Bartholomäusnacht im Maler-Atelier
Von Thomas Molke
/
Fotos von Jutta Missbach
Giacomo Meyerbeers Grand Opéra Les
Huguenots zählt zu den erfolgreichsten und bedeutendsten Werken dieser
Gattung und konnte nach der Uraufführung 1836 allein in Paris in den folgenden
Jahren über
mehr als 1.000 Aufführungen verbuchen. Dennoch hat sich das Werk, das als erste
Oper das grausame Massaker an den französischen Hugenotten in der sogenannten
"Bartholomäusnacht" vom 23. auf den 24. August 1572 vertonte, zumindest auf den
deutschsprachigen Bühnen nicht im gängigen Repertoire halten können, was zum
einen vielleicht den zahlreichen anspruchsvollen Partien zuzuschreiben ist,
deren Besetzung viele Opernhäuser an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringen
dürfte, zum anderen aber auch einem in Deutschland weit verbreiteten
Desinteresse an der französischen Grand Opéra geschuldet sein dürfte. So datiert
die letzte Inszenierung dieser Oper auf einer deutschen Bühne aus den 90er
Jahren des letzten Jahrhunderts. Peter Theiler, der schon seit Beginn seiner
Intendanz dem Staatstheater Nürnberg mit zahlreichen vergessenen Belcanto-Perlen
und Raritäten der französischen Oper ein neues Profil gegeben hat, hat nun im
Jahr des 150. Todestages von Giacomo Meyerbeer zum ersten Mal in diesem
Jahrtausend dieses Werk auf einer deutschen Bühne auf den Spielplan gestellt.
Meyerbeer überträgt mit seinem Librettisten Eugène Scribe die historischen
Ereignisse der Bartholomäusnacht auf ein fiktives Paar, das er den
unterschiedlichen Konfessionen zuordnet. Während ein Auslöser des historischen
Massakers die Hochzeit der katholischen Prinzessin Marguerite de Valois mit dem
hugenottischen Königs Henri de Navarre war, mit der die Königinmutter, Caterina
de' Medici, einen Versuch unternahm, die Kluft zwischen den beiden Religionen zu
überwinden, ist es in der Oper Marguerite de Valois, die Valentine, die Tochter
des katholischen Grafen von Saint-Bris, mit dem hugenottischen Edelmann Raoul de
Nangis vermählen möchte. Henri de Navarre kommt in der Oper gar nicht vor.
Während historisch nicht belegt ist, wer das grausige Massaker eigentlich
angeordnet hat, es sogar Theorien gibt, wonach Caterina selbst an der Planung
beteiligt sein soll, gibt die Oper eine sehr eindeutige Antwort. Valentines
Vater stiftet unter anderem aus persönlichem Hass auf Raoul, der wegen eines
Missverständnisses die Hand Valentines zurückweist, die übrigen Katholiken zum
Massaker an. Als Valentine erkennt, dass sie ihren Vater und die anderen
Edelmänner nicht zurückhalten kann, begibt sie sich zu Raoul, konvertiert zu
seinem Glauben und geht gemeinsam mit ihm in den Tod. Saint-Bris tötet sein
eigenes Kind, und selbst Marguerite kann dem grausamen Massaker nur tatenlos
zusehen.
Der Graf von Nevers (Martin
Berner, Mitte) positioniert seine Modelle (Chor und Statisterie) für das
geplante Gemälde.
Tobias Kratzer bettet in seiner Inszenierung die eigentliche Geschichte der Oper
in eine Rahmenhandlung ein. Der Graf von Nevers ist bei Kratzer ein Maler, der,
als zu Beginn der Ouvertüre zwei junge Männer für den Brudermord von Kain an
Abel posieren, der ständigen Darstellung von Gewalt in seinen Bildern
überdrüssig wird und nun gerne ein Bild des Friedens und der Harmonie schaffen
will. Auftraggeberin scheint Marguerite zu sein, die zunächst in ihrem
pastellfarbenen Kostümen an Margaret Thatcher erinnert, sich dann aber für
dieses Gemälde in die französische Königin verwandelt. Damit greift Kratzer die
Friedensbemühungen der ersten beiden Akte der Oper auf. Nevers ist eigentlich
der für Valentine bestimmte Ehemann, der aber bereit ist, auf seine Geliebte zu
verzichten, da er zum einen ihre Liebe zu Raoul erkennt, zum anderen in der von
Marguerite vorgeschlagenen Verbindung die Chance zur Versöhnung der beiden
Religionen sieht. So spielt die Handlung in einem Maler-Atelier, das im linken
Hintergrund durch große Fenster einen wunderbaren Panoramablick auf Paris
bietet. Die Katholiken und Hugenotten treten zunächst in moderner Kleidung als
Leute auf, die für das neue Bild Modell stehen wollen und beziehen ihre Kostüme
und Requisiten aus Kisten, die Nevers zu diesem Zweck auf die Bühne holt.
