Mit „Halleluja“ zurück in die traurige Gegenwart

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Rückkehr einer Erfolgsproduktion: Entlang von Händels „Messiah“ erzählt Claus Guth eine schmerzlich-poetische Familienstory, die über musikalische Schwächen hinwegtäuscht.

„And we shall be chang'd“: Mit der Strenge und Inbrunst eines alttestamentarischen Propheten steigt Florian Boesch auf die innerhalb seiner Familie aufgerichteten Barrikaden, um sie niederzureißen – indem er nicht nur diese oft wiederkehrende Textstelle, sondern die ganze Bassarie „The trumpet shall sound“ mit lodernder Kraft erfüllt. Handgreiflich will er die Veränderung erzwingen, zu der im 1. Korintherbrief die „letzte Posaune“ ruft, wie Luther übersetzt hat. Es könne doch nicht sein, dass der Tod des Bruders, Ehemannes und Schwagers bei den Hinterbliebenen keine fundamentale Umkehr bewirke: Die vergleichsweise kleinen Verletzungen durch Ehebruch und Schuldzuweisungen, sollten sie im Angesicht eines furchtbaren, vorzeitigen Lebensendes nicht verblassen und einem Neuanfang weichen können?

Es ist, auch dank Boeschs darstellerischer Intensität, die stärkste Szene in der theatralen Deutung von Händels Oratorium „Messiah“ durch den Regisseur Klaus Guth. 2009 feierte diese kühne säkular-existenzielle Neudeutung des sakralen Stoffes im Theater an der Wien Premiere. Nun kehrte sie, im Graben und teils auch auf der Bühne neu besetzt, zur Freude des Publikums zurück. In der Zwischenzeit hatte Guth sich hier, wieder mit dem Dramaturgen Konrad Kuhn und in der Ausstattung von Christian Schmidt, auch an Schuberts Fragment „Lazarus“ gewagt, es aber nicht annähernd in gleicher Weise zu szenischem Leben erwecken können.

Begräbnis gleich zu Beginn

Das Original hat aber nichts von seiner teils verblüffenden Wirkung eingebüßt. „Messiah“ ist ja, weil das Werk ohne handelnde Personen auskommt und sich ganz in Reflexionen von Schriftworten ergeht, Händels eigenartigstes Oratorium. Die Technik des frommen Librettisten Charles Jennens, Bibelstellen assoziativ zu collagieren, interpretieren Guth & Co. gleichsam als Sanctus, eine eigene Geschichte unserer Zeit dazuzuerfinden, die sich auf der glänzend genützten Drehbühne in einem Saal und nüchternen Zimmern und Gängen abspielt: eine Familie, drei Brüder, zwei bürgerlich angepasst, einer das schwarze Schaf, Liebesnöte und eine berufliche Katastrophe.

Das Begräbnis gleich zu Beginn etabliert die schmerzliche Grundstimmung, worauf eine große Rückblende die Vorgeschichte klarmacht, die ausgerechnet zum „Hallelujah“-Chor in die Trauer der Gegenwart zurückfindet. Großen Anteil an der poetischen Kraft des Abends hat die Gebärdensprache, die Nadia Kichler für stumme, aber expressive Volksreden nützt und die auch der Arnold Schoenberg Chor immer wieder aufzugreifen hat: Nach fulminanten Leistungen (zuletzt in „Platée“) wackelt diesmal zwar manches, was den Abend aber nicht nachhaltig trübt. Dieser lebt ohnehin, Dirigent Christophe Rousset und das Ensemble Les Talens Lyriques ließen mit ihrer gediegenen Leistung keinen Zweifel daran, vor allem von den Protagonisten, wobei zumal im Gesang von Bejun Mehta die emotionale Dringlichkeit im Zweifel stets über die Schönheit triumphiert. Maria Bengtsson und Ingela Bohlin sind die ungleichen Schwägerinnen, Charles Workman ist der zweifelnde Priester, Paul Lorenger der tanzende Tote: erbauliche drei Stunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

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