Am Ende spritzt das Blut des schurkischen Thoas, der zuvor Iphigenie und ihren Bruder Orest drangsaliert hatte, nur so durch die Gegend, Iphigenie hat in höchster Not einen Tyrannenmord begangen. Man wird ihr deswegen nicht böse sein, immerhin hat sie dadurch die düstere Familiengeschichte zu einem einigermaßen versöhnlichen Abschluss gebracht – wenn auch um den Preis einer weiteren Bluttat.
Iphigenies Schicksal und das ihrer Familie war eines der Modethemen des 18. Jahrhunderts: Goethes Schauspiel und Glucks Oper sind wohl die prominentesten Verarbeitungen dieser Geschichte. Es gab zwölf weitere Opern über diesen Stoff, auch von Tommaso Traetta, dessen Oper „Ifigenia in Tauride“ von 1763, also 16 Jahre vor Gluck, damals ein ausgesprochenes Erfolgsstück war. 20 über ganz Europa verstreute Partituren aus dem 18. Jahrhundert legen ein beredtes Zeugnis der Popularität von Traettas Oper ab.
Für Deutschland freilich musste das Werk beim Barock-Festival „Winter in Schwetzingen“, bei dem traditionell Opern-Wiederentdeckungen auf dem Programm stehen, erst ausgegraben werden, denn in den vergangenen 200 Jahren war die Oper vollständig in Vergessenheit geraten – nicht ganz unverständlich: Zwar hat Traetta Musik von großer lyrischer Schönheit geschrieben und er wusste auch, wie man dramatische Explosionen komponiert. Aber es gibt in seiner „Iphigenie“ eben auch einiges an musikalischer Dutzendware.
Klanglich respektabel
Der „Winter in Schwetzingen“, 2006 ins Leben gerufen, wird vom rührigen Heidelberger Theater bestritten - und ist ein Kraftakt: Dieselben Musiker, die sonst mit Puccinis „Tosca“ oder Verdis „Maskenball“ beschäftigt sind, sollen plötzlich mit Spezialensembles konkurrieren können. Das können sie nicht, in Schwetzingen waren die Grenzen des Orchesters, auch des Chores, unüberhörbar.
Gleichwohl ist das klangliche Ergebnis hoch respektabel, die historisch informierte Aufführungspraxis hat im Klang deutliche Spuren hinterlassen. Außerdem ist der Vergleich mit Spezialensembles nicht fair: Wie klänge wohl ein anderes Allround-Orchester bei derartigen Anforderungen?
Zu den unbestreitbaren Unsauberkeiten von Chor und Orchester kommt in Schwetzingen eine knochentrockene Akustik, in der es keinerlei gnädig bemäntelnden Nachhall gibt. Auch Wolfgang Katschner, seit dem vergangenen Jahr musikalischer Festivalleiter, hätte durch ein flexibleres Dirigat noch mehr zu einem günstigeren Gesamteindruck beitragen können.
Die Sänger ein Glücksgriff, die Regie nicht
Das sängerische Niveau ist allerdings erstaunlich, und am erstaunlichsten ist die Tatsache, dass vier der fünf Solisten Ensemble-Mitglieder in Heidelberg sind. Die Sopranistin Aleksandra Zamojska – sie war die einzige Gastsängerin – verkörperte die Iphigenie mit oft betörender Höhensicherheit und mit großer Leuchtkraft ihres Piano.
Einen richtigen Glücksgriff haben die Heidelberger mit dem russischen Countertenor Artem Krutko als Orest getan. Dem Vernehmen nach hatte er nie einen Stimmbruch, jegliche Unnatürlichkeit geht seiner Stimme ab, stattdessen hat er eine metallische Durchschlagskraft zu bieten, die bei Countertenören alles andere als selbstverständlich ist.
Eine Inszenierung gab es auch, der 30-jährige Rudolf Frey verantwortete sie in den Bühnenbildern und Kostümen von Aurel Lenfert, der das Werk in Alltags-Klamotten und in einer etwas diffusen Jetzt-Zeit ansiedelte. Ganz abgesehen von einer wenig überzeugenden Personenführung: Da waren dann doch etliche Ungereimtheiten zu besichtigen und noch mehr Künstlichkeiten, über deren Bedeutung das Publikum allenfalls rätseln konnte.
Warum zum Beispiel der Chor bei Orests geplanter Hinrichtung in weiße Schutzanzüge gekleidet ist, wurde so wenig klar wie die Bedeutung des Einfamilienhauses im Bühnenhintergrund. Wegen der Regie muss man diese Oper jedenfalls nicht gesehen haben.
Weitere Termine: 21., 28. Dezember. 10., 14., 16. Januar