"Arabella": Hofmannsthals aberwitzige poetische Ansprüche

SALZBURGER OSTERFESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ARABELLA
SALZBURGER OSTERFESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ARABELLAAPA/Neumayr/MMV
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In Salzburg scheitert man an einem offenbar völlig unzeitgemäßen Stück. Obwohl Christian Thielemann versucht, die filigranen Richard-Strauss-Klänge den ungeeigneten Reitschuldimensionen des Festspielhauses anzupassen.

„Ein Brief für Sie“, sagt der Diener. Bei Hofmannsthal heißt es: „Da wär' ein Billett für Euer Gnaden.“ Diesen Unterschied, wie man so schön sagt, möcht ich Klavier spielen können. Dann dürfte ich als Korrepetitor mit den Festspielsängern vielleicht „Arabella“ einstudieren.

„Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied“, heißt es in einem andern Werk des Duos Hofmannsthal/Strauss – da ist die ganze Malaise schon vorausgeahnt. Wer „Arabella“, dieses zutiefst wienerische Stück, bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen erlebt, der ahnt: „Arabella“ geht wahrscheinlich gar nicht mehr. Heutzutage. Das Stück ist so unmöglich geworden wie auf dem Sprechtheater Schnitzler; oder Hofmannsthals eigener „Schwieriger“.

Der „unmögliche“ Wiener Ton

Unmöglich, weil keiner mehr den Tonfall trifft. Und wer den Tonfall nicht trifft, sagt irgendwann vorsichtshalber gleich „ein Brief für Sie“ statt „ein Billett für Euer Gnaden“. Und schon ist die „Arabella“ futsch.

Albert Dohmen als Graf Waldner! Jeder Zoll kein verarmter Wiener Adeliger. Keiner der ihn Umgebenden ist Teil jener artifiziellen Imagination einer kakanischen Gesellschaft um 1860, wie der Dichter sie konstruiert. Gewiss: Dieses Wien ist so erdichtet wie der Weiterbestand der Donaumonarchie nach 1918 im „Schwierigen“. Und gerade darum trifft Hofmannsthal mit seinem letzten Libretto den Nerv einer Epoche.

Wer das nicht begreift, nicht begreifen will, der darf diese „Arabella“ gar nicht anrühren. Das Stück hat keinen Sinn, wenn man es zu verpflanzen versucht. Martina Segna, die Bühnenbildnerin dieser Koproduktion mit der Dresdner Semperoper (dem Uraufführungshaus!), lässt die Geschichte in der Art-déco-Zeit spielen. Und da spielt sie nicht.

Da lässt sie sich nicht spielen. Florentine Kleppers Inszenierung vermittelt denn auch nicht im Geringsten die Atmosphäre, die Hofmannsthals Kunstfiguren brauchen, um für drei Stunden natürlich zu wirken. Wo psychoanalytischer Müll auf der Hinter- oder Seitenbühne lagert, wartet keine kapriziöse Comtesse auf den „Richtigen“.

Das Problem: Der „Richtige“ kommt

Es stimmt schon: Was sich der Wiener Dichter für den bayerischen Komponisten Ende der Zwanzigerjahre hat einfallen lassen, ist alles andere denn ein Drama für moderne Zeiten. Dass eine überspannte, durchaus auch zum Zynismus neigende junge Dame sich etwas in den Kopf setzt, was dann wirklich eintritt, wirkt auf uns Heutige nicht unbedingt wie ein Krimi: Der ersehnte Idealtyp erscheint und wird nach einigen Verwirrungen Arabellas Ehemann.

Auf diese Weise werden auch die durch väterliche Spielschulden maximierten Finanzprobleme der gräflichen Familie gelöst, denn der Freier ist nicht nur fesch, sondern auch steinreich. Dergleichen wirkt für heutige Begriffe so undramatisch wie der Bestellvorgang im Fast-Food-Restaurant. Es bedürfte einiger stilistischer Jongleurkunst, um begreiflich zu machen, was einen Komponisten wie Richard Strauss, der ja durchaus Realist und Theaterpraktiker war, just an diesem Sujet gereizt hat. An der scheinbaren Abstrusität liegt eben der Reiz von Hofmannsthals filigraner Poesie! Zwischen den Zeilen ließe sich die Wahrheit über eine Epoche ablesen.

