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Musiktheater
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Juliette ou La clé des songes

Lyrische Oper in drei Akten
nach dem gleichnamigen Stück von Georges Neveux
Musik und Text von Bohuslav Martin
ů

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (zwei Pausen)

Premiere im Theater am Goetheplatz am 29. März 2014

 

 

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Theater Bremen
(Homepage)

Surreale Traumwelt

Von Thomas Molke / Fotos von Jörg Landsberg

Auch wenn Bohuslav Martinů mit seinen an die 400 Kompositionen, deren Bandbreite von Kammermusik über Sinfonien bis hin zu 14 Opern reicht, nach Janáček der bedeutendste tschechische Opernkomponist des 20. Jahrhunderts sein dürfte, stehen seine Werke zumindest im deutschsprachigen Raum eher selten auf den Spielplänen. Umso erstaunlicher ist es, dass an demselben Wochenende in Gießen und in Bremen direkt zwei seiner Opern Premiere feiern. In Bremen hat man sich für die 1938 in Prag uraufgeführte lyrische Oper Juliette entschieden, die Martinů auf ein Theaterstück von Georges Neveux komponierte, das dieser eigentlich bereits Kurt Weill zur Vertonung zugesagt hatte. In seinen Memoiren berichtet Neveux, dass ihn Martinůs Komposition des ersten Aktes allerdings so beeindruckt habe, dass er Weills Agenten kurzerhand habe mitteilen lassen, dass es sich bei seiner Zusage um ein Missverständnis handle und sein Stück nicht mehr frei sei.

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Michel (Hyojong Kim, Mitte unten) wird wegen seines Erinnerungsvermögens vom Kommissar (Christian-Andreas Engelhardt, zweiter von links unten) zum Kapitän der Stadt ernannt (unten links: Kleiner Araber (Ulrike Mayer), unten rechts: Mann mit Helm (Loren Lang) und Alter Araber (Christoph Heinrich), oben zweites Fenster von rechts: Mann mit Akkordeon (Patrick Zielke), restliche Fenster: Chor als Einwohner).

Laut Aussage des Komponisten hat das Stück eigentlich keine richtige Handlung, sondern bewegt sich ständig an der Grenze zwischen Realität und Illusion, wobei die Illusion im Verlauf des Stückes immer mehr die Oberhand gewinnt. Zu Beginn der Oper kehrt der Buchhändler Michel Lepic in ein Städtchen am Meer zurück, wo er sich vor drei Jahren in eine junge Frau namens Juliette verliebt hat, die ihn mit ihrem wunderbaren Gesang verzaubert hat. Bei seiner Rückkehr muss er allerdings feststellen, dass die Bewohner dieser Stadt keinerlei Erinnerung an ihre Vergangenheit haben. Da sie ihn für seine eigene Kindheitserinnerung an eine Ente bewundern, ernennen sie ihn zum Kapitän der Stadt. Schließlich trifft er auch auf Juliette, die sich immer noch zu ihm hingezogen fühlt und sich mit ihm an einer Wegkreuzung verabredet. Als dort ein Erinnerungsverkäufer Juliette Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit verkauft, die ihr wesentlich besser als Michels reale Geschichte gefällt, kommt es zum Streit, bei dem er auf Juliette schießt. Als er die Stadt daraufhin verlässt und noch einmal zu Juliettes Wohnung zurückkehrt, wohnt dort eine alte Frau, die verneint, dass Juliette jemals existiert habe. Doch Michel glaubt ihr nicht und meint, aus der Ferne Juliettes Gesang zu hören. Erst jetzt wird dem Zuschauer offenbart, dass die ganze bisherige Geschichte nur Michels Traum gewesen ist, da er sich nun in einem zentralen Traumbüro befindet, in dem viele Leute einen Traum buchen, in dem eine begehrenswerte junge Frau mit dem Namen Juliette vorkommt. Obwohl der Beamte im Traumbüro Michel warnt, erneut in die Traumwelt einzutauchen, weil er  dann in dieser Zwischenwelt als eine Graue Gestalt festsitzen werde, hört Michel nicht auf die Warnungen und kehrt, vom reizenden Gesang Juliettes angezogen, in diese Traumwelt zurück.

