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Bühne und Konzert Rameau-Jahr

Was macht Karl Lagerfeld eigentlich in der Oper?

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Karl darf die Hochzeitstorte anschneiden! Edwin Crossley-Mercer als Lagerfeld-Jupiter und Marcel Beekman als frisch angetraute Platée Karl darf die Hochzeitstorte anschneiden! Edwin Crossley-Mercer als Lagerfeld-Jupiter und Marcel Beekman als frisch angetraute Platée
Karl darf die Hochzeitstorte anschneiden! Edwin Crossley-Mercer als Lagerfeld-Jupiter und Marcel Beekman als frisch angetraute Platée
Quelle: Monika Rittershaus
Vor 250 Jahren starb der Barockkomponist Jean-Philippe Rameau. Jetzt wird sein Werk wiederbelebt. Das Theater an der Wien verlegt seine Eitelkeitskomödie „Platée“ in die Welt des Pariser Modezirkus.

Richard Strauss, der braucht eigentlich kein Jubiläum wie seinen 150. Geburtstag, der sich am 11. Juni jährt. Gehört er doch nach wie vor zu den meistaufgeführten Komponisten, was sich nun – ähnlich wie eben bei Richard Wagner – im meist einfallslosen Musikbetrieb noch einmal potenziert.

Fast hat man den Eindruck, die Strauss-Erben, die wiederum zu den höchstdotierten Nachfahren der Musikgeschichte gehören, stecken dahinter: Ist doch am 8. September 2019, am 70. Todestag des Groß- und Urgroßvaters, Schluss mit dem lukrativen Tantiemensegen. Doch, wie man hört, ist bereits eine kritische Ausgabe der Strauss-Werke in Vorbereitung, die dann wieder kostenpflichtig wäre.

Umso wichtiger erscheint es also, anlässlich des am 12. September sich zum 250. Mal jährenden Todestages von Jean-Philippe Rameau neues Licht auf diese faszinierende Tonsetzerpersönlichkeit strahlen zu lassen. Obwohl er sich über die letzten Dekaden nicht wirklich beklagen könnte. Für einen, bei dem man als offensichtlich hoffnungslosem Fall sehr lange den Staub in der Allongeperücke kleben ließ, hat sich seit den Achtzigerjahren viel getan.

Kunstwerk des Absolutismus

Rameaus so gelehrte wie gewitzte Tastenwerke waren immer ein Plaisir für den nur langsam größer werdenden Kreis der Cembaloliebhaber. Doch inzwischen werden auch seine über 30 Bühnenwerke, mit denen er, ähnlich wie sein Vorgänger Jean-Baptiste Lully unter Ludwig XIV., in der Regierungszeit von dessen Nachfolger Ludwig XV. den Sonderweg der französischen Oper als Kunstwerk des Absolutismus weiter festigte, mit wachsender Begeisterung wieder aus dem Archiv geholt, aufgeführt und eingespielt.

William Christie, der frankophile Texaner in Paris, und der bei dessen Orchester Les Arts florissants zunächst Continuo spielende Christophe Rousset samt seinem eigenen Ensemble Les Talents lyriques, sie dürfen sich als die Hauptfackelträger der kräftig flackernden Rameau-Renaissance fühlen.

Doch längst sind auch schon wieder deren Schüler und Enkelschüler am Erweckungswerk. Und eine neue Generation von Sängern wirft sich ebenfalls mit Verve auf die weniger vokal denn intellektuell herausfordernde Klangkostbarkeiten.

Auftragswerk für Madame Pompadour

Und so sind anlässlich des nahenden Geburtstages schon jetzt einige hörenswerte neue Aufnahmen erschienen. Erstmals eingespielt wurde zum Beispiel die intime, 1748 anlässlich des Friedensschlusses von Aachen von Madame Pompadour in Auftrag gegebene allegorische Ballettoper „Les Surprises de l’Amour“.

In dem locker gestrickten Dreiakter geht es um Venus und Adonis, Partenope und Anakreon, damals geläufiges mythisches Personal, hinter deren Tändeleien mit und um Amor natürlich die ganz reale Hofgesellschaft durchschien, die sich stets zur Huldigung des Souveräns versammelte. Sébastien D’Hérin leitet am Pult der programmatisch benannten Combo Les Nouvelles Caractères ein Ensemble unverbraucht charaktervoller Stimmen (Glossa).

Der Dirigent und Countertenor Raphael Pichon hat sich mit seinem Ensemble Pygmalion die Zweitfassung von „Dardanus“ für CD vorgenommen, einer der bedeutendsten Rameau-Opern, die das Schicksal des Zeus-Sohnes zum Inhalt hat (Alpha). Lyrisch und leicht, farbig und elegant wird hier musiziert und gesungen.

Glitzernde Koloraturkaskaden

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Allen voran von der erst 28-jährigen Sopranistin Sabine Devieilhe, die in Frankreich gerade zum Star erblüht. Die kann wundervolle Koloraturkaskaden plätschern lassen, verfügt aber auch über Wärme, Fragilität und versteht es, ihre kleine, bestens fokussierte Stimme glitzern und nachdrücklich leise aus dem Piano erstrahlen zu lassen.

