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Bühne und Konzert „Die Antilope“

Hier ist man sich für keine Zote zu schade

Die sind nicht lustig, die wollen bohren: Die Clowns in Johannes Maria Stauds „Die Antilope“ sind ganz fiese Ärzte Die sind nicht lustig, die wollen bohren: Die Clowns in Johannes Maria Stauds „Die Antilope“ sind ganz fiese Ärzte
Die sind nicht lustig, die wollen bohren: Die Clowns in Johannes Maria Stauds „Die Antilope“ sind ganz fiese Ärzte
Quelle: Tanja Dorendorf / T T Fotografie/Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Zwei Kindsköpfe im Theater: Der Büchnerpreis-Träger Durs Grünbein hat für den Komponisten Johannes Maria Staud sein zweites Opernlibretto geschrieben. In Luzern wurde „Die Antilope“ jetzt uraufgeführt.

Eigentlich ganz simpel, welches Motto sich der Innsbrucker Komponist Johannes Maria Staud sowie sein Librettist, der Büchnerpreis-Träger Durs Grünbein, da für ihre zweite Opernzusammenarbeit (nach dem Edgar-Allan-Poe-Stück „Berenice“ von 2003) ausgesucht haben. Es lautet: Nur ja nicht bei einer Sache, einem Sinnzusammenhang, einem Thema zu lange verweilen. Nur rasch immer weiter auf ungewohntes, ungeahntes Terrain!

Ja, es gibt so was wie eine Rahmenhandlung, die Geschichte des frustrierten jungen Finanziers Victor, der sich bei einer Geschäftsfeier aus dem Fenster stürzt, fortan seltsame Dinge erlebt und meist in Fantasiesprachen, aber auch wirklichem Esperanto, spricht beziehungsweise singt.

Victor macht wahrlich viel mit, er wird zum Beispiel von drei grauenhaften Clowns, die offenbar auch Ärzte sind, untersucht. Dann begegnet er einem komischen Pärchen, vereinsamten Fräuleins, später lungert er im Zoo herum oder hockt resigniert auf dem Boden.

Wenn Victor reagiert, wird’s kompliziert

Aber auch seine Zeitgenossen haben es mit Victor nicht leicht, er reagiert einfach nicht oder wenn doch, dann wird es gleich kompliziert. Die junge Frau mit ihrem Sohn trifft er gleich zweimal, beim letzten Meeting zieht sie rasch das Kind fort und nennt es „Victor“. Na logo!

Alles, was einem während der Aufführung an (Be-)Deutung so durch die Rübe rast, das ist der Kern dieses kernlosen, aber durchaus kernigen Stücks. Sorry, soviel Kalauer muss sein. Spätestens seit Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis erhalten hat, wurde die Sprachkasperitis ja salonfähig. Auch der vielfach prämierte Durs Grünbein ist sich bei seiner „Antilope“ für kaum eine Zote zu schade.

„Rrr Rrrr rehoboam salamanasar“

Aber das ist gerade der Punkt, Grünbeins oft hoch artifizielle, pathetische Sprachbilder (von denen es auch hier ein paar gibt) rutschen nun ins Triviale, manchmal auch direkt in die Gosse. Da singt man etwa über ein „von Hunden bepisstes“ Kunstwerk, aus dem plötzlich eine Frau herausschaut und im Stile von György Ligetis „Le Grand Macabre“ singt. Carla Maffioletti macht es hinreissend. Textprobe gefällig? „Rrr Rrrr rehoboam salamanasar“.

Dies ist übrigens reinstes Antilopisch, welches auch unser Victor bestens beherrscht. Rund um die musikalische Skulptur positioniert Grünbein eine kleine, böse Tirade gegen aktuelle ästhetische Debatten, aber sonst herrscht blankes Kasperltheater mit gelegentlich gruseligen Momenten. Eine alte Frau sucht ihre Katze, Passanten zeigen auf ein totes Wesen und traurig trabt sie mit dem Kadaver weiter.

Festgesellschaft mit Tiermasken

Dominique Mentha inszeniert die lose Episodenfolge punktgenau und flüssig. Die Festgesellschaft trägt schwarze Tiermasken. Das singende, klingende Kunstwerk wirkt wie eine Parodie auf Futurismus und Vortizismus.

Gesungen wird ausnehmend gut. Todd Boyce beherrscht als Victor alle nötigen vokalen Tricks und Kniffe. Jutta Maria Böhnert brilliert mit ihrem schmelzenden Sopran in gleich mehreren Partien. Howard Arman legt sich mit dem Luzerner Sinfonieorchester mächtig ins Zeug, was auch nötig ist, denn Staud schuf einen fächerhaften, überreichen Soundtrack mit Tanzelementen, kreisenden und kreiselnden Klangflächen.

Eine Partitur von gebrochener Süffigkeit

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Das SWR Experimentalstudio liefert dazu elektronische Raummusik, von verzerrten, gequetschten Streicherklängen über Geräusche bis zu spacigem Gerumpel, das vielleicht Stockhausens „Cosmic Pulses“ parodieren soll. Stauds Stil in zwei Worten: gebrochene Süffigkeit.

Die 75 turbulenten Minuten rutschen und flutschen äußerst angenehm runter und was das Ganze soll, ist im Grunde doch recht einfach zu beantworten: da treffen sich zwei Kindsköpfe und schreiben eine lustige Anti-Oper. Am Luzerner Theater war Uraufführung, zweiter Spielort ist die Stadt des Karnevals, Köln.

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