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Bühne und Konzert Bregenzer Festspiele

Frauen verblühen, Männer werden schmieriger

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Nackte Tatsachen am Bodensee: Der Zauberkönig (Albert Pesendorfer) und die Trafik-Valerie (Angelika Kirchschlager) in HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“ Nackte Tatsachen am Bodensee: Der Zauberkönig (Albert Pesendorfer) und die Trafik-Valerie (Angelika Kirchschlager) in HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“
Nackte Tatsachen am Bodensee: Der Zauberkönig (Albert Pesendorfer) und die Trafik-Valerie (Angelika Kirchschlager) in HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“
Quelle: dpa
Hier schwankt der Boden der Tatsachen: Nach elf erfüllten Sommern hört David Pountney als Intendant der Bregenzer Festspiele auf. Zum Finale gab es HK Grubers Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“.

Da war Musik drin, von Anfang an. „In der Luft ist ein Klingen und Singen – als verklänge irgendwo immer wieder der Walzer ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ von Johann Strauß.“ So heißt es schon in der berühmten ersten Szenenanweisung des noch viel berühmteren Stückes, das wiederum nach dem weltberühmten Dreivierteltakt-Zweisamkeitsdreher benannt ist und für das sein Autor Ödön von Horváth 1931 (noch vor der Uraufführung) von Carl Zuckmayer den Kleist-Preis zugesprochen bekam.

Und in Bregenz, wo der Engländer David Pountney nun nach zehn erfüllten Spielzeiten auf dem und um den Bodensee in sein Festspielsaison-Finale als Intendant geht, sind eben diese „Geschichten aus dem Wiener Wald“ als Opernkreation ein sehr stimmiges, einfühlsames, sogar generös lokalpolitisches Finale. Denn die Bundeshauptstadt ist weit genug von Vorarlberg weg, um über die hier geschilderten, gar nicht netten Charaktere zu lachen, aber auch nahe genug, um sich – ein wenig zumindest – darin immer noch zu spiegeln.

Warum aber hat es so lange gedauert, bis dieser so musiktheaternahe, dabei so bös perfide, zärtlich, aber nie sentimental mit allen nur vorstellbaren Wien-Klischees spielende Szenenreigen endlich eine Oper wurde? Vielleicht, weil man eben dieses dauernden Singens und Klingens wegen zurückschreckte, der Musikalität von Horváths so unnachahmlich feinen und doch brutalen Sprache („du 50-jähriges Stück Scheiße“ ist da noch eine der netteren Beleidigungen) ein Leid zu tun. Und weil wohl viele Komponisten Angst hatten, dass sie, wenn sie allzu sehr dem hier so massiv beschworenen, ausgeleiert-kaputten Walzeridiom Tribut zollten, wegen der anbiedernden Popularität gescholten würden.

Die Gemütlichkeit wird als Verlogenheit entlarvt

HK Gruber, den inzwischen 71-jährige Mann fürs Schräge unter Österreichs zeitgenössischen Tonsetzern, hat ein solcher Vorwurf freilich noch nie gestört. Der als Hans Karl geborene Eisler-Schüler ist nicht nur gelernter Kontrabassist, sondern auch noch ein mitreißender Dirigent sowie ein schmissiger Chansonnier, der nicht nur seinen Kurt Weill gut drauf hat.

Dass er jetzt zum Abschluss der Ära Pountney nahe des Bregenzer Waldes mit diesem einst in Berlin uraufgeführten, aber so zeitlos beliebten urösterreichischen Stoff aus dem Wiener Wald und der Wachau, aber auch der „stillen Straße“ im 8. Bezirk am Start ist und natürlich zudem am Uraufführungspult steht, scheint nur folgerichtig. Denn Gruber ist auch ein besonders in England geschätzter Kosmopolit, wo nicht nur Simon Rattle sein munter krakeelendes „Frankenstein!!“-Pandämonium uraufgeführt hat und er eine einzigartige Stelle als Composer Conductor bei der BBC Philharmonic besetzt.

Zwar hätte Gruber gerne die eben revitalisierte britische Comedy-Bande Monty Python als Textlieferanten für seine komisch-besinnliche, am Schluss leider etwas zu pathetisch-uneigentliche Oper gehabt. Aber auch für die melancholisch-perfide, nun von seinem Regisseur Michael Sturminger geschickt zum Libretto eingerichtete Bilderfolge aus wirklich gegenwärtigen, „unseren Tagen“ – zwischen Zauberkönigs Puppenklinik, Valeries Trafik und Oscars Fleischhauerei –, hat er meist die passend doppelbödigen Töne gefunden, welche Gemütlichkeit als Verlogenheit entlarven.