Doch die Figuren der Gemälde
(Chor) verselbständigen sich in Nevers' (Martin Berner) Atelier.
Doch ab dem dritten Akt verselbständigen sich die Figuren aus Nevers' Bildern.
So treten aus einer großen Leinwand kampfbereite Hugenotten heraus, die sich dem
Angriff der Katholiken stellen wollen. Die Figuren bewegen sich nun in
historisierenden Roben, die bei den Katholiken in dunklem Rot und bei den
Hugenotten in schlichtem Schwarz gehalten sind. Auch die beiden Zigeunerinnen,
die den Eklat zwischen Hugenotten und Katholiken im dritten Akt noch verhindern
können, in dem sie den Menschen anbieten, die Zukunft aus der Hand zu lesen und
bei Valentine entsetzt zurückschrecken, entsteigen einem Bild. Wenn dann die
Verschwörung der Katholiken beginnt, stürmen unheimliche Gargoyles durch die
Fensterfront ins Zimmer und verbreiten eine unheimliche Atmosphäre. Marguerite
erscheint anschließend auf einem echten Pferd auf der Bühne, um dem
kämpferischen Treiben Einhalt zu gebieten, womit der Pomp der Inszenierung
seinen Gipfel erreicht. Im Folgenden versucht Nevers immer wieder, über die sich
verselbständigenden Figuren Herr zu werden. So fängt er im vierten Akt an, seine
Bilder zu verbrennen. Doch es ist zu spät. Er selbst wird zum Spielball seiner
eigenen Figuren. Er muss nicht nur die rote Jacke der Katholiken überziehen,
sondern wird auch mit dem weißen Kreuz gekennzeichnet, mit dem die Katholiken
ihre Verbündeten für das Massaker markieren. Wenn man dann die Stadt hinter der
großen Fensterfassade brennen sieht, bleibt ihm nichts anderes übrig, als
tatenlos zuzusehen. Wenn das Massaker beginnt, legt er die Bühne mit
durchsichtiger Folie aus und überschüttet die weiße Leinwand mit roter Farbe.
Das ist das Bild, das er seiner Auftraggeberin Marguerite am Ende präsentiert.
Marguerite zeigt sich sichtlich geschockt, weil das sicherlich nicht dem
entspricht, was sie in Auftrag gegeben hat.
Liebe ohne Zukunft: Valentine (Hrachuhí
Bassénz) und Raoul de Nangis (Uwe Stickert)
Großen Respekt muss man dem
Staatstheater Nürnberg zollen, dass es in der Lage ist, die meisten Partien mit
Mitgliedern des eigenen Ensembles hochkarätig zu besetzen. Leider war Leah
Gordon aufgrund einer Allergie in dieser Nachmittagsvorstellung stimmlich nicht
in der Lage, die Partie der Marguerite zu singen. Für den Gesang konnte aber
ganz kurzfristig Laura Aikin verpflichtet werden, die die Partie vor zwei Jahren
in Straßburg mit großem Erfolg interpretiert hat. Auch in Nürnberg begeisterte
sie mit sauberen Koloraturen und dramatischen Ausdruck, während Gordon die
Partie mit überzeugender Mimik und Gestik stumm auf der Bühne präsentierte. Um
noch rechtzeitig ihren Flieger zu erreichen, musste sich Aikin schon nach dem
dritten Akt verabschieden, was für die Aufführung verträglich war, da Marguerite
danach nur noch einen stummen Auftritt hat. Unter frenetischem Applaus wurde sie
vom Nürnberger Publikum vor der zweiten Pause verabschiedet. Große
Begeisterungsstürme rief auch Hrachuhí Bassénz als Valentine hervor. Mit
dramatischem Sopran, der bis in die hohen Spitzentönen sauber klang, meisterte
Bassénz diese absolut anspruchsvolle
Partie stimmlich hervorragend und bewegte auch darstellerisch. Besonders
überzeugend gelang ihr das Duett mit Raoul, das darstellerisch zu einem Terzett
wurde, da Nevers als Beobachter in dieser Liebesszene ebenfalls anwesend war.
