Hochglanz schützt vor Niedergang nicht

Die Salzburger Osterfestspiele brachten dieses Jahr «Arabella» von Richard Strauss heraus: eine missglückte Übung. Amsterdam zeigt derweil, wie sich mit diesem schwierigen Stück umgehen lässt.

Peter Hagmann
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Viel Glanz und allzu viel Routine sah man bei der Salzburger «Arabella». Im Zentrum Renée Fleming in der Titelrolle und Gabriela Beňačková als Adelaide. (Bild: PD)

Viel Glanz und allzu viel Routine sah man bei der Salzburger «Arabella». Im Zentrum Renée Fleming in der Titelrolle und Gabriela Beňačková als Adelaide. (Bild: PD)

Ein zweiter «Rosenkavalier» hätte es werden sollen, eine Wiederholung des Erfolgs von 1911. Allein, der erste Akt, den Hugo von Hofmannsthal 1928 Richard Strauss zeigte, behagte dem Komponisten ganz und gar nicht. Und kaum war das Libretto im Sommer 1929 dann doch abgeschlossen, starb sein Verfasser und sah sich Strauss auf sich selbst gestellt: allein mit einem Textbuch, das voller dramaturgischer Schwächen ist und sich in seinem zweiten Teil merklich in die Länge zieht. Handwerker, der er auch war, hat sich Strauss dadurch nicht wirklich beirren lassen, aber eine Oper auf der Höhe seiner Inspiration ist ihm mit «Arabella» nicht gelungen. Das gehört zu den Schwierigkeiten, die mit diesem Stück verbunden sind.

Nostalgie

Dazu kommt der retrospektive Grundzug, der eine nostalgische Rezeptionshaltung befördert. Kritisch blickt Hofmannsthal auf die von ihm skizzierte gesellschaftliche Situation von 1860. Eine adlige Familie, die an der Spielsucht ihres Oberhaupts leidet, die zudem nicht zwei Töchter standesgemäss vorführen zu können glaubt und darum die Jüngere zum Buben macht – das zeigt Zerfallserscheinungen der ärgeren Art. Den Lichtblick bildet hier Arabella, die ältere Tochter. Sie sucht nach dem Kern ihres Wesens und grenzt sich ab von den Vorspiegelungen ihrer Umgebung. Mit ihrer Sehnsucht, den einzig Richtigen zu finden und ihm voll und ganz untertan zu sein, steht sie freilich für ein inzwischen doch etwas relativiertes Frauenbild ein. Strauss seinerseits folgt dem Librettisten auf dem Fuss, indem er die schräge familiäre Situation, die zu Beginn exponiert wird, in herbe Klänge fasst, die Vision der erfüllten Partnerschaft dagegen in trunkene Dreiklangsharmonik kleidet. Darin kann man ebenso versinken wie in der durch das Stück beschworenen Walzerseligkeit.

Indes, so wie hier geschildert, muss es nicht sein, auch wenn es in den allermeisten Produktionen von «Arabella» so ist. Auch dieses Stück hat seine tieferen Schichten – und genau dafür hat sich seinerzeit mit der ihm eigenen Insistenz der Regisseur Christof Loy interessiert. 2006 hat er in Göteborg eine Inszenierung von «Arabella» entwickelt, die drei Jahre später nach Frankfurt gelangt ist – und die jetzt, in wiederum neuer Besetzung, durch die Niederländische Nationaloper Amsterdam ein weiteres Mal zur Diskussion gestellt wird. Das ist verdienstvoll, weil hier ein fruchtbarer Deutungsansatz verfolgt wird – und es ist reizvoll, weil die Produktion sozusagen auf den Tag genau neben die diesjährige Premiere der Osterfestspiele Salzburg zu stehen kommt. Und in Salzburg wird das Stück mit allem, was bekannt und teuer ist, aber schrecklich langweilig auf die Bühne gebracht.

Gewiss ist die Sächsische Staatskapelle Dresden, die seit 2013, nachdem die Berliner Philharmoniker ins Festspielhaus Baden-Baden gewechselt haben, zusammen mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann die Osterfestspiele Salzburg bestreitet, das bessere Orchester als das Nederlands Philharmonisch Orkest, das für den Abend in Amsterdam engagiert ist. Doch wird auch von der Wunderharfe Richard Wagners mit Wasser gekocht, was die Mängel im Zusammenspiel und in der Intonation hören liessen. Aber der Klang dieses Orchesters hat schon sein Besonderes, und Thielemann stellte ihn auch mit allem Stolz heraus. Sängerfreundlich war das nicht, im Salzburger Grossen Festspielhaus herrschte vielmehr der Eindruck einer problematischen Dominanz des Instrumentalen. Überdies wirkte das Ziselierte der Tonsprache von Strauss über weite Strecken massiv und vergröbert – was immerhin den Zug ins Nostalgische kräftig dämpfte.

