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La Gazzetta

Opera buffa in zwei Akten      
Libretto von Giuseppe Palomba
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit französischen, niederländischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere  im Théâtre Royal de Liège am 20. Juni 2014

 



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)

Kostümfest im Hotel Aquila

Von Thomas Molke / Fotos von Jacques Croisier


Obwohl Rossinis La Gazzetta zu den eher unbekannten Opern des Schwans von Pesaro zählt, dürften Teile der Musik einem Großteil des Publikums durchaus geläufig sein. So hat Rossini die Ouvertüre ein Jahr später in La Cenerentola übernommen und ein großes Ensemble aus dem ersten Akt aus dem zuvor komponierten Il barbiere di Siviglia noch einmal verwendet. Bei einer Aufführung im Rahmen des Rossini Festivals in Bad Wildbad ist man 2007 sogar so weit gegangen, dass man für ein bis dahin verschollenes groß angelegtes Quintett im ersten Akt das berühmte Sextett "Questo è un noddo avviluppato" aus dem zweiten Akt von La Cenerentola eingefügt hat. Erst im April 2012 ist in einer Bibliothek in Palermo das Quintett wieder aufgetaucht, das Philip Gossett eindeutig La Gazzetta zuordnen konnte, so dass nach fast 200 Jahren das Werk endlich wieder komplett vorlag. Bis jetzt ist es aber noch zu keiner Aufführung dieser komplettierten Fassung gekommen, so dass die Opéra Royal de Wallonie sich rühmen kann, das erste Opernhaus zu sein, welches in der Neuzeit die komplette Fassung dieser Opernrarität präsentiert. Natürlich lässt es sich der Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera nicht nehmen, hierbei selbst die Regie zu übernehmen.

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Don Pomponio (Enrico Marabelli) will für seine Tochter Lisetta (Cinzia Forte) über eine Heiratsanzeige einen reichen Mann finden.

Die Handlung spielt im Hotel Aquila in Paris. Don Pomponio, ein neureicher Händler aus Neapel, hat in der Tageszeitung "La Gazzetta" eine Annonce aufgegeben, um für seine Tochter Lisetta einen finanzkräftigen Ehemann zu finden. Zu diesem Zweck hat er sich mit seiner Tochter im Hotel Aquila einquartiert, ohne jedoch zu wissen, dass Lisetta bereits heimlich mit Filippo, dem Hotelinhaber, liiert ist. Als der junge Weltenbummler Alberto auf der Suche nach einer Frau im Hotel eintrifft und sein Interesse an Lisetta bekundet, kann Filippo Albertos Aufmerksamkeit mit viel Geschick auf Doralice lenken, die ebenfalls im Hotel logiert, weil ihr Vater Anselmo sie mit dem wesentlich älteren Monsù Traversen verkuppeln möchte. Pomponio gegenüber, der bereit wäre, Alberto als Schwiegersohn zu akzeptieren, gibt er sich als reicher Quäker aus, der für Lisetta eine noch bessere Partie darstellen würde. Da Lisetta den Quäker als Gatten natürlich ablehnt, fordert Filippo Don Pomponio zum Duell heraus. Auch Alberto gibt vor, sich mit Pomponio duellieren zu wollen, da er ihm seine Tochter zunächst zugesagt und dann sein Versprechen gebrochen habe. Die Verwicklungen gipfeln in einem großen Maskenball, bei dem sich alle als Türken verkleiden. Pomponio will die Gelegenheit nutzen, um mit seiner Tochter heimlich abzureisen, kann sie aber unter den Masken nicht erkennen. Auch Alberto und Filippo wollen den Maskenball nutzen, um mit ihren Geliebten Lisetta und Doralice heimlich zu fliehen. Doch die Geschäftsführerin Madame La Rose bringt Pomponio und Anselmo zur Einsicht, und so sind die beiden Väter bereit, Filippo und Alberto als Schwiegersöhne zu akzeptieren.

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Lisetta (Cinzia Forte) liebt Filippo (Laurent Kubla).

