Standesdünkel und der Grosse Krieg

Nicht weniger als «Der Rosenkavalier» sollte es sein. Indessen hat der Oscarpreisträger Christoph Waltz, der an der Flämischen Oper seine erste Inszenierung für die Musikbühne vorgestellt hat, die Oper von Richard Strauss in ein überraschendes Licht gestellt.

Peter Hagmann
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An Lauschern fehlt es nie: öffentliche Intimität im «Rosenkavalier». (Bild: Annemie Augustijns / PD)

An Lauschern fehlt es nie: öffentliche Intimität im «Rosenkavalier». (Bild: Annemie Augustijns / PD)

Nach der Premiere ist vor der Premiere – wenigstens an der Flämischen Oper. Die in den achtziger Jahren auf Anregung von Gerard Mortier geschaffene Institution bespielt nicht nur den Sitz in Antwerpen, sondern ist zu gleichen Teilen auch in der wunderschönen Stadt Gent tätig. Dort gibt es ein Opernhaus, das aus den Träumen stammt. Äusserlich fällt der Bau, er stammt von 1842, nicht weiter auf; der ausladende Körper mit der unerhört repräsentativen Beletage fügt sich nahtlos in seine Umgebung ein. Im Innern jedoch kennt das Staunen keine Grenzen. Das ausladende Treppenhaus, das hier zu zu vermuten wäre, ist durch ein Gewirr enger Gänge ersetzt – das irritiert. Umso stärker die Überraschung im Zuschauerraum, der mit seinen vier Rängen und seiner im Lauf der Jahre abgedunkelten Illusionsmalerei auf die ganz grosse Geste setzt. Das Foyer endlich – man muss es gesehen haben, um es zu glauben. Drei üppig dekorierte Riesenräume gehen da ineinander über, jeder so gross wie, gefühlt, dreimal das Foyer im Opernhaus Zürich. Da lebt es sich locker in den Pausen, denn verkauft werden pro Abend, so erklärt es der Zürcher Aviel Cahn, der die Flämische Oper seit 2008 leitet, nur gut 900 Plätze – von denen dafür alle über genügend Sicht verfügen.

Alter Adel und Parvenu

Obwohl die Bühnentechnik von gestern und die Akustik nicht über jeden Zweifel erhaben ist – für den «Rosenkavalier» bietet die Oper Gent das perfekte Ambiente. Zumal für eine Inszenierung, wie sie Christoph Waltz erschaffen hat. Christoph Waltz? Das ist doch der – richtig, der Schauspieler, Regisseur, Oscarpreisträger: weltberühmt, aber Neuling im Bereich des Musiktheaters. Ein weiterer jener Quereinsteiger, mit denen sich Häuser die alleinseligmachenden Quoten zu sichern suchen und mit denen die Intendanten den zweifellos vorhandenen Ermüdungserscheinungen des Opernbetriebs zu entkommen hoffen? Vorurteile dieser Art kamen rasch auf. Und die Produktion der Oper von Richard Strauss, vor wenigen Wochen in Antwerpen herausgebracht und jetzt nach Gent transferiert, bestätigte sie in gewisser Weise.

Als nett, wenn nicht als naiv mochte sie dem eiligen Betrachter erscheinen. Was zum «Rosenkavalier» gehört, vom Himmelbett der Feldmarschallin und ihrem kleinen Mohren bis zum Dirndl der Anstandsdame und zum eleganten Degen des Jung-Grafen Octavian, war alles versammelt und anwesend – Annette Murschetz (Bühne) und Eva Dessecker (Kostüme) hatten ganze, wenn auch sorgsam stilisierende Arbeit geleistet. Wer sich jedoch aufs Spiel einliess, genau hinschaute und sich seinen Reim machte, konnte in der Arbeit von Christoph Waltz einen ganz anderen «Rosenkavalier» als gewohnt entdecken. Nicht ein Stück, das sich stilistisch der Vergangenheit zuwendet und zum Versinken in seliger Nostalgie einlädt, sondern vielmehr eines, das ebenso eindeutig wie feinsinnig von der heraufziehenden Katastrophe des Grossen Krieges, genauer: ihren gesellschaftlichen Ursachen, spricht.

