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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden (zwei Pausen)

Premiere in der Oper Leipzig am 14. Juni 2014


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Oper Leipzig
(Homepage)
Die Frau ohne Schatten-Show

Von Bernd Stopka / Fotos von Kirsten Nijhof

Zum 150. Geburtstag von Richard Strauss steht auch auf dem Spielplan der Oper Leipzig eine Neuinszenierung seiner grandiosen Oper Die Frau ohne Schatten (liebevoll FroSch genannt),  die einen anspruchsvollen Höhepunkt der Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal bildet; als Gratulation für den Komponisten und als Geschenk zu dessen Geburtstag für das Publikum.  Aber es ist wie bei jedem Geburtstag: Nicht alle Geschenke, die man bekommt, gefallen gleichermaßen oder überhaupt. Und auch unter den Beschenkten gibt es nun einmal unterschiedliche Geschmäcker.

Ein „Bilderrausch aus über 16 unterschiedlichen phantastisch-surrealen Bühnenräumen“ von Bühnenbildnerin Heike Scheele, die in den letzten Jahren vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Stefan Herheim auf sich aufmerksam machte, wurde großspurig angekündigt. Aber nicht alle Bilder können dieses Versprechen einlösen und vieles erscheint  gar zu real. Zwar wird die gesamte Bühnenmaschinerie angeworfen – Hubpodien, Drehbühne, Bühnenwagen usw. sind im Dauereinsatz – aber was dabei herauskommt ist mehr Budenzauber als zauberhafte Oper. Dabei böte vor allem der weiße Raum mit matten Fensterfronten und marmornen Statuen, Podesten und Absätzen, der gleich zu Beginn gezeigt wird, durchaus den ästhetischen Rahmen für eine vielschichtige und spannende Regiearbeit. Doch Regisseur Balàzs Kovalik gräbt nicht in der Tiefe, sondern plustert die Oberfläche auf. Heraus kommt eine moderne Bebilderung, die eher einer Show oder einer Revue gleicht und die sich stellenweise für das Niveau gewisser privater Fernsehsender nicht zu schade ist. Die Wiedererkennungseffekte sind zahlreich und animieren das Publikum zum Kichern, Lachen und Unterhalten (mehr als einmal sah ich mich um und schaute auch, ob Popcorn mitgebracht wurde...). Eine fein gearbeitete berührende oder nachdenklich machende Personenregie sucht man vergeblich. Dafür wird der Holzhammer allzu oft bemüht.

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Baraks Welt

Eine Statue ist mit Figur und Frisur dem bekannten Bild der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, „Sissi“ genannt, nachempfunden (Aha, Kaiserin = Sissi, bekannt aus Film und Fernsehen.  Auf dieser Ebene bewegen sich die meisten Assoziationsangebote). Der Falke ist ein halbnackter Junge in roter Hose und mit roten Händeabdrücken auf dem Körper und im Gesicht. Er tritt im Laufe des Stückes immer wieder auf, wie ein stiller Beobachter, dem zwischendurch aber auch entscheidende Rollen zugewiesen werden.  Das zweite Bild zeigt die Kaiserin auf einem goldenen Bett in der Rotunde eines Schlafgemachs. Unter den Marmorstatuen finden sich zwei mit Tierköpfen, eine mit dem einer Gazelle (der Verzauberung, in der der Kaiser die Kaiserin erlegt hat) und eine mit dem einer Gans oder Ente. Kinder, die ins Leben wollen, werden von der Amme – im Hosenanzug ganz in rot, irgendetwas zwischen Mephisto und Loge (Kostüme: Sebastian Ellrich) – hinter das Bett gescheucht: „Fort mit Euch!“ Erotische Gespielinnen in Lack und Leder und rotes Licht  könnten andeuten, dass es in diesem Brautgemach bisher nur um Lust, aber nicht um das Gründen einer Familie ging.

