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Bei Feldmarschalls wird renoviertVon Bernd Stopka / Fotos: Staatstheater MeiningenDas Südthüringische Staatstheater Meiningen blickt auf eine intensive, die Theaterwelt prägende Geschichte zurück und fühlt sich nach wie vor der Tradition verpflichtet, das Feuer weiterzugeben und nicht die Asche anzubeten. Ging von hier einst beispielsweise die revolutionäre Ablösung des pathetischen Deklamierens zu Gunsten des natürlichen, menschlich darstellenden Sprechens aus, ist es heute die Weiterentwicklung des Regietheaters, mit der man neue Wege und Zugänge zu bekannten und unbekannten Werken sucht. Doch wer neue Pfade beschreitet, muss auch damit rechnen, gelegentlich in einer Sackgasse zu landen – so wie es dort jetzt mit dem Rosenkavalier passiert ist, der allenfalls einen herausragenden Platz auf der Negativliste bemerkenswerter Meininger Produktionen erhält – für den ein schnelles Vergessen jedoch gnädiger wäre. Lever Regisseur Rudolf Frey will sich auf den Aspekt der Zeit und des Zeitlichen konzentrieren, der den Rosenkavalier wie kein anderer Gedanke beherrscht – trotz seiner Vielfalt und Brüche das große Ganze aber nie in Frage stellt. Zusammen mit Bühnenbildner Christian Rinke hat Frey als beherrschendes Bild hierfür einen Raum gefunden, der durch halbfertige Restaurierung und/oder Renovierung Zeiten und sogar Zeitalter miteinander vermengt oder kommunizieren lässt. Ein bisschen so, wie wenn man ein Zimmer renoviert und beim Abreißen der Tapete Reste vorhergegangener Wandverzierungen findet. Die rechte Seite ist in schmucklosem aber edlem Weiß fast fertig. Nur dezent variiert, umschließen diese Wände alle drei Szenenbilder. Durch den fleißigen Einsatz der Drehbühne entstehen für die intimeren Momente zwei weitere Spielorte: Die Außenfassade einer Rotunde und ein durch ein dunkles Holzgerüst charakterisierter Spielort, der wie der Blick von der Hinterbühne auf die Rückwand des Szenenbildes wirkt. Der erste Akt zeigt im Hintergrund eine hohe Leiter und einen Plastikschutzvorhang. Octavian und die Marschallin haben offensichtlich die zu einem weichen Lager zusammengeknüllte neue textile Wandbespannung von einer riesigen Rolle als Liebeslager benutzt. Es wirkt arg befremdlich, dass in dieser Umgebung das Frühstück serviert wird und das Lever stattfindet. Mohammed ist ein wohlgebauter Erwachsener und so wie er der Marschallin das Korsett zuknöpft, hatten die beiden auch schon einmal etwas miteinander. Völlig reizlos und unlogisch erscheint das Abfang-Spiel zwischen dem sich bis zur Peinlichkeit albern gebarenden Octavian-Mariandl und Baron Ochs, der obendrein ein unflätiger grobschlächtiger Kerl ist. (Ich dachte und hoffte, dieses Bild vom Baron Ochs hätten wir längst hinter uns gelassen). Dass sich die adeligen Waisen mit der Marschallin auf einem zwischenzeitlich hergerichteten Kissenlager aalen und Pakete, vorwiegend mit Schuhen, auspacken, ist ebenso unangemessen wie der Tanzreigen unterm Sonnenschirm zur zweiten Strophe des Sängers (ohne Flötisten auf der Bühne). Beim energischen „Als Morgengabe“ fallen alle um. Ganz toll. Eine der intimsten Szenen der Opernliteratur – der Zeitmonolog und die anschließende Szene Marschallin/Octavian finden stehend auf einer Baustelle statt oder hinter den Kulissen oder in einem Hausflur – egal, was gemeint ist, es passt einfach nicht. Zeitlich ist der erste Akt schwer einzuordnen, Kostüme des 18. Jahrhunderts