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Erstes Zusammentreffen von Juliette (Nadja Stefanoff) und Michel (Hyojong Kim)

Das Regie-Team um John Fulljames findet einen bewegenden Zugang zu dieser phantastischen Geschichte, was sich vor allem im Bühnenbild von Johanna Pfau ausdrückt. Zu Beginn wird die Bühne von einer riesigen grauen Hauswand mit zahlreichen Türen und Fenstern dominiert, die durch Videoprojektionen von Ian William Galloway unterschiedliche Orte in der Stadt suggerieren. So ist Michel zunächst auf der Suche nach einem bestimmten Hotel, in dem er vor drei Jahren hier logiert habe, und nachdem der junge und der alte Araber, auf die er bei seiner Ankunft trifft, zunächst verneinen, dass es dieses Hotel hier jemals gegeben habe, geben sie schließlich seinem Wunsch nach dem Hotel nach, und die Aufschrift des Hotels erscheint auf der grauen Wand. Schon während des Orchestervorspiels gaukeln unterschiedliche Projektionen auf dieser Wand verschiedene Orte vor, an denen sich Michel durch seinen Traum bewegt. Leider ist bei der Premiere der Wechsel dieser Projektionen noch nicht ganz synchron zur Musik, wobei man aber schon eine Vorstellung bekommt, wie diese unterschiedlichen Bilder auf die eruptiven Klänge während des Vorspiels gelegt werden sollen. Die Fenster im ersten Stock scheinen der Ort zu sein, den Michel mit Juliette in Verbindung bringt. Wenn Juliettes Stimme zum ersten Mal ertönt, lassen wehende Vorhänge vermuten, dass sich Michels Angebetete dahinter verbirgt, was sich allerdings als Trugschluss herausstellt. Auch Michels Kindheitserinnerung an die Ente wird auf die Fenster in der Hauswand projiziert, wenn man eine große Ente scheinbar von Fenster zu Fenster schwimmen sieht.

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Beim Kauf der Erinnerungen beim Erinnerungsverkäufer (Loren Lang, links) kommt es zum Streit zwischen Michel (Hyojong Kim, Mitte) und Juliette (Nadja Stefanoff).

Im zweiten Akt ist diese Hauswand nun nach hinten verschoben, und die Bühne ist nach rechts und links mit ähnlichen Wänden eingerahmt, so dass deutlich wird, dass Michel nun vollständig in diese Traumwelt eingetaucht ist. Erst im dritten Akt sind die Wände verschwunden, und im Traumbüro befinden sich nur noch die einzelnen Türen, durch die man in die unterschiedlichen Träume Eintritt findet. Einige Türen hängen in der Luft, so dass man sie nur über eine Treppe erreichen kann, andere werden vom Beamten jeweils für einzelne gebuchte Träume aufgestellt. Auch hier begeistern erneut die Videoprojektionen, die auf die einzelnen Türen Bildsequenzen von Juliette projizieren. Dass wohl alle hier von derselben Juliette träumen, wird dadurch verdeutlicht, dass beispielsweise der Sträfling aus seinem Traum mit dem weißen Tüllrock zurückkehrt, den Juliette im ersten Akt bei ihrem Treffen mit Michel unter ihrem Kleid getragen hat. Beeindruckend gelingt auch die Warnung vor den Grauen Gestalten. Das grelle Licht aus dem Bühnenhintergrund und der Nebel auf der Bühne lassen von diesen Gestalten wirklich nur die Silhouetten erkennen, so dass man sie wirklich für gesichtslose Wesen hält, die sich in einer Art Zwischenwelt bewegen. Wenn Michel sich am Ende dazu entschließt, die Realität zu verlassen und ganz in den Traum einzutauchen, verschwinden die Türen in den Schnürboden und die Wand aus dem ersten Akt taucht aus dem Hintergrund erneut auf. Nun ist Michel endgültig in der Traumwelt gefangen.