Im eher unpraktischen Sissi-Kleid geht die Kaiserin dann mit der Amme zu den Menschen, um einen Schatten zu erkaufen. Dort trifft sie auf die Färberin, die stark an die Comedy-Figur Cindy aus Marzahn erinnert. Barak und seine Brüder sammeln und sortieren Elektroschrott – irgendwo in den Kellern der Slums oder sonst einer heruntergekommenen, zwielichtigen Gegend. Der Geisterbote beobachtet die Szene und noch mehr Kinder, die geboren werden wollen, fluten die Bühne. Die Amme weckt die unerfüllten Sehnsüchte der Färberin, die sich eigentlich frustriert und apathisch schon aufgegeben hat. Doch dann träumt sie sich, durch Zeitschriften der Regenbogenpresse und das Diadem der Kaiserin animiert, auf den Wiener Opernball (eine Kulissendrehung macht es möglich). Statt eines Jünglings wird ihr der Kaiser versprochen, der auf einer kitschigen Pferdestatue hereingeschoben wird. Immer mal wieder werden Stimmen anderen Figuren zugeordnet, hier  die Stimme des Jünglings (aus dem Off gesungen) dem Kaiser, der dazu den Mund bewegt, aber noch viel mehr wird dem Falken in gleicher Weise in den Mund gelegt. Als sich die Färberin dem Gedanken nähert, ihren Schatten tatsächlich zu verkaufen, wälzen sich die Debütantinnen des Opernballs in Leibschmerzen und die Herren rauchen.

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Kaiserin (Simone Schneider) & Barak (Thomas J. Mayer)

Im Fernsehen landen wir dann wortwörtlich, wenn die Amme zum eigentlich herbei zu zaubernden Abendessen vor laufenden Kameras und Publikum in einer Kochshow brutal Fische köpft, während Kinder in Fischkostümen mit Mikrofonen ihren Gesang bei einer Casting-Show präsentieren. Auf einem überdimensionalen, fast bühnengroßen Fernsehapparat wird die Kochshow gezeigt, doch die Färberin reißt die Mattscheibe weg und legt den Blick auf ihr bürgerliches Schlafzimmer frei, mit Fernseher, schwarz/weißem Hochzeitsbild und getrocknetem Brautstrauß, den die Färberin ihrem Mann als Abendessen aus der Bildröhre zuwirft. Während sie mit Schuhen ins Bett geht, zieht Barak sich wenigstens aus. Aber in dieser Unterwäsche würde ihn wohl keine Frau in ihr Bett lassen… Der Falke wirft den Brautstrauß wieder hoch, die Welt versinkt, der Fernseher bricht und driftet auseinander, die geteilten Ehebetten stehen auf hohen Stelzen, quasi schwebend im Raum. Eine große Gaudi, ein Spaß, die Leute lachen - auch in die zarteste Musik hinein. Ich  fühle mich, als sei ich auf der falschen Beerdigung. Aber eine Beerdigung ist es. Eine Beerdigung des Niveaus.

Nach diesem traurigen Tiefpunkt bewegt sich die Szene in eine ganz andere Richtung. Bevor Barak erscheint, zeigt die Amme der Färberin den Kaiser in drei Fernseherapparaten gleichzeitig. Das Festmahl ist dann wirklich eines: In einem lebenden Bild aus der Zeit des Biedermeiers sitzt Barak entsprechend kostümiert mit 12 Gästen an einer langen Tafel. Leonardo lässt grüßen. Die Färberin verwüstet die linke Ecke dezent, während die anderen den „Tag der Freude“ mit geradezu inbrünstiger Bosheit besingen. Als Falknerhaus dient zunächst dasselbe Bild, verändert sich dann aber zum Schlafgemach in der Rotunde, in dem der Kaiser seine im Bett schlafende Gattin töten will und das doch nicht kann. Zurück bei den Färbern sieht man die Färberin jetzt im roten kurzen Abendkleid mit Sonnenbrille. Während sie sich im ersten Akt die Nägel lackiert hat, widmet sie sich nun ihrem Lippenstift. Die Amme jagt Barak brutal eine Betäubungsspritze in den Arm, der Kaiser erscheint in einem Schlitten, der Ludwig II gefallen hätte und der von aus einem Eroscenter entlaufenen Tiermenschen gezogen wird. Die Färberin ziert sich, fährt dann aber doch knutschend und winkend mit dem Kaiser fort. Im schon bekannten weißen Raum, der bisher ja eigentlich dem Kaiserpaar vorbehalten war, irrt der Kaiser in einer Zwangsjacke umher. Baraks Brüder kommen durch Fensteröffnungen herein gekrochen. Zum  Abschwören des Schattens steigt die Färberin auf einen erhöhten Absatz, hält sich an zwei Seilen fest und wirft vielfältige Schatten. Eine Explosion mit Blitzen,  ein bisschen Bühnennebel und anschließend grellem, hellem Licht könnte eine Kernschmelze sein.

