Theater an der Wien: Domingo hat Grund zum Weinen

(c) Herwig Prammer / Theater an der Wien 2014
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Der nun zum Bariton mutierte Publikumsliebling präsentiert sich in untauglicher Umgebung als bedauernswerter Doge von Venedig – zu frühen Verdi-Klängen.

Seit er vollständig zum Bariton mutiert ist, reist der unverwüstliche Plácido Domingo mehrheitlich in der Rolle eines Dogen um die Welt. In Gestalt des Genueser Regenten Simon Boccanegra feierte er allenthalben Triumphe – zuletzt vor knapp einem Jahr an der Wiener Staatsoper, demnächst wohl wieder in Berlin, Valencia und Mailand. Zwischendurch herrscht er als Doge auch über Venedig, ebenfalls zu Verdi-Klängen, wenn auch diese weniger bekannt sind. Thaddeus Strassbergers für Domingo gestaltete Inszenierung des Frühwerks „I due Foscari“ war bereits in Los Angeles und Valencia zu erleben.

Damit beginnt eigentlich die Malaise: Um dem Publikum den Anblick einer Musiktheater-Geisterbahn zu ersparen, hätte man für Domingos Wiener Gastspiel als Francesco Foscari die Form einer konzertanten Wiedergabe wählen sollen. Was Kevin Knight und Mattie Ullrich an historisierender Flohmarktware auf die Bühne bringen, ist im Verein mit den Grottenbahn-Arrangements des Regisseurs so unzumutbar wie jegliche modernistische Verballhornung der Handlung.

Zumal diese an Larmoyanz schwer zu übertreffen sein dürfte. Lord Byrons Klage-Epos, das Verdi als Vorlage gewählt hat, erzählt in immer neuen Strophen über das ewig gleiche Leid jenes Mannes, der 34 Jahre lang über Venedig geherrscht hat, aber vom Schicksal geschlagen war, weil ihm die Pest Frau und drei Söhne geraubt hat – und seine politischen Feinde den vierten Sohn von einer Verbannungsadresse zur anderen schicken, bis dieser ermattet verstirbt. Im dritten Akt geht der Papa dann auch noch seiner Macht verlustig. Der Trauer ist kein Ende.

Keine Zeit für Gesangsunterricht

Die Tragödie des angesichts der Rechtsprechung machtlosen mächtigen Mannes, der gezwungen ist, seinen eigenen Sohn zu verstoßen, erreicht im fortwährenden Lamentoso nirgends die für ein zündendes Melodramma nötige Brisanz. Denn zur Schürzung des dramaturgischen Knotens gehören immer mehrere schlagkräftige Beteiligte. Doch hat Domingo, der ein großer Gestalter ist und bleibt, an diesem Abend – das ist, von den händeringend peinlichen szenischen Arrangements abgesehen, der Malaise zweiter Teil – auch keinen akustischen Widerpart.

Das Elend des leidenden Vaters erkennt der Musikfreund diesmal an der Tatsache, dass diesem angesichts der fortwährenden Verbannung keine Gelegenheit gegeben wird, seinem Sohn Gesangsunterricht zu erteilen. Sonst wüsste Arturo Chacón-Cruz, dass man als Besitzer einer durchaus ansprechend timbrierten Tenorstimme diese ebenso wenig wie die Gehörnerven des Publikums einen Abend lang mit völlig undifferenziertem Einheitsforte quälen darf.

Auch die Schwiegertochter macht den Dogen nicht glücklich. Davinia Rodriguez klingt strapaziert, als stünde sie nicht erst bei Domingos spätem Foscari an dessen Seite, sondern hätte schon einst bei seinem Cavaradossi-Debüt die Tosca gesungen.

James Conlon am Pult des mit Verve aufspielenden ORF–Orchesters tut wenig dazu, die Sänger zu disziplinieren. Sogar der Schönberg-Chor singt diesmal vor allem lautstark – und mit forcierten Staccati, die zuweilen klingen, als wollte man parodistisch die deutschen M-ta-ta-Mythen von der zur wahren Tragödie untauglichen Italianità unter Beweis stellen.

Es nützt wenig, dass mit Roberto Tagliavini ein durchaus respektabler Finsterling als Dogen-Widersacher Loredano aufgeboten ist. Diese Produktion ist so unansehnlich wie akustisch schwer erträglich. Domingos packende Soloauftritte einmal ausgenommen, die allerdings auch von einem klugen Regisseur in Form gebracht werden sollten, um – in einem adäquaten szenisch-musikalischen Ambiente – wirklich Effekt zu machen.

„I due Foscari“ im Theater an der Wien: 18., 20., 23. und 27. Jänner. Am 25. singt Louis Otey den Francesco Foscari. Ö1 überträgt die Vorstellung vom 18. Jänner live.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2014)

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