Diese Qualitäten führt sie zudem als mit Glamour veredelte Protagonistin einer virtuellen, aus anderen Rameau-Hits zusammengebastelten „Oper“ vor, die nach der Bauart dieser Werke aus nicht immer inhaltlich korrespondierenden, stets von einem Tanzdivertissement abgeschlossenen Akten auf nur einer CD verdichtet wurde. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Alexis Kossenko samt seiner Truppe Les Ambassadeurs lässt freilich „Le grand théâtre de l’amour“ (Erato) zu einer so geist- wie liebevollen, dabei unterhaltenden Soprangesangsstunde werden und serviert die enormen Talente der Sabine Devieilhe wie auf einem Silbertablett: Bitte mehr davon!

Immerhin 51 Aufführungen von 20 Produktionen in 17 Städten listen die Datenbanken zu Jean-Philippe Rameau für die laufende Spielzeit auf. Und in der zweiten Jahreshälfte werden sicher noch einige mehr dazukommen. Was nicht wenig ist, angesichts der vielen, unabdingbaren Tanzeinlagen, die zu DNA dieser Stücke gehören, sie aber automatisch aufwendiger als italienische Barockopern werden lassen.

Rameau-Zyklus in Berlin

Rameau heute auf die Bühne zu bringen, ist keine leichte Aufgabe. Zwar gibt es inzwischen eine Vielzahl spezialisierter, mit dem besonderen Parlando und den seltenen ariosen Aufschwüngen der französischen Oper bestens vertrauter Sänger; von lustvoll sich damit auseinandersetzenden, die variable Stilistik beherrschenden und dramatische Spannung erzeugenden Dirigenten ganz zu schweigen.

Doch Werke mit so seltsamen Gattungsbezeichnungen wie lyrische Tragödie oder Komödie, komisches Ballett, Ballett-Oper, heroische Oper, Ballett-Einlage bezeugen ihren hybriden, sich heute nur schwer dingfest machen lassenden Charakter bereits im Untertitel. Hinzu kommt die starke Zeitbezogenheit dieser Stücke, die fast alle für einen geltungssüchtige Hofhaltung gedacht waren, die sich nur mit sich selbst beschäftigte.

Da ist bei den Regisseuren viel Transferleistung notwendig, die uns die Stücke nahebringt, ohne ihre Eigenheiten zu vergewaltigen oder zu zerstören. Wie das gelingt, wenn man beispielsweise auf das Ballett verzichtet, wird an der Berliner Komischen Oper zu studieren sein, wo Barrie Kosky ab Mai seine an der English National Opera (mit mäßigen Kritiken) herausgekommene Inszenierung von „Castor et Pollux“ – immerhin auf Französisch – als Auftakt eines ambitionierten Rameau-Zykluses übernimmt.

Kuckucksrufe und Froschquaken

Die wohl prominenteste Rameau-Premiere wurde freilich eben im Theater an der Wien mit begeistertem Jubel aufgenommen: jene, 1749 uraufgeführte, noch am ehesten für heute Gemüter goutierbare, ziemlich böse Fabel von der hässlichen Sumpfnymphe Platea („Platée“) die sich von Jupiter geliebt glaubt, der allerdings mit der dummen Dicken nur seine Gattin Juno täuschen will, um ungestört weiter fremdgehen zu können.

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Robert Carsen verlegt die antike Allegorie, die sich als wahres Bestiarium mit Kuckucksrufen, Froschquaken, tanzenden Eulen und anderem Getier entpuppt, in die irre Welt des Pariser Modezirkus. Gideon Daveys praktikabel spiegelnder Einheitsraum mit Plexiglasstühlchen als Mischung aus Café Costes, Coco Chanels Salon (mit der berühmten Treppe) und Togaparty-Saal wird hier zum Laufsteg entfesselter, drogengepuschter Eitelkeit.

Jupiter (herrlich sonor: Edwin Crossley-Mercer) ist natürlich Karl Lagerfeld samt Mietze Choupette, und die ihre Fiorituren schleudernde Simone Kermes darf als personifizierter, dabei als italienischen Arienparodie gemeinter Wahnsinn La Folie in schnell wechselnden Outfits endlich mal als Lady Gaga ba-rocken.

Dienstboten, Paparazzi, Adabeis

Da sitzt die dauertelefonierende Anna Wintour (diesmal nur als Statistin), und die Platea des wunderlich abgründig komödiantischen Tenors Marcel Beekman wird zur tragischen Transe mit immenser Charakterfallhöhe.

Das ist mit leichter Interpretenhand ausgestreut, aber sehr genau gearbeitet. Und auch der spielfreudige Arnold Schönberg-Chor sowie die witzige, bewegliche Choreografie von Nicolas Paul für die Models, Dienstboten, Paparazzi, Adabeis und Fashion-Schaumschläger haben ihren gewichtigen Anteil am Gelingen. So wie Paul Agnew, früher eminenter Rameau-Tenor, heute William Christies designierter Nachfolger, der für den erkranken Maestro im Graben steht und mit schnellen, schlanken Tempi, flauschigen Holzbläserkantilenen und seidigem Streicherglanz diesen (fast) vergessen lässt.

Ein Triumph der Oper, ein Triumph für Rameau. Möge sich so sein Ruhm für die heutige Zeit mehren. Und der Rest des Rameau-Jahres ähnlich erfreulich weiterlaufen.

Termine: 21., 24., 26., 28. Februar 2014 Theater an der Wien, ab 20. März an der Pariser Opéra Comique

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