Wie Bassénz Martin Berner als Nevers in ihre Liebesbeteuerungen Raoul gegenüber
einbezog, und damit auch deutlich machte, welche Dankbarkeit Valentine Nevers
für sein Verständnis entgegenbringt und wie nah sich die beiden dadurch kommen,
ging unter die Haut.
Der Graf von Saint-Bris (Nikolai
Karnolsky) hat seine eigene Tochter Valentine (Hrachuhí Bassénz) getötet.
Uwe Stickert, einziger Gast der
Produktion, stattete die Partie des Raoul de Nangis mit strahlendem Tenor aus,
der sich scheinbar spielerisch in die Höhen hochschraubte. Ihm zur Seite stand
Randall Jakobsh als sein Diener Marcel mit dunklem Bass, der der
Unnachgiebigkeit des fanatischen Hugenotten mehr als gerecht wurde. Sein
angestimmter Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" avancierte zu einem
regelrechten Kampfgesang. Leider heißt es nach dieser Spielzeit in Nürnberg
Abschied von Jakobsh zu nehmen, der hier in zahlreichen Rollen zum
Publikumsliebling avancierte. Auch Martin Berner verlässt zum Ende der Spielzeit
das Ensemble und glänzte als Nevers noch einmal mit einem kräftigen Bariton, der
auch sehr weiche Töne fand, um die Milde der Figur zu unterstreichen. Auch
Judita Nagyová gab als Page Urbain ihre Abschiedsvorstellung als
Ensemble-Mitglied in Nürnberg und begeisterte noch einmal mit ihrem warmen Mezzo.
Nikolai Karnolsky überzeugte als intriganter Graf von Saint-Bris mit schwarzem
Bass. Auch die kleineren Rollen und der um Chorgäste erweiterte Chor des
Staatstheaters Nürnberg rundeten die großartige stimmliche Leistung der
Aufführung wunderbar ab. Die Staatsphilharmonie Nürnberg präsentierte unter der
Leitung von Guido Johannes Rumstadt einen fulminanten Klang aus dem Graben, der
die Protagonisten zu keinem Zeitpunkt zudeckte, so dass es am Ende lang
anhaltenden und begeisterten Applaus für alle Beteiligten gab.
FAZIT
Diese selten gespielte Oper sollte man sich in dieser Besetzung und Inszenierung
in Nürnberg keinesfalls entgehen lassen. In der kommenden Spielzeit wird die
Produktion in Nürnberg noch einige Male zu erleben sein.
Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Guido Johannes Rumstadt
Inszenierung
Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme
Rainer Sellmaier Licht
Thomas Schlegel Video
Boris Brinkman
Chor
Tarmo Vaask
Dramaturgie
Kai Weßler
Chor und
Statisterie des
Staatstheaters
Nürnberg
Chorgäste
Staatsphilharmonie Nürnberg
Solisten
*rezensierte Aufführung
Marguerite von Valois
Leah Gordon (szenisch)
Laura Aikin (Gesang)
Graf von Saint-Bris, Katholik
Nikolai Karnolsky
Valentine, seine Tochter
Hrachuhí Bassénz
Graf von Nevers, Katholik
Martin Berner
Urbain, Page
der Marguerite
Judita Nagyová
Eine Ehrendame
/ Eine Zigeunerin
Christiane Marie Riedl
Eine Koryphäe / Eine Zigeunerin
Gunta Cēse
Cossé, katholischer Edelmann
Hans Kittelmann
Tavannes,
katholischer Edelmann
Kwonsoo Jeon /
*Avi Klemberg (als Gast)
Thoré / Maurevert, katholischer Edelmann
Sébastien Parotte
De Retz,
katholischer Edelmann
Taehyun Jun
Méru,
katholischer Edelmann
Daniel Dropulja
Raoul de Nangis, hugenottischer Edelmann
Uwe Stickert
Marcel, sein
Diener
Randall Jakobsh
Bois-Rosé, hugenottischer Soldat
Yu-Sun Hong
Ein Nachtwächter
Javid Samadov
Drei Mönche
Alexander Alves de Paula
Luzuko Mahlaba
Benjamin Weaver
Zwei junge Katholikinnen
Hanna Rösler
Berenike Tölle /
*Constanze Grob
*Emilia Klix
Weitere
Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)
|