Wenn der Vorhang sich zu Beginn der Ouvertüre hebt, sieht man auf einem Bühnenprospekt die Hausfront des Pariser Hotels Aquila, das optisch bereits ein bisschen in die Jahre gekommen zu sein scheint, in seinem Inneren allerdings eine längst vergangene Eleganz versprüht. Jean-Guy Lecat hat über zwei Etagen eine detailverliebte Hotelhalle konstruiert, wobei zum einen eine Wendeltreppe auf der linken Bühnenseite in die erste Etage führt, in der sich zahlreiche Hotelzimmer befinden, zum anderen auch zwei Aufzüge in der Mitte der Bühne angebracht sind, die ebenfalls in die erste Etage hinaufführen. In diesen Aufzügen fahren Filippo und Lisetta zu Beginn des zweiten Aktes während ihrer Auseinandersetzung über die vermeintliche Untreue Filippos immer aneinander vorbei, bis sie schließlich am Ende ihres Duettes auf halber Höhe wieder zueinander finden. Die Rezeption auf der rechten Bühnenseite wird im zweiten Akt zu einer Bar umfunktioniert. Darüber prangt ein großer Flachbildschirm, dessen Sinn sich nicht ganz erschließt. Zwar soll damit die Handlung in die heutige Zeit übertragen werden. Warum allerdings zwischen aktuellen Nachrichten und Werbeblocks auch immer wieder Ausschnitte aus alten Produktionen der Opéra Royal de Wallonie gezeigt werden, erschließt sich nicht, zumal sie auch von der eigentlichen Handlung leicht ablenken, da man in Versuchung geraten könnte, die eingespielten Ausschnitte den vergangenen Produktionen zuzuordnen.

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Filippo (Laurent Kubla, links) und Alberto (Edgardo Rocha, rechts) fordern Pomponio (Enrico Marabelli, zweiter von rechts) zum Duell heraus (im Hintergrund zweiter von links: Tommasino (Lilo Farrauto)).

Auch kommt man kaum dazu, die Übertitel zu lesen, weil Stefano Mazzonis di Pralaferas Personenregie nicht nur die Solisten, sondern auch den Chor und die Statisterie ständig in Bewegung hält, so dass man Sorge haben muss, einen weiteren witzigen Einfall zu verpassen, wenn man auch nur kurz das Augenmerk von der Szene weg zu den Übertiteln lenkt: ob es nun ein älterer Herr ist, der einer jungen Frau nachstellt, oder Pomponios Versuch, beim Maskenball unter den Masken seine Tochter wiederzufinden. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Mazzonis di Pralafera auch Pomponios Diener Tommasino, der hier alles andere als eine stumme Nebenrolle ist. Lilo Farrauto gelingt es, mit seinem komödiantischen Spiel die Aufmerksamkeit auch dann auf sich zu ziehen, wenn eigentlich ein ganz anderer Handlungsstrang im Vordergrund steht. Wenn Filippo und Alberto Don Pomponio zum Duell herausfordern und dazu sogar mit Kanonen aufwarten, scheint Tommasino mit seinen Kopfhörern musikalisch gerade in einem ganz anderen Universum zu sein und von der Gefahr für seinen Herrn gar nichts mitzubekommen. Erst wenn am Ende im Terzett seine Bewegungen dann doch wieder auf Rossinis Rhythmus abgestimmt werden, findet er in das eigentliche Stück zurück.

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Don Pomponio (Enrico Marabelli, vorne Mitte links) sucht mit Tommasino (Lilo Farrauto, Mitte rechts) auf dem Maskenball seine Tochter Lisetta (Cinzia Forte, dritte von rechts) (auf der rechten Seite von links: Filippo (Laurent Kubla), Alberto (Edgardo Rocha) und Doralice (Julie Bailly), oben: Madame La Rose (Monica Minarelli), unten Mitte: Chor und Statisterie).

Ob die Heiratsanzeige nun zeitgemäß via Internet unter "La-Gazetta.com" erfolgen muss, ist diskutabel, zumal dieser Ansatz von Mazzonis di Pralafera nicht komplett durchgehalten wird. Zwar tippt Tommasino zu Beginn der Oper den Anzeigentext in einen Laptop. Der Chor liest später dieses Inserat allerdings nicht online, sondern auf ausgeteilten Zeitungsseiten. Wenn am Ende der Oper eine Badewanne mit der Aufschrift "Seine" auf die Bühne gefahren wird, begreift man diesen Gag erst, wenn Tommasinos Laptop am Ende in der Wanne, also im Fluss landet, was dem einen oder anderen Zuschauer, der die Abhängigkeit von der modernen Technik beklagt, durchaus aus der Seele sprechen dürfte. Die Kostüme von Fernand Ruiz sind weniger modern gehalten, sondern entsprechen eher dem traditionellen Stil der Opera buffa. Beim Kostümball am Ende der Oper schöpft Ruiz aus dem Vollen und lässt alle Figuren in aufwändigen orientalischen Gewändern auftreten.