Davon ist auf der Salzburger Festspielbühne gar nichts zu sehen. Leider ist die Poesie auch musikalisch nur in wenigen, ausgewählten Momenten zu erahnen. Immer dann, wenn Christian Thielemann seiner Dresdner Staatskapelle die entsprechend morbiden, fein differenzierten Klänge entlockt – in der Finalszene des dritten Akts vor allem. Aber da ist die Aufführung als Ganze schon verschenkt, verpufft, denn das große Festspielhaus ist denkbar ungeeignet für den behutsamen Konversationston dieses Stückes.

Die diesbezüglichen Irritationen heben an, sobald sich der Vorhang hebt. Anfangs denkt man noch, der Sopran Hanna-Elisabeth Müllers, die als Zdenka debütiert, sei einfach überfordert mit den Reitschuldimensionen, die sie zu monochromem Forcieren zwingen, damit die Stimme überhaupt hörbar wird.

Dann lernt man aber bald: Selbst altgediente Profis wie Renée Fleming und Thomas Hampson, vor eineinhalb Jahrzehnten so etwas wie die internationale Standardspitzenbesetzungen für ihre Partien, haben ihre liebe Not! So zurückhalten kann Thielemann seine Musikanten gar nicht, dass mancher Ton der Arabella unhörbar bleibt – und so gut wie kein Wort verständlich wird. Schon wird klar, warum der Text nicht nur in der englischen Übersetzung, sondern auch im Original mitläuft.

Gebremste Sängerenergie

Sogar Thomas Hampson scheint selbst im hohen Register allzu kräftig attackieren zu müssen; freilich ist er der Einzige, der – wohl aus früheren Inszenierungen – so etwas wie Haltung und Stil auf die Bühne zu bringen imstande ist.

Das wiederum ist eine Umwertung aller Werte. Der Mandryka sollte ja der „halbe Bauer“ sein, der ungehobelte Eindringling in die scheinheilige Fassadenwelt der Ringstraßenepoche. Nicht so hier. Dem Grafen Elemér (Benjamin Bruns) fehlt jegliche Noblesse, er grapscht bei jeder Begegnung nach der begehrten Arabella. Und dem Matteo Daniel Behles (stimmlich, wie sein Tenorkollege, exzellent) konnte oder wollte niemand beibringen, wie sich ein kaiserlicher Offizier verhält.

Ein Gefühl wie Wiedersehensfreude hilft uns nicht weiter. Natürlich ist es fein, dass der einst blühende, lyrische Sopran von Gabriela Benackova sich nun in die Gräfin-Mutter Adelaide verwandelt und auf die Festspielbühne zurückkehrt. Dass Daniela Fally eine brillante Fiakermilli ist, wissen wir aus Wien. In Salzburg darf sie nun sämtliche G'stanzeln singen und jodeln, die Richard Strauss ihr zugedacht hat. Sogar das Finale des zweiten Akts wird gespielt, obwohl die Aufführung, wie seit Clemens Krauss' dramaturgischer Rettungsaktion üblich, pausenlos in den dritten übergeht.

Genug von diesem merkwürdigen Fall einer Opernthemenverfehlung. Die Osterfestspiele gehen heute und morgen mit Konzerten unter Christian Thielemanns Leitung weiter. Einer Hommage an den Jahresregenten Richard Strauss – Anja Harteros singt die letzten Lieder inklusive der nachgelassenen „Malven“ – folgen Mozarts „Requiem“ nebst Strauss' „Metamorphosen“ und eine Novität von Wolfgang Rihm. Der Abonnementzyklus wiederholt sich inklusive eines von Christoph Eschenbach dirigierten Konzertes ab Karfreitag noch einmal.

Nächstes Jahr wird Jonas Kaufmann unter Thielemanns Leitung in einer Inszenierung Philipp Stölzls die beiden Tenorpartien im Duo „Cavalleria rusticana“ und „Bajazzo“ singen. Da heißt es dann auch auf der Bühne: frohe Ostern. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2014)

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