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Oper
Horváth in zartbitter

Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" von 1931 wurden innerhalb kürzester Zeit zu seinem erfolgreichsten Stück. Jetzt hat der Wiener HK Gruber aus dem Stoff eine Oper gemacht, die ihre Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen feierte.

Von Wolf-Dieter Peter | 24.07.2014
    HK Gruber beim Dirigieren
    Der österreichische Dirigent HK (Heinz Karl) Gruber, hier als Dirigent der Wiener Philharmoniker 2006. (dpa / picture alliance / epa Keystone Urs Flueeler)
    "Wien zartbitter" hat der scheidende Intendant David Pountney als Motto der diesjährigen Festspiele gewählt. Die eröffnende Uraufführung – die Vertonung von Ödön von Horváths bösem Schauspiel "Geschichten aus dem Wiener Wald" durch das Wiener Multitalent HK Gruber – ließ eher "galle-bitter" erwarten: Horváth dachte in den 1930er Jahren an eine Vertonung durch Kurt Weill – und der 71-jährige Heinz Karl Gruber ist ein anerkannter Brecht-Weill-Interpret, dazu einer, der gegen die typisch "Weana Gmüatlichkeit" kabarettistisch und künstlerisch bissig ansingt und ankomponiert. Es wurde ein überraschend "anderer" Abend im Bregenzer Festspielhaus.
    Horváth hat in seinem Schauspiel die miteinander verschlungenen Schicksale von mehr oder minder sozial Deprivierten dargestellt: das süße Wiener Mädl, das den soliden Metzger ausschlägt und von einem Strizzi ein uneheliches Kind kriegt; eine resche Tabak-Trafikantin, die mit jungen Liebhabern gegen das Altern angeht; bigotte, verlogen hochmoralische Kleinbürger; eine seelisch abgründige Großmutter, die das Kind umbringt; das Mädel als Nackttänzerin und Diebin, die am Ende vom Metzger in eine sogenannte gutbürgerliche Ehe wie eine "Beute" davongetragen wird.
    Erstaunen: All das hat HK Gruber in eher zart zurückhaltende, auch mal mitleidig leise Orchesterpassagen gefasst. Allen Sängern mutet er nicht das in der zeitgenössischen Moderne übliche Diskant-Geschreie zu, sondern eine fast mediterran klingende Sanglichkeit, (die nur gelegentlich mal schrill und grell wird). Selten vertieft die Musik Charakterzüge ins Psychologische oder zu packender Musikdramatik. Zitate von Johann und Richard Strauss bis hin zu Wiener Liedern klingen nur leicht schräg, nie abgrundböse. Der einzig emotional fesselnde Höhepunkt gehört Marianne in der Kirche, wo sie von Priester und "liebem Gott" alleingelassen klagt.
    Kein Regie-Egotrip
    Auch szenisch bot der Abend keinen Regie-Egotrip, keine Dekonstruktion. Grubers langjähriger Mitarbeiter, Librettist und nun auch Regisseur Michael Sturminger erzählte die Geschichte klar und eingängig. Aus dem Nebel einer leeren Bühne, wie aus ihren verhangenen Gedanken, taucht Marianne auf. Hintergrundfotos zeigen triste Wiener Gegenden. Zusätzlich hereinfahrende Bauteile wirken in Olaf Winters differenzierter Lichttechnik von vorne real, von hinten transparent irreal.
    Darin war die junge Belgierin Ilse Eerens eine anrührende Marianne, im Kontrast zur herrlich lebenstüchtigen und liebeslustigen Trafikantin von Angelika Kirchschlager. Leider geriet Anja Silja die mordende Großmutter nicht zur schwärzesten Figur, während aus dem perfekt rollendeckenden Typen- und Stimm-Ensemble Tenor Jörg Schneider herausragte: der Metzger Oskar als erdrückende "Wuchtbrumme" an Mannsbild mit vordergründig liebevollen, aber gefährlich kleinbürgerlichen Phrasen. Sie alle, den Kleinbürger-Chor des Vokalensembles NOVA und die Wiener Symphoniker führte HK Gruber als Dirigent mit klarer Zeichengebung in die Stilrichtung "Neue Einfachheit" – einhelliger Beifall dafür.