Reduktion

Auch in Amsterdam findet «Arabella» zu kräftiger Kontur, gleichzeitig aber auch zu weit aufgefächerter Nuancierung. Marc Albrecht, der die neue Musik nicht meidet und gerade darum am Spätromantischen besondere Seiten entdeckt, hat nicht nur im Technischen äusserst sorgfältig gearbeitet, er bringt auch farbliche Nuancierungen ein, die das strukturelle Denken hinter der Sinnlichkeit ans Licht heben. Vor allem aber erzeugt er einen enthusiastischen Aufbruchston, der die Situation Arabellas als einer jungen Frau vor dem Schritt ins Leben genau trifft. Nicht zuletzt nimmt der Dirigent damit feinnervig den Faden auf, den der Regisseur ausgelegt hat. Christof Loy befreit das Stück von seinem Altwiener Kolorit und reduziert es auf seinen Kern; die «lyrische Komödie», die Hofmannsthal und Strauss im Sinn hatten, findet von diesem Ansatz aus besonders plausible Verwirklichung. Tatsächlich mag man hier glauben, dass auch eine Frau von heute, so sie denn auf ihren Richtigen gestossen ist, diesem Gegenüber mit Haut und Haar angehören möchte.

Spielort ist bei Loy und seinem Ausstatter Herbert Murauer ein leerer, hochweisser Kasten, der sich über die gesamte Bühnenbreite erstreckt. Die in verschiebbare Segmente aufgeteilte Rückwand und dahinter horizontal bewegliche Räume schaffen in rascher Folge ganz unterschiedliche, atmosphärisch dichte Einblicke. Das Dekor, das die Ikonografie von «Arabella» prägt, der Kronleuchter, der Frack, die grosse Robe, das alles bleibt bis zum Ball des zweiten Akts ausgespart; stattdessen gibt es Kleidung von heute, was dem Zuschauer erlaubt, die auf der Bühne erzählte Geschichte an sich heranzulassen. Und wie diese Geschichte erzählt wird, darin liegt das Meisterliche der Inszenierung. Die Darsteller agieren ganz so, wie es Menschen tun, sie sind keine Theaterfiguren und schon gar keine Opernsänger. Dadurch erhält manche Stelle, die gewöhnlich etwas lächerlich wirkt, ihre ganz eigenartige Dringlichkeit.

Das ist es, was der Salzburger Produktion so gründlich fehlt: Dringlichkeit. Florentine Klepper mag eine begabte junge Regisseurin sein, mit den Diven und den Sängerfürsten auf der Bühne ist sie nicht zurande gekommen. So herrscht in der Salzburger «Arabella» die Routine des Opernalltags, jenes noble Outrieren, von dem sich die Gattung allzu selten befreit. Unterstrichen wird der konventionelle Zug dadurch, dass die Regisseurin zusammen mit Martina Segna (Bühne) und Anna Sofie Tuma (Kostüme) das Stück in einem Fin de Siècle spielen lässt – die Verlegung der Szenerie von 1860 in den Jugendstil von 1910 ändert daran rein gar nichts. Kronleuchter, Frack und Robe erfüllen ihre Funktion als Metaphern der mehr oder weniger guten alten Zeit. Und selbst die Tatsache, dass in Salzburg die haargenau gleiche szenische Grundkonfiguration wie in Amsterdam verwendet wird, dass auch hier ein in der Horizontale beweglicher Wagen die Illusion des filmischen Schnitts erzeugt, bringt keinen Gewinn, es demaskiert sich vielmehr als wohl unwillkürliche Kopie.

Grenzwerte

All das bliebe noch durchaus im Rahmen der Salzburger Osterfestspiele, hielte das vokale Profil das gewohnte Niveau. Doch nicht einmal das. Renée Fleming (Arabella) hat den Glanz ihrer Stimme verloren, Thomas Hampson (Mandryka) ringt verzweifelt mit der Höhe und der Intonationssicherheit – beide können sie einem leidtun. Dass hier von einem Aufbruch junger Menschen die Rede ist und von der Echtheit ihrer Gefühle, wer sollte es ihnen glauben? Voll zur Geltung kommt es dagegen bei Hanna-Elisabeth Müller (Zdenka) und Daniel Behle (Matteo), die beide in einem herzerfrischenden vokalen Frühling stehen. Altgedient und mit klingenden Namen versehen, aber auch wohlausgestattet mit in langjähriger Praxis gewachsenen Macken Albert Dohmen (Waldner) und Gabriela Beňačková (Adelaide).

Amsterdam beschreitet andere Wege – muss es tun, denn die Kassen dort sind durchaus anders bestückt als in Salzburg. Es bringt aber geradezu sensationellen Gewinn. Dass Will Hartmann seinen Matteo förmlich herausschreit, kann man, wenn man will, als interpretatorische Absicht akzeptieren; nötig wäre es nicht. Weitaus interessanter ist der Ansatz, den Agneta Eichenholz als Zdenka wählt: den der stimmlichen Innigkeit; in der Katastrophe des Finales führt sie zu einem tief berührenden musiktheatralischen Moment. Souverän das Elternpaar mit Alfred Reiter (Waldner) und Charlotte Margiono (Adelaide). Dem vergleichsweise hell timbrierten Waldner begegnet hier ein Mandryka, der aus der Tiefe seiner fernen Wälder zu agieren scheint: James Rutherford ruht mit seinem runden, dennoch beweglichen Bass so in sich, wie es die Figur des von aussen in die Wiener Gesellschaft einbrechenden Landadligen tun soll. Das ist ebenso befriedigend wie die strahlende Erscheinung von Jacquelyn Wagner (Arabella), die über ein betörendes Timbre, eine fabelhafte Technik und eine untadelige Diktion verfügt. An diesem Ensemble mag einem bewusst werden, wie sehr die Salzburger Osterfestspiele in sich gefangen sind.