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Michel (Hyojong Kim) will den Warnungen der grauen Gestalten (Chor) zum Trotz dennoch wieder in die Traumwelt zurück.

Musikalisch deckt Martinů in dieser Oper eine enorme Bandbreite ab, die von schwelgerisch üppigen Klängen bis zu sehr reduzierten Strukturen reicht. So werden einzelne Passagen auch gesprochen. Der Einsatz des Akkordeons im ersten und dritten Akt verleihen dem Stück zusätzlich eine folkloristische Note. Juliettes Melodie wird vor allem vom Fagott unterstützt, wobei dieses Instrument den verführerischen Charakter der Titelfigur sehr treffend umsetzt. All diese Momente werden von den Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Clemens Heil äußerst präzise umgesetzt, so dass der Abend auch musikalisch ein überwältigendes Klangerlebnis beschert. Die Solisten und der von Daniel Mayr einstudierte Chor überzeugen ebenfalls auf ganzer Linie. In den kleineren Partien lassen vor allem Ulrike Mayer, Christoph Heinrich, Loren Lang und Patrick Zielke aufhorchen. Mayer begeistert als Kleiner Araber, Handleser und Hotelboy mit kräftigem Mezzo und ausdrucksstarkem Spiel. Heinrich überzeugt mit beweglichem Bariton und komödiantischem Talent vor allem als Alter Araber, wenn er sein Fleischermesser gerne an Michel ausprobieren möchte. Lang verleiht dem Mann mit Helm und dem Sträfling mit dunklem Bass-Bariton enorme Autorität und Zielke gefällt vor allem als Altvater "Jugend" und Blinder Bettler mit profunden Tiefen.

Die beiden Hauptpartien sind mit Nadja Stefanoff als Juliette und Hyojong Kim als Michel ebenfalls sehr gut besetzt. Stefanoff stattet die Titelpartie mit einem warm-timbriertem Mezzo aus, so dass Michels Faszination für Juliette absolut nachvollziehbar wird. Kim glänzt als Michel mit höhensicherem Tenor, der auch in den Spitzentönen nicht forciert, und gestaltet Michels Entfremdung von der Realität äußerst eindringlich. So gibt es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Diese Produktion ist in zweierlei Hinsicht geeignet, Martinůs Opernschaffen dem Vergessen zu entreißen. Zum einen überzeugt sie durch eine packende Inszenierung, zum andern kommt Martinůs Klangvielfalt in der musikalischen Umsetzung hervorragend zum Ausdruck.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Clemens Heil

Regie
John Fulljames

Ausstattung
Johanna Pfau

Video
Ian William Galloway

Licht
Joachim Grindel

Chor
Daniel Mayr

Dramaturgie
Ingo Gerlach

 

Chor des Theaters Bremen

Bremer Philharmoniker


Solisten

*Premierenbesetzung

Juliette
Nadja Stefanoff

Michel
Hyojong Kim

Kommissar / Briefträger / Beamter
Christian-Andreas Engelhardt

Mann mit Helm / Erinnerungsverkäufer /
Sträfling
Loren Lang

Alter Araber / Alter Matrose / Nachtwächter
Christoph Heinrich

Kleiner Araber / Handleser / Hotelboy
Ulrike Mayer

Vogelhändlerin / Alte Frau
Karin Robben

Fischhändlerin / Die Alte
*Tamara Klivadenko /
Barbara Buffy

Mann mit Akkordeon / Altvater "Jugend" /
Blinder Bettler
Patrick Zielke

Drei Herren
Lusine Ghazaryan
Ricarda Gross
Irina Ostrovskaia

Pianistin
*Marie-Elise Boyer /
Jinie Ka

Junger Matrose
Ricarda Gross

Mechaniker
Wolfgang von Borries

Einwohner / Graue Gestalten
Anne-Kathrin Auch
Karin Brenner
Cordula Fritz-Karsten
Lusine Ghazaryan
Caroline Klöckner
Tatjana Kluge
Astrid Kuhnert
Irina Ostrovskaia
Martina Parkes
Geseke Schwedt


Weitere Informationen
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Theater Bremen
(Homepage)





Da capo al Fine

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