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Amme (Doris Soffel), Kaiserin (Simone Schneider), Färberin (Jennifer Wilson), Barak (Thomas  J. Mayer), Kaiser (Burghard Fritz; hinten rechts), Falke (Johannes Gosch; hinten links), Baraks Brüder (Jonathan Michie, Sejong Chang, Dan Karlström; am Boden liegend)

Auf den Enden des Abendmahlstisches liegen Barak und seine Frau. Er wieder im Biedermeierkostüm, sie im weißen Sissi-Kleid. Die lebenden Anteile des Bildes sind verschwunden  und haben weiße Flecken hinterlassen. Mit der „Stimme aus der Höhe“ zeigt der Falke den beiden den Weg. Während sie sich (bühnentechnisch eindrucksvoll gelöst) in einer Menschenmenge unter einer bühnengroßen, sich drehenden Schrägseilbrücke verlieren, verstößt erst die Kaiserin die Amme, dann der Geisterbote. Die Brücke bricht auseinander und zieht die Amme mit sich. Noch ein Spektakel der Bühnentechnik. Wieder im weißen Raum liegt der Kaiser in der Zwangsjacke unter den Trümmern der Statuen – von der marmornen Sissi bewacht. Färber und Färberin sind auch da. Sie links, er rechts. Der Geisterbote zieht einen roten Kreis um sich. Das Wasser des Lebens wird der Kaiserin in einem einfachen Glas vom Falken serviert. Nachdem sie ablehnt schüttet der Knaben-Falke das Wasser aus und stellt sich in den nun leuchtenden roten Kreis. Dass der Regisseur seinen Brecht kennt, zeigt er nun durch das Zitat des Kaukasischen Kreidekreises. Die Kaiserin lässt als Erste los (eigentlich müssten in diesem Fall doch beide Frauen loslassen bzw. gar nicht erst ziehen…, der Vergleich hinkt, aber zumindest gibt es im dritten Akt keine plumpen Mätzchen mehr). Der Kaiser befreit sich vom Marmor und von der Zwangsjacke, Wasserprojektionen mit Fischschwärmen deuten auf künftige Fruchtbarkeit hin. Doch die erste wirklich zärtliche Annäherung zwischen Färberin und Färber wird unterbrochen, indem der Falke einen knallroten Kinderwagen zwischen beide schiebt und sich hineinsetzt. Zum finalen Schlussjubel füllen Kinderwagen der verschiedensten Bauarten die Bühne. Durch die Hintertür kommt die Amme, immer noch rot gekleidet, aber mit Kopftuch und Sonnenbrille. Vielleicht wird sie ja auch die Erzieherin der nächsten Generation. Vielleicht ist das aber auch nur ein ganz netter zusätzlicher Effekt für das Schlussbild.

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Burkhard Fritz (Kaiser), Jennifer Wilson (Färberin), Komparserie

In drei Hauptpartien sind Rollendebüts zu erleben. Als Kaiserin ersingt und erspielt sich Simone Schneider einen großen Erfolg. Die Stimme blüht in unzähligen Farben, umwogt das Ohr mit üppiger Stimmsubstanz und besticht mit Stimmkultur und inniger, intensiver Ausdruckskraft in ebenbürtiger Kombination und das in höchster  Leidenschaft vom ersten bis zum letzten Auftritt. Burkhard Fritz debütiert als Kaiser, dem er eher durch edle Zurückhaltung erhabene Würde verleiht. Im lebenden  Biedermeier-Bild singt er das „Falke, Falke, du wiedergefundener…“ bildadäquat wie ein Schubertlied. Der sich anschließende Wutausbruch wirkt dann aber auch weniger wie die Eifersucht eines Betrogenen, sondern erinnert eher an Amfortas Klage. Eine sehr individuelle Gestaltung der Partie, die durchaus ihre Reize hat, wenn Höhen nicht metallisch, sondern eher sanft strahlen. Thomas J. Mayers volltönender, kerniger Bariton, der auch über ganz samtige Töne verfügt, ist geradezu geschaffen für den unglücklich liebenden Handwerker Barak. Eine der rundesten Leistungen des Abends. Als Färberin gibt Jennifer Wilson ihr Rollendebüt. Sie versucht die Partie oratorienhaft schön zu singen, was ihr auch durchaus gelingt. Vor allem zu Beginn des dritten Aktes klingt das traumhaft. Aber sie bleibt merkwürdig blass und wirkt – bis auf wenige prägnante und offensichtlich schon intensiver studierte Passagen – oft unbeteiligt und eher mit der Bewältigung der Partie befasst, als mit ihrer intensiven Ausgestaltung. Es wird sicher spannend, sie in einigen Jahren als Färberin zu erleben. Vor einigen Jahren war Doris Soffel eine hinreißende Amme, die die Partie gesanglich  intensiv ausgestaltete. Inzwischen sind ein paar herbere und brüchige Töne dazugekommen und man hat auch den Eindruck, dass sie häufiger deklamiert. Nicht nur dadurch wirkt sie eher wie eine böse Intrigantin und lässt die verführerisch-dämonischen, unheimlichen Anteile der vielschichtigen Figur vermissen. Aber sie hat nichts von ihrer enormen Bühnenpräsenz verloren und lässt auch immer wieder klangschön ausgesungene Passagen hören. Luxuriös üppig und stimmvoll klingt das Terzett der Wächter mit Sejong Chang, Jonathan Michie und Tuomas Pursio, der auch als Geisterbote einen guten Eindruck hinterlässt. Die weiteren Partien sind gut bis ordentlich besetzt.