stehen dem Plastikvorhang und dem Telefon entgegen, durch das die Marschallin Octavian noch einmal zurückzurufen versucht. Carolina Krogius (Octavian), Elif Aytekin (Sophie), Sonja Freitag (Leitmetzerin) In einem Schreibbüro der zwanziger Jahre (Kostüme: Elke Gattinger) verschachert Chef Faninal seine Tochter, fleißig unterstützt von Bürovorsteherin Frau Leitmetzerin. Zu Beginn wird die Musik vom Schreibmaschinengeklapper gestört, später dann nur noch durch gelegentliches Klappern im Orchester. Die Lerchenauer fallen nicht über die Sekretärinnen her, sondern schieben mit ihnen blöde Polonäse. Nachdem Baron Ochs Octavian den Säbel seines Dieners Leopold (hier Burschenschaftler) zuschiebt, schneidet er sich selbst in die Hand und wird jammernd auf ein Feldbett gelegt und mit einer Rot-Kreuz-Decke warm gehalten, tanzt dann aber doch mit seinem Janker seinen Lieblingswalzer. Der dritte Akt ist irgendetwas zwischen Biergarten und Weinfest in heutiger Zeit. Alles findet in der Öffentlichkeit statt. Das Bett und die Erscheinungen werden kurzzeitig aus der Unterbühne heraufgefahren. Letztgenannte nehmen dann an den Festzeltgarnituren Platz, an deren einer Baron Ochs später versucht, die Marschallin (eine kühle Geschäftsfrau, blondiert und im schwarzen Pelzmantel) mit Schnaps abzufüllen. Mit Octavian als Comedy-Heidi-Karikatur mit blonden Zöpfen, in heißen Höschen Hntern schwingend, keinen dezenten Schwips vortäuschend, sondern sturzbetrunken spielend, sind wir dann auf der untersten Stufe den Schmierenniveaus angekommen. Thomas Lüllig (Wirt), Carolina Krogius (Octavian als Mariandl), Ernst Garstenauer (Baron Ochs) Die Szenenbilder sind reizlos und der darin verborgene Zeitgedanke verpufft oberflächlich, ohne Nachhaltiges zu bewirken. Man hört das Regieteam geradezu denken – doch was man sieht, überzeugt einfach nicht. Noch viel ärgerlicher ist dieses Scheitern der Regie an dem eigenen und ziemlich eitlen Anspruch, alles anders machen zu wollen. Und dabei eben mehr zu wollen als zu können. Dabei gibt es durchaus ein paar sinnvolle und überzeugende Momente der Personenregie, die zeigen, dass da viel mehr und Besseres, ja sogar richtig Gutes möglich wäre. Wenn sich beispielsweise der Arzt darüber empört, dass er dem Ochs das Bett machen soll, wenn Annina dem Ochs immer wieder das Geld aus der Tasche stiehlt wie ein Rabe, wenn Octavian mit der Marschallin zum ersten Walzer wirklich tanzt, wenn die Marschallin einen schwarzen Briefumschlag (die schwarze Zeitung?) angewidert auf das Posttablett zurücklegt und, wenn man den Gedanken der Zeitreise denn sinnvoll verfolgen würde, die unterschiedlichen Kostümierungen Leopolds. Doch überwiegend beschränkt sich die Regie darauf, in Text und Musik dezent und charmant Angedeutetes mit dem Holzhammer plattzuhauen und zuweilen bis zum Fremdschämen blöd zu überzeichnen. Die so wichtige Zeremonie des Frisierens findet nicht statt, Mohammed will nicht übereilt mit der silbernen (hier schwarzmetallnen) Rose weglaufen. Auch das Herausbringen der intimsten Szenen in die Öffentlichkeit führt zu nichts, das auch nur den Hauch einer Bereicherung spüren ließe. Noch nicht einmal diesen Szenen wird die in ihnen steckende Tiefe gewährt. Alles wirkt so flach und banal. Ein Versachlichen, Demaskieren, Entgeheimnissen, das vor allem der Marschallin den leicht morbiden Charme, die heitere Melancholie verbietet, stiehlt der Figur im Besonderen und dem ganzen Werk im Allgemeinen die Seele.
