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Karl Lagerfeld darf nicht fehlen: Die barocke Glitzerwelt erscheint im Theater an der Wien auch im Gewand der Gegenwart.

Foto: APA/Theater an der Wien/Ritte

Wien - An der Schwelle zum 20. Jahrhundert war es Giuseppe Verdis Alterswerk Falstaff vorbehalten, Menschheit und Opernwelt daran zu erinnern, dass alles Treiben auf Erden Narrheit sei.

In Zeiten des Umbruchs und der krampfhaften Übersteigerung mag diese naheliegende Erkenntnis abwegig wirken - was sie nicht daran hindert, regelmäßig auf der Agenda von Künstlern zu erscheinen, deren verrückteste ihren Zeitgenossen stets den brennendsten und präzisesten Zerrspiegel vorgehalten haben.

Es spricht insofern für die ausladende Hofkultur von Ludwig XV., aber auch für dessen Machtsicherheit, dass als Teil der Selbstinszenierung in Versailles die Komödie eine Hochkonjunktur erleben konnte: Wenn es im Prolog zu Jean-Philippe Rameaus Platée heißt, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter zur Zielscheibe des Spotts werden sollen, sind die höchsten Kreise der Herrschaft damit natürlich mitgemeint. Dennoch ergießt sich in Rameaus Ballet-bouffon (aus dem Jahre 1749) aller Hohn auf dessen so armselige Titelgestalt, wodurch es einiger Gedankenarbeit bedarf, um die durch den Kakao gezogenen Eigenschaften "Stolz" und "Eitelkeit" von ihr zu abstrahieren.

Der Prolog, in dem Musen und Allegorien die darauf folgende Geschichte ersinnen, ist mit "Die Geburt der Komödie" überschrieben. Um es vorwegzunehmen: Im Theater an der Wien gelingt es Regisseur Robert Carsen, den Akt der Hervorbringung der Farce über drei Stunden präsent zu halten.

Seine Arbeit bleibt in der Schwebe zwischen antiker Götterwelt (nur noch ein Schatten ihrer selbst), den sehr eigentümlichen Gepflogenheiten des repräsentativen höfischen Musiktheaters - die weder ignoriert noch einfach nur bedient werden - sowie einem eminent auf die Gegenwart bezogenen Horizont.

Aus der Partyglitzerwelt des Prologs ersteht eine kaum weniger glitzernde mondäne Scheinwelt als Mischung aus Hotelhalle und Bar (Ausstattung: Gideon Davey), in der ebenso billig-teuer schillernde Figuren rund um Mode und Medien unter holzhammerartiger Anspielung auf Karl Lagerfeld (einschließlich weißer Katze) und Lady Gaga erscheinen. Als Pop-Röhre nimmt der Wahnsinn selbst (Simone Kermes als La Folie) furios zwischen 18. und 21. Jahrhundert oszillierende Gestalt an.

Dehnende Ballette

Die Feuchtgebiete der Nymphe Platée werden zur Wellnessoase umgemodelt, sinnig wird die Titelfigur darin von Heerscharen von Tänzerinnen und Tänzern ausstaffiert, massiert und malträtiert - eine der zahlreichen (und meist griffigen) Ideen, mit denen die ausgedehnten Ballette, die vor allem zu den Aktschlüssen die französische Oper ausdehnen, mit Leben erfüllt werden (Choreografie: Nicolas Paul).

Die optische Opulenz geht also eigene Wege; musikalisch garantiert indessen Dirigent Paul Agnew (Einspringer für William Christie) mit dem Orchester Les Arts Florissants für beseelte Sachkundigkeit: Schärfste Rhythmik, federnde Eleganz, klangmalerische Effekte dringen so natürlich aus dem Graben, wie es bei dieser formelreichen Musik überhaupt nur möglich ist. Und die vielen Überraschungen der Partitur - exorbitante Sprünge in den Gesangs- und Instrumentallinien, harmonische Kühnheiten oder die vielen Tierlaute und anderen onomatopoetischen Klänge - werden kaum einmal lebendig, ohne dass die Bühne darauf reagiert.

Hier vollbringt der Arnold Schoenberg Chor nicht nur akustisch wahre Wunderwerke. Er hat auch eine Fülle überzeichneter Gestalten darzustellen, die ebenso präzise konturiert sind wie die großen Partien.

Wie im Theater an der Wien nicht anders zu erwarten, gibt es bei diesen nur den Unterschied zwischen hervorragend und exzellent, fügen sich alle vokal und darstellerisch ins Rollenschema rund um Marcel Beekman in der Transgender-Titelrolle (als Nymphe Platée).

Beekman zieht nicht nur alle komödiantischen Register; zuletzt lässt er - in beklemmender Nacktheit - die Komödie doch noch in die Tragödie der gedemütigten Kreatur kippen: auch stimmlich zwischen derber Karikatur und betörendem Flehen. Narrheit schließt Mitleid nicht aus. (Daniel Ender, DER STANDARD, 19.2.2014)