Quietschende Heurigenlieder, selbstmitleidige Monologe

Zu denen man dann einander allerdings meist nur verbal umbringt mit der Liebe, der man nicht entgeht, und zu denen Frauen verblühen und abgleiten, Männer immer schmieriger und brutaler werden. Bis am Ende die bannend von Anja Silja mit immer noch zwei charakteristischen Silja-Silbernoten verkörperte Großmutter ein ungewolltes Kind sterben lässt und ungerührt weiter die Wiener Walzer spielen, schräg und schrill, auf einem kaputten Klavier, von einer Jazzband im Strip-Schuppen intoniert, wüst und wild, gern auch atonal überzuckert durch die Orchesterklanggruppen mäandernd, neujahrskonzertrubatoverliebt von den Wiener Symphonikern gespielt.

Die Szene von Renate Martin und Andreas Donhauser zwischen Plastikflächen-Baumstämmen, Gemeindebau, globalen Metropolitan-Veduten und einer zubetonierten Wachau ist so bewusst austauschbar wie sparsam wandlungsfähig. Sturmingers Regie hält sich angenehm zurück, stellt ganz die Charaktere in ihrem ungeschminkten, trotzdem immer nach Illusion suchenden Realismus aus. Es sind Bombenrollen, auf die sich auch die Stadttheater-Ensembles bei dieser neuen, auch zeitgenössischen Oper mit dem populären Titel stürzen mögen. Sie werden von großartig zusammengestellten Protagonisten zwischen quietschenden Heurigenliedern, Extremschrammeln, selbstmitleidigen Monologen, wenigen, fein kolorierten, auch auftrumpfenden Ariosi vorwiegend in einem plappernden Dauerparlando brillant absolviert.

Angelika Kirchschlager führt hier als Valerie die überreife, lebenshungrige wie -erfahrene Geschäftsfrau vor, Albert Pesendorfer ist der fast zu gemütlich gefühlsarme Zauberkönig, der ungerührt zusieht, wie seine Tochter vom nur angedeutet strizzifiesen Alfred des famosen Daniel Schmutzhard geschwängert und sitzen gelassen wird, bis sie in der Auszieh-Szene landet.

Wimmernde, bibbernde, klappernde, klirrende Partitur

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Diese Marianne, die Regie weist schon im Anfangsbild mit Nebel und Zwielicht darauf hin, ist eine Schwester von Horváths „Unbekannter aus der Seine“, ein im größten Unflat an das Gute und das Glück glaubendes bittersüßes Mädel mit halbschöner Seele. Die erst spät in die Produktion eingestiegene Ilse Eerens singt sie mit hinreißenden Spitzentönen, eindrücklicher Fräulein-Wucht und lyrischer Emphase im Duett mit dem sie schließlich als passive Trophäe davontragenden fürchterlichen Fleischhauer, den Jörg Fischer als stoischen Gefühlsklops gibt.

Ja, und natürlich biedert sich HK Gruber an, schmiegt und schmeißt und schleimt sich mit Wonne ans verlogene Wiener Gemüt. Ihm ist eine zerborsten melodieselige, raffiniert rhythmisierte, wimmernde, bibbernde, klappernde, klirrende Partitur gelungen, die man sich erst einmal trauen muss. Und die fast immer die Balance hält zwischen offensichtlichem Populismus und dem intelligenten Unterlaufen eines solchen. Hier schwankt der Boden der Tatsachen, nichts ist echt, aber im Falschen steckt viel Wahrheit. Der man gern zuhört.

Wie so oft in diesem Pountney-Dezenium bei den Bregenzer Festspielen. Dass die Kunst ein Reichtum sei, den man einem großen Publikum zugänglich machen müsse, dafür hat sich bei diesem sehr besonderen – Openair-Event und Raritätensuche – Massen und Klasse verbindenden Festival immer eingesetzt. Jetzt also gibt er das Ruder ab. Das kann man sogar wörtlich nehmen – da auf der Seebühne Bregenz, wenn auch nicht vom Intendanten selbst gesteuert, immer wieder gerne auch Boote zum Operneinsatz kommen.