Ulf Schirmer hat mit dem Gewandhausorchester ein exzellentes Orchester zur Verfügung, das technisch brillant und im Ausdruck zu feinsten Differenzierungen fähig ist. Wie schade, dass er das nicht nutzt. Denn das, was aus dem Graben tönt, ist genauso oberflächlich, uninspiriert und grob wie das, was auf der Bühne zu sehen ist. Schirmer setzt auf (oft billige) Effekte und interessiert sich wenig für die Ausgestaltung der Feinheiten, für große Bögen oder gar den Sog und Zauber, den diese Musik entfesseln kann. Im dritten Akt zeigt er zwar eine sensiblere, emotionalere Herangehensweise (wer kann sich dem dort schon verweigern), aber der Zauber geht trotzdem flöten.  Damit zeigt sich das Dirigat zu Bühne adäquat. Wer das mag und sich ohne Tiefgang einfach nur gut unterhalten lassen möchte, kann ja Andrew Lloyd Webber animieren „Die Frau ohne Schatten – Das Musical", Untertitel:  „Wie Cindy aus Marzahn Sissi beinahe ihren Schatten verkauft hätte“ zu schreiben. Das Werk von Hofmannsthal und Strauss ist für eine Umsetzung, wie sie in Leipzig derzeit gezeigt wird, einfach zu schade.

FAZIT

Eine willkürlich wirkende Aneinanderreihung von Bildern und Szenen, die mit aufwändiger Bühnentechnik aber flachem Niveau eher an eine Show oder eine Revue erinnern, die gelegentlich die Grenzen zur Persiflage überschreitet.  „…es ficht ihn nicht an die Tiefe und das Geheimnis!“ gilt gleichermaßen für Regisseur und Dirigenten. Simone Schneider singt eine großartige Kaiserin, Thomas J. Mayer einen tollen Barak.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulf Schirmer

Inszenierung
Balázs Kovalik

Bühne
Heike Scheele

Kostüme
Sebastian Ellrich

Licht
Michael Röger

Video
Valerio Figuccio

Chor
Allessandro Zuppardo

Kinderchor
Sophie Bauer

Dramaturgie
Christian Geltinger

 

Gewandhausorchester Leipzig

Chor und Kinderchor
der Oper Leipzig

Komparserie der Oper Leipzig


Solisten

Der Kaiser
Burkhard Fritz

Die Kaiserin
Simone Schneider

Die Amme
Doris Soffel

Der Geisterbote
Tuomas Pursio

Hüter der Schwelle des Tempels
Paula Rummel

Stimme eines Jünglings
Sebastian Fuchsberger

Stimme des Falken
Olena Tokar

Eine Stimme von oben
Sandra Janke

Barak, der Färber
Thomas J. Mayer

Färberin, seine Frau
Jennifer Wilson

Der Einäugige
Jonathan Michie

Der Einarmige
Sejong Chang

Der Bucklige
Dan Karlström

Drei Dienerinnen
Paula Rummel
Olena Tokar
Sandra Janke

Stimmen der Ungeborenen
Hitomi Okuzumi
Livia Seidel
Ulrike Thamm
Catrin von Rhein
Eliza Rudnicka

Stimmen der Wächter
Sejong Chang
Jonathan Michie
Tuomas Pursio

Falke
Johannes Gosch


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Leipzig
(Homepage)



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