Das Schlussduett findet in einem Probenraum statt, Octavian und Sophie freuen sich, dass sie beim Singen zusammengeblieben sind und wollen es wohl auch im Leben bleiben. Der Repetitor (Mohammed) war hinter dem Klavier eingeschlafen und trägt irgendwem irgendein Seidentuch hinterher. Die Probe ist zu Ende – aber das Ganze ist noch lange nicht aufführungsreif. Denn nicht nur die szenische Umsetzung lässt viele Wünsche offen, auch die musikalische Seite kann den Abend nicht retten. Der stolzen Verkündigung, alle Partien aus dem Ensemble besetzen zu können, steht manch eine sängerische Überforderung gegenüber. Allen voran Ernst Garstenauer, der noch lange nicht über der Partie steht und im ersten Akt schwer mit den flotten Passagen zu kämpfen hat, dann zuweilen mehr spricht als singt und stellenweise kaum zu hören ist. Im zweiten und dritten Akt ist er besser, aber sein Spiel bleibt auch hier durch seinen intensiven Blickkontakt zum Dirigenten wenig überzeugend. Auch Carolina Krogius als Octavian klebt oft mit den Augen am Dirigenten. Ihre substanzreiche, üppig strömende, recht schön individuell timbrierte Stimme führt sie aber eher in oratorienhaftem Schöngesang. Einen jugendlich-stürmischen Liebhaber stellt man sich doch anders vor. Elif Aytekin lässt kein dusseliges Dummchen mit mädchenhaft heller Stimme, sondern eher eine resolute junge Frau hören. Camila Ribero-Souza verspricht mit den ersten wunderschönen Tönen eine sinnliche Marschallin, aber ganz besonders bei ihr zeigen sich die stimmlich-darstellerischen Auswirkungen des Regiekonzeptes: Sie wird durch die Entsentimentalisierung und die Verweigerung des morbiden Charmes im Ausdruck ausgebremst. Den rundesten und positivsten Eindruck unter den Sängern hinterlässt Dae-Hee Shin als Faninal mit noblem, edel klingendem Bariton. Im Höhepunkt des Schlussterzettes hört man die drei Damen eher schreien als singen, was am ehesten damit zu erklären ist, dass GMD Philippe Bach hier einmal richtig aufzutrumpfen versucht. Aber bitte: Leidenschaft und Lautstärke sind zweierlei. Und für das ganze musikalische Konzept gilt, was oben schon beschrieben ist: Als kühle Versachlichung, ohne das verspielt Wienerische, ohne die (unkitschige!) Sentimentalität und die Melange von Heiterkeit und Traurigkeit funktioniert der Rosenkavalier einfach nicht und alle Maßnahmen der Versachlichung tun ihm zerstörerische Gewalt an. So bleibt auch das musikalische Konzept der Partitur zu vieles schuldig und nimmt ihr mehr, als es ihr gibt. Man könnte spekulieren, ob ein Unwohlsein mit dieser Sichtweise das Orchester derart verunsichert hat, dass es klapperte und holperte wie hier bisher nicht erlebt – schon das Vorspiel war obendrein auch von der Intonation her zum Weglaufen, glücklicherweise besserte sich die Orchesterleistung im zweiten und dritten Akt. FAZIT
Der Meininger Rosenkavalier ist ein Musterbeispiel
dafür, wie man sich mit mutigen großen Schritten ganz
kräftig vergaloppieren
kann – szenisch wie musikalisch.
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme Chor Dramaturgie
Chor des Meininger Theaters Statisterie und Kinderstatisterie Meininger Hofkapelle
SolistenDie
Feldmarschallin
Baron Ochs auf Lerchenau Octavian Herr von Faninal Sophie Die Leitmetzerin Valzacchi Annina Ein Sänger Ein Polizeikommissar Der Haushofmeister Der Haushofmeister Ein Notar Ein Tierhändler Drei adelige Waisen Eine Modistin Ein Friseur Mohammed
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- Fine -