2007 spielte Bregenz eine Rolle im neuen James Bond

Ein Steuermann muss bei diesem Mammutunternehmen durchaus sturmfest den Kurs bestimmen. Und das hat der sanfte, aber auch so exzentrisch Backenbart tragende Engländer durchaus vermocht, den man in dem Städtchen am Bodensee während der Vorarlberger Sommersaison immer in karierten Jacketts oder weißen Leinenanzügen, gern auch mit bunter Fliege, schrägen Socken und Strohhut auf dem Fahrrad zwischen Milchpilz und Kunsthaus strampeln sehen konnte.

Der 66-Jährige, inzwischen auch als Intendant an der Welsh National Opera nach Britannien zurückgekehrte Pountney hatte beim Amtsantritt 2003 seine österreichischen Open-Air-Lektionen schon gut gelernt, da er bei dem Spiel auf dem See schon unter seinem Vorgänger fast zum Inventar gehörte. Alfred Wopmanns Entwicklung einer sehr spezifischen, poetischen, vor der mitunter launischen Naturkulisse von Lindau bis Pfänder immer das Riesige auf das Wesentliche reduzierenden Bregenzer Dramaturgie hatte der Regisseur mit drei eindrücklichen Freiluftinszenierungen entscheidend mitbestimmt.

Und er hat er dieses Opernspektakel unterm Sternenhimmel, das seither immer auch einen Kunstanspruch hatte, zielstrebig weiterentwickelt und mit starken Bühnenbildsignets berühmt gemacht. Bei Puccinis „Tosca“ ragte 2007 ein Riesenauge, das dann sogar für Daniel Craig bei James Bonds bisher einzigem Opernbesuch in „Ein Quantum Trost“ als Intrigenhintergrund diente.

2010 wurde die KZ-Oper „Die Passagierin“ uraufgeführt

Zwar musste David Pountney, was ihn bis heute schmerzt, die Pläne für Jerome Kerns sozialkritischen Musical-Dampfer „Show Boat“ begraben, aber die bereits gebaute Kulisse gibt es noch. Sie ist in dem liebevoll gemachten, kiloschweren Erinnerungsbuch „Der Fliegende Engländer“ zu sehen, das natürlich ein weiteres Pountney-Merkmal ziert: die roten Hosenträger. Der Grund fürs Umschwenken zur „Zauberflöte“ als aktuellem Spiel-auf-dem-See-Hit: Umberto Giordanos Revolutionsspektakel, wo ein ganzes Opernensemble auf der Skulptur des im See wie in seiner Badewanne sitzenden und sterbenden Marat à la David herumkraxelte, war beim Publikum ein Flop. Freilich einer mit insgesamt trotzdem 210.000 Besuchern. Die hatte dann der Rekord-Mozart allerdings schon im ersten Jahr 2013, und deshalb tat es bei einem Festival, das 75 Prozent seines Etats selbst einspielen muss, richtig weh.

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Turbulenzen mit der Festivalstiftung sowie die spektakuläre Nichtverlängerung seines Intendantenvertrages ließen 2012 für Pountney als Annus horribilis erscheinen. Schließlich blieb der Brite. Und das gerne. Hatte er doch auch im Festspielhaus, im Theater am Kornmarkt und für KAZ – „Kunst aus der Zeit“ – auf der Probebühne neue Programmlinien gelegt. Da gab es lohnende Raritäten der Moderne, was 2010 in der ergreifenden Uraufführung von Mieczyslaw Weinbergs bedeutender KZ-Oper „Die Passagierin“ gipfelte (übrigens für DVD mitgeschnitten wie sehr viele Bregenz-Produktionen). Seither folgten die von Pountney bestellten drei Auftragswerke.

Nur ein schwer lastendes Erbe muss der frohgemut scheidende David Pountney an seine Nachfolgerin Elisabeth Sobotka weitergeben: „Unsere finanzielle Situation ist sehr angespannt. Wenn die Politik nicht endlich die seit 1997 eingefrorenen Zuschüsse steigert, aus denen wir jährlich höhere Tarifabschlüsse finanzieren mussten, dann herrscht in Bregenz, wo die Festspiele ihre 23 Millionen Subventionen 40-fach via Umweg-Rentabilität einspielen, ganz schnell Land unter.“

Termine: 27. Juli, 3. August

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