Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Platée von Jean-Philippe Rameau
Theater an der Wien, 21. Februar 2014

Bild: Oliver Schopf

Voltaire verdanken wir das Bonmot, Rameau verzaubere die Ohren, Lully hingegen die Seele. Da ich nicht an die Existenz einer Seele glaube, halte ich mich lieber an Rameau. Der schrieb eine handfeste, spöttische Musik, genau das Richtige für unsere unbeseelte Zeit. Mit "Platée" (1745 am Hof von Versailles aufgeführt, die dekadente französische Aristokratie besaß offensichtlich Sinn für Selbstironie) komponierte er eine deftige Satire mit traurigem Residuum voller Oden an die Schadenfreude und Tänze um die güldenen Götter, deren Blattgold sich abschält. Mit Momenten von geradezu exaltierter Bösartigkeit (Götter haben halt, wer würde das bezweifeln, einen schlechten Charakter). Nach allen möglichen hämischen Turbulenzen zieht sich das Herrscherpaar, Jupiter und Juno, in Harmonie vereint auf den Olymp zurück, das Witzobjekt ihrer göttlichen Frivolität hingegen, die Nymphe Platée, bleibt als Kollateralschaden im tiefsten Sumpf zurück. Kein Lehrstück, keine Parabel, und trotz aller aufdringlichen Allegorie kein exemplarisches Weisheitsdrama. Die Haltung zu den Realitäten auf Erden ist eine des Achselzuckens. Auch das macht diese Oper sehr (post)modern.

Foto: Monika Rittershaus
Foto: Monika Rittershaus

In dem Film "Im Auftrag des Teufels" teilt ein New Yorker Mephisto, gespielt von Al Pacino, dem Zuschauer mit, unter allen Lastern sei ihm Eitelkeit die liebste. Das ist gut nachvollziehbar, das bildet den Ausgangspunkt für Robert Carsens grandiose Inszenierung. Überall Spielbühnen und Rituale der Eitelkeit: Luxushotels und Spiegelsäle, Modeschauen und Prominentenhochzeiten. Wellness- und Fitnesskult, die Lächerlichkeit der nicht Alternwollenden und die Prestigezinsen jener, die sich in der Öffentlichkeit spreizen. So genau imaginiert der Regisseur die Gegenwärtigkeit des Eitlen, er lässt seine Repräsentanten leicht wiedererkennbar auftreten: Anna Wintour, die gefürchtete Chefin der US-amerikanischen Vogue und allmächtige Geschmackshenkerin, mitten drin und ganz allein; Karl Lagerfeld, der obsessiv Katzen streichelt und Bilder knipst (letztere gerade ausgestellt im Museum Folkwang in Essen) und Juno als Coco Chanel, deren Tragetaschen im 3. Akt den Hochzeitsgästen eine Brise Eitelkeit mit nach Hause geben. Elegante Ennui strahlten auch – wenn ich die visuellen Zeichen richtig gedeutet habe – Marc Jacobs, Alexander McQueen und John Galliano aus.

Foto: Monika Rittershaus
Foto: Monika Rittershaus

"Ich brauche Sänger", soll Rameau gesagt haben. "Lully braucht Schauspieler." Mitnichten, aber wer wird dem Urteil eines Künstlers über sein eigenes Werk oder gar über das Werk eines Konkurrenten Glauben schenken? "Platée" bedarf eines Transgender-Darstellers der allerhöchsten Klasse, und da Jared Leto mit Barockgesang Probleme haben dürfte, bleibt für diese Rolle nur Marcel Beekman übrig. Sein Ausdrucksgesang ist von betörender Eigenwilligkeit, voller Pepp und Pfiff, er ermächtigt seine Figur zu einer selten erfahrenen Vielschichtigkeit und Lebendigkeit. Er beweist, dass Wohlklang nur des Wohlklangs wegen unvereinbar ist mit großem Musiktheater. Und am Ende wird in seinem nackten Leid die ganze Tragik der eitlen, aber unfair verschmähten Platée spürbar. Dieser Abend bestätigt, dass Rameau in besonderem Maße schauspielernde Sänger und singende Schauspielerinnen braucht – im Theater an der Wien hat er sie gefunden (das ganze Ensemble glänzte). Bei dieser Verzauberung hätte Voltaire gewiss sein Urteil revidiert.

Foto: Monika Rittershaus
Foto: Monika Rittershaus

Highlight: Die Inszenierung von Robert Carsen, ein gewitzter und intelligenter Beweis, dass Musiktheater ohne gelungene und gegenwärtige Mise en scène nicht auskommt.

Coda: Diese Oper war selbst im heimischen Frankreich über 200 Jahre lang völlig vergessen. Das Nachleben ist keineswegs gerechter als das Leben. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 24.2.2014)