst ist längt mit Geist und Körper bei der anderen Frau, und der großartig zerrissene Vladislav Sulimsky bringt mit seinem viril-sehnigen Bariton die Holzwände zum Wackeln.

Aber sein Sohn, Maxim Aksenov mit ebenfalls robust schneidendem, dabei biegsamem Floretttenor, gibt ihm durchaus Kontra. Und ist trotzdem einer dieser melancholisch schwachen, letztlich verlorenen Tschaikowsky-Helden, in denen der übersensible, schwule Komponist seine eigene Lebenstragik spiegelte. Das große, sanft mäandernde Liebesduett zwischen Kuma und Juri im vierten Akt wird so zu einer Art von russischem „Tristan“-Zweisamseinsvergessen; sich gefühlvoll steigernd, dabei stets um die Vergeblichkeit wissend. Deshalb wird Kuma am Ende hier auch zum fast willenlosen Opfer – dem die Regie immerhin einen edlen Opernverklärungsabgang zugesteht.

Termine: 19., 21., 23., 26. September

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