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Willkommen im Opernclub

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Christoph Waltz
Christoph Waltz © -

Oscar-Preisträger Christoph Waltz inszenierte in Antwerpen mit Strauss’ „Rosenkavalier“ erstmals fürs Musiktheater. Lesen Sie hier die Premierenkritik:

Eine ewige Hitliste großer Opernsekunden müsste es geben. Jener Momente, in denen die Komponisten ins Rad der Zeit greifen und alles anhalten. Leise kann das sein, aber auch – Crescendo-Anlauf, heißlaufendes Orchester, chromatisch verschobener Tusch und Fanfare – ziemlich laut wie bei einem der Spitzenreiter dieser Hitparade, in der zentralen Szene aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Und was passiert hier? Nichts. Sophie zittert dem Augenblick entgegen. Die Eruption kommt, verraucht, da schlendert Octavian herein, besingt zuerst die Falsche, wird von ihr freundlich darauf hingewiesen, erstarrt schließlich beim Anblick Sophies, die ihm, dem Verdutzten, die silberne Rose aufmunternd aus der Hand nimmt.

Den Moment also nicht verdoppeln, sondern – mit einer maliziösen Pointe – konterkarieren. Ein paar Mal passiert das an diesem Abend, auf den sich das Licht der Opernwelt richtet. Wieder mal ein Neuer also: Christoph Waltz, doppelter Oscar-Preisträger, Tarantino-Muse und im Kino abonniert auf den Abgründigen mit Grips, wagt sich erstmals ans Musiktheater. Dies etwas ab vom Schuss, an der Vlaamse Opera in Antwerpen, danach wandert die Produktion weiter nach London. Und der vereinigte Opernclub, oft ja eine ziemlich fremdenfeindliche Sekte, verschränkt erst einmal die Arme: Ob er’s kann? Oder ob er die Oper wie Doris Dörrie oder Bernd Eichinger vor ihm „nur“ ausprobieren will (und dabei grässlich scheitert)?

Waltz ist, wie auch im Film, anders. Der Mann ist in Belgien nicht angetreten, das Stück zu brechen, sondern – Achtung, Ausnahme – zu lieben. Und er muss dabei eine ziemlich lästige Produktivität entwickelt haben. Von wochenlanger Intensivarbeit wird in Sängerkreisen erzählt, von minutiöser Probenfummelei. Viel habe er, der Ungeduldige, vorgespielt, verriet Waltz. Und als Wohlmeinende mit Theatererfahrung ihm dies und das raten wollten, verbat sich dies der Star: Er wisse schon, was er zu tun habe.

Was Waltz nicht will, wird schnell deutlich. Keinen Dekor, keine Ablenkung. Eine kollegiale Haltung. Entscheidend, und da mögen ihn manche (vorschnell) altmodisch schimpfen, ist immer noch der darstellende Mensch. Der Welt opulenteste Musiktheaterkost wird von Waltz, das ist vielleicht die einzige Brechung, anders angerichtet. Ein „Rosenkavalier“ für Vegetarier, wenn man so will. Annette Murschetz hat dafür ein weißgraues, karges Einheitskabinett gebaut, die Kostüme von Eva Dessecker sind Zitate, ein bisschen Maria Theresia, ein bisschen Fünfzigerjahre.

Waltz entgeht sämtlichen Fettnäpfchen des Stücks. Übervorsicht mag da im Spiel sein, es ist in Wahrheit aber ein Verdienst. Zum Beispiel der dritte Akt: Was sonst bemühte Verkleