Bild nicht mehr verfügbar.

Bejun Mehta, Paul Lorenger (re.).

Foto: APA/ARMIN BARDEL

Wien - Regisseur Claus Guth ist ein hellsichtiger Psychologe und Erzähler von Doppelgeschichten: Führte er etwa Wagners Tannhäuser an der Staatsoper als delirierenden Patienten in eine Krankenanstalt, ließ er in Salzburg Don Giovanni gleich zu Beginn tödlich verwunden, so schwingt bei Guths - elegant aus der Musik heraus entwickelten - Inszenierungen die "Urgeschichte" immer mit. Die eigene Story und die komponierte, sie kommunizieren elegant.

Bei solch Befähigung zum Erfinden von Geschichten wundert es kaum, wenn Guth bei einem szenisch umzusetzenden Oratorium wie Händels Messiah zu hoher Fantasieform aufläuft und dem biblischen Text eine Geschichte überstülpt, welche die letzten Fragen aufleuchten lässt, indem heutige Figuren existenziellen Grenzsituationen ausgesetzt werden.

Im Theater an der Wien trifft sich eine Trauergemeinschaft im Begräbnisraum, in den sich der Priester (intensiv, aber nicht immer sicher Charles Workman) zunächt nicht hineintraut. Er leert den Flachmann, ist eine schuldgeplagte Kreatur - in einer Rückblende erfährt man auch warum: Er hat den nun Toten nicht retten können. Selbigen plagten ruinöse Finanznöte, zudem ging seine Frau ein Verhältnis ein - in einem Hotelzimmer schnitt er sich die Pulsadern auf.

In traumartigen Sequenzen lässt Guth Lebens- und Leidensstation der auch nach ihrem Tod geisterhaft auftretenden Figur (hohe Präsenz Paul Lorenger) in einem Raum herumschwirren, der aus Zimmern und Türen besteht und durch die Drehbühne (Christian Schmidt) eine reizvolle szenische Durchlässigkeit erlaubt.

Betrügende und betrogene Ehefrauen sieht man da (sehr respektabel Maria Bengtsson und Ingela Bohlin), auch zwei Brüder (sehr eindringlich Florian Boesch und Bejun Mehta). Und der Chor, von Guth mit vieldeutiger Gestensprache ausgestattet (intensiv der Schönbergchor, intonatorisch jedoch nicht immer sauber), wird als kommentierende und Leid bezeugende Masse zu einer szenischen Säule der wiederaufgenommenen Produktion aus dem Jahre 2009.

Auch das Verhältnis von neuer Geschichte und Oratoriumstext wirkt nicht verkrampft: Sensibel hat Guth um die Worte herum psychologische Porträts ersonnen, wodurch etwa die Anrufung Gottes als plausibler Ausdruck von Verzweiflung durchgeht. Und da Les Talens Lyriques unter der Leitung von Christophe Rousset eine prägnante, dynamische Leistung bot, wurde es, was man einen gelungenen Abend nennt. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 16.4.2014)