Eine in Kasten denkende und darin gefangene, ebenso degenerierte wie verkommene Gesellschaft wird hier vorgeführt – eine Gesellschaft aus der Entstehungszeit des Werks und eine, wie sie nur Wien hervorbringen kann. Zu welcher Brutalität sie in der Lage ist, erweist das Spiel, das mit dem Ochs auf Lerchenau getrieben wird. Der darob keineswegs in Schutz genommen sei: Unter dem lustvollen Zugriff von Kurt Rydl wird offenkundig, um was für einen Schmarotzer es sich bei diesem dummdreisten Schürzenjäger handelt. Allein, er hat, was andere schmerzlich entbehren: einen Stammbaum. Da kann Michael Kraus, der seine drängende gesellschaftliche Ambition mit Donnerstimme umsetzt, den kleinen Finger noch so sehr abspreizen – sein Faninal bleibt, was er ist: ein frisch Geadelter, ein Parvenu, dem gerade darum die Etikette so wichtig ist. Dazwischen der Jungspund Octavian, der – Stella Doufexis zeigt das musikalisch wie darstellerisch hinreissend – mit dem Spadi fuchtelt, in Wirklichkeit jedoch ein Milchbüberl ist, das den Schritt auf die Bürgerstochter Sophie zu nicht wagt, sich vielmehr von ihr an der Hand nehmen lässt. Aber immerhin ist er ein junger Herr.

Abgründe tun sich da auf, und leicht kann man sich an diesem Abend ausmalen, wie die verkorkste gesellschaftliche Konstellation zum Pulverfass geworden ist. Das ist das Verdienst der Darsteller auf der Bühne, die ihre Figuren so grossartig zum Leben bringen, wie es in der Oper eher selten der Fall ist – Christoph Waltz mag ein Opernnovize sein, er verfügt aber über ein hohes Mass an Einfühlungsvermögen und Phantasie. Zugleich bringt er seine Erfahrungen mit dem Film ein. Bei ihrem Auftritt auf dem Höhepunkt des dritten Akts wird die Feldmarschallin geradewegs zur Dea ex Machina; Maria Bengtsson, die mit ihrer lockenden Stimme die Marie Therese hinter der Fürstin hervortreten lässt, legt da all ihre Energie ins Gesicht, das den Blick anzieht, als wäre es herangezoomt.

Brodelnder Klang

So feingliedrig wie der Text Hugo von Hofmannsthals gibt sich die – ohne dass sie freilich verbärge, wie sehr es da brodelt unter der Oberfläche. Vorzüglich passt dazu der volle Ton, den der Dirigent Dmitri Jurowski mit dem sehr respektabel agierenden Orchester der Flämischen Oper anschlägt. Gut, an einigen wenigen Stellen trägt er zu dick auf, bisweilen wirkt die Ausrichtung auf den Mischklang penetrant, erhält das Stimmengeflecht zu wenig Licht. Vollkommen verschenkt auch die Stelle, wo die silberne Rose überreicht wird; da verfehlt der Dirigent die Besonderheit des Moments und bleibt Christiane Karg, die sonst eine quirlige, jugendfrisch-forsche Sophie gibt, in ihren Spitzentönen zu vordergründig. Aber insgesamt hat der Ansatz Jurowskis seine Plausibilität, gerade wenn er mit so viel Wärme und mit so trefflichen Tempi verwirklicht wird – das Schlussterzett bot diesbezüglich den Höhepunkt. Und selten bekommt man im «Extrazimmer» des dritten Akts eine so opulent klingende Bühnenmusik serviert. Mit seinem gross besetzten Orchester ist «Der Rosenkavalier» sinfonische Dichtung wie die Opern davor; der Dampf von «Elektra» ist da jedenfalls keineswegs verschwunden.