Musikalisch lässt der Abend keinerlei Wünsche offen. Für Cinzia Forte ist die Lisetta bereits eine "alte Bekannte", hat sie die Partie doch bereits 2005 in der Inszenierung von Dario Fo im Gran Teatro de Liceu interpretiert, einer Produktion, die auch auf DVD erhältlich ist. Mit großem Spielwitz und beweglichen Koloraturen punktet sie als leicht verzogenes Mädchen und versteht es, mit ihrem Charme ihren Verehrer Filippo um den Finger zu wickeln. Besonders ausdrucksstark gelingt ihre Szene nach der vorgetäuschten Ohnmacht, wenn sie ihrem Vater schildert, wie sie im Traum auf Romulus und Aeneas getroffen sei, die als autoritäre Mächte der Antike die Haltung Pomponios missbilligt hätten. Laurent Kubla gefällt als Filippo mit fundiertem Bariton und überlegenem Spiel, das deutlich macht, wie Filippo in dieser Geschichte die Strippen zieht. Auch Enrico Marabelli stattet die Partie des Pomponio mit markantem Bass und hervorragender Komik aus. Dabei bewahrt er immer eine gewisse Haltung, selbst wenn seine Knie vor dem bevorstehenden Duell mit Filippo und Alberto im Takt zittern, oder er nicht weiß, wie er das Türkengewand anziehen soll. Edgardo Rocha punktet als Alberto mit strahlendem Tenor, der die Spitzentöne stimmgewaltig und beinahe schon ein wenig protzend  auskostet und dafür vom Publikum mit frenetischem Applaus bedacht wird. Julie Bailly überzeugt als Doralice mit warmem Mezzo. Auch die kleineren Partien sind mit Monica Minarelli als Madame La Rose, Roger Joakim als Monsù Traversen und Jacques Calatayud als Anselmo gut besetzt und wie der von Marcel Seminara einstudierte Chor den schnellen Parlando-Ensembles in vollem Maße gewachsen. Jan Schultsz lässt mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie einen spritzigen Rossini-Sound aus dem Graben erklingen und rundet den Abend musikalisch hervorragend ab.

Besondere Erwähnung soll natürlich auch noch das erstmals aufgeführte Quintett im ersten Akt finden. Lisetta glaubt, dass ihr Vater sie mit Filippo verheiraten will, da Pomponio Albertos Nachnamen falsch verstanden hat. Alberto wiederum ist verwirrt, dass Pomponio ihm Lisetta als seine Tochter präsentiert, da er doch eigentlich gedacht hat, Pomponios Tochter sei Doralice. Diese Verwirrung lässt die fünf Protagonisten gesanglich in das Quintett übergehen, das dramaturgisch und rhythmisch sicherlich mit dem berühmten Sextett aus La Cenerentola vergleichbar ist, sich in den Akkorden allerdings davon unterscheidet. Szenisch und musikalisch stellt dieses wiederentdeckte Quintett einen der zahlreichen Höhepunkte des Abends dar.

FAZIT

Der Opéra Royal de Wallonie gelingt mit diesem seltenen Rossini musikalisch und darstellerisch ein Saison-Ausklang aller erster Güte. Belcanto- und Rossini-Fans sollten sich die Möglichkeit nicht entgehen lassen, hier die erste um das Quintett erweiterte szenische Aufführung zu erleben.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jan Schultsz

Inszenierung
Stefano Mazzonis di Pralafera

Bühne
Jean-Guy Lecat

Kostüme
Fernand Ruiz

Licht
Franco Marri

Chorleitung
Marcel Seminara

 

Chor der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie

Statisterie


Solisten

Filippo
Laurent Kubla

Alberto
Edgardo Rocha

Don Pomponio
Enrico Marabelli

Lisetta
Cinzia Forte

Doralice
Julie Bailly

Madame La Rose
Monica Minarelli

Monsù Traversen
Roger Joakim

Anselmo
Jacques Calatayud

Tommasino (stumme Rolle)
Lilo Farrauto


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



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