Harnoncourts Seelenzergliederung

(c) HERWIG PRAMMER/THEATER AN DER WIEN
  • Drucken

"Don Giovanni" im Theater an der Wien, von Nikolaus Harnoncourt neu gelesen, wirkt drastisch und finster, aber insgesamt logischer als "Le nozze di Figaro" zuvor.

Selbstverständlich ist Nikolaus Harnoncourt ein Vorbild: durch die Gründlichkeit seiner Quellenstudien, im Misstrauen gegen alle Traditionen, in seinem Streben, jede Partiturvorschrift, ja jede einzelne Note auf ihren Sinn und die Absicht des Komponisten hin zu prüfen, durch die Kraft und auch die Kreativität, mit der er seine Erkenntnisse zu vermitteln und künstlerisch umsetzen pflegt. Wenn sich der 84-Jährige in diesen Wochen erneut – er sagt: zum letzten Mal – Mozarts drei Da-Ponte-Opern vornimmt, um sie im Theater an der Wien in konzertanter bis halbszenischer Form noch radikaler und ungewöhnlicher zu realisieren als bisher, dann besitzt das also schon von vornherein singuläres Gewicht.

Harnoncourts Interpretationen allerdings zeigen so individuellen Zuschnitt, dass sie vermutlich kaum konkret Schule machen werden: Bis dato zumindest zeigen sich die Vertreter der mittleren und jungen Generation der von Harnoncourt entscheidend mitgeprägten Originalklangbewegung in vielen Punkten wesentlich konzilianter, glatter.

Beim Concentus Musicus jedoch erklingt „Don Giovanni“ drastisch in nachtschwarz rauer, aufgewühlter und aufwühlender Größe. Das Heitere in diesem „Dramma giocoso“ lugt fast nur noch in der Figur des Leporello hervor: Ruben Drole verleiht ihm mit saftig-rustikalem Bass eine Art bodenständiger Gefährlichkeit. Ansonsten betreibt Harnoncourt vor allem düstere Seelenzergliederung. Wenn Donna Anna in Giovanni den maskierten Unhold erkennt, der ihren Vater auf dem Gewissen hat, zerren die Schmerzensschreie im Orchester so realistisch und explosiv an den Nerven, wie Sänger es sich nur während der späten Auswüchse des Verismo erlauben konnten: zweifellos ein expressiver Höhepunkt des Abends.

Christine Schäfer hingegen, zuletzt als „Figaro“-Gräfin in stimmlichen Nöten, diesmal in wechselhaft besserer, wenn auch keineswegs guter Verfassung, rang immer wieder um Intonation und Klangqualität, versuchte aber die folgende Rachearie (in des Dirigenten gemessenem Andante-alla-breve-Tempo) ganz auf noble Linie hin vorzutragen: Die Differenz zum inneren Abgrund hinter der Contenance war atemberaubend.

Donna Elvira wie eine Barock-Heroine

Deutlich souveräner agierte Maité Beaumont als dunkler getönte Donna Elvira mit dem Aplomb einer veritablen Barock-Heroine – wenn sie auch in ihrer letzten Arie bis an die Grenzen gefordert war. Doch auch hier faszinierte ein Kontrast: Nach dem zauberhaft weichen, zärtlich begleiteten „Là ci darem la mano“ brach die herb punktierte Strenge von Elviras „Ah, fuggi il traditor“ in doppelter Vehemenz herein. Vehement auch die Höllenfahrt mit dem aus der Proszeniumsloge imposant orgelnden Komtur von Mika Kares, unterstützt von schaurig-erhabenen Posaunenklängen und dem wie immer eindrucksvollen Arnold Schoenberg Chor. Doch wer fuhr da zur Hölle? Der junge Andrè Schuen hat für den Giovanni schönes, ausgeglichenes Material zu bieten – noch nicht aber die nötige persönliche Reife. Immerhin stimmte hier im Gegensatz zum „Figaro“ das stimmliche Verhältnis zwischen Herr und Diener. In nobler Blässe, aber sängerisch untadelig gab Mauro Peter den Don Ottavio, Mari Eriksmoen war eine ihre Aufstiegsmöglichkeiten sehr genau erwägende Zerlina.

Auch diese „Giovanni“-Premiere wirkte wie eine Art Generalprobe, aber doch sicherer, logischer, runder als der „Figaro“. In Harnoncourts musikalischer Welt rangiert der Ausdruck bekanntlich weit vor herkömmlicher Sicherheit. Das spiegelt sich allerdings in der Zeichengebung des Dirigenten, die selbst den mit ihr vertrauten Concentus Musicus manchmal vor unlösbare Aufgaben stellt. Denn nach jeder Generalpause, sei es in den diesmal weniger häufig und extrem zum Sprechen hin getrimmten Seccorezitativen, in Accompagnati, Arien oder Ensembles, kann es schneller, langsamer oder auch einfach nur später weitergehen, als es der durchgehende Puls der Musik vermuten ließe – da zeigten sich Dirigent und Orchester nicht immer so einig wie das Publikum in seinem Jubel.

Weitere Aufführung: am 19.3.; auf ORF III: 23.3., 20.15 Uhr; auf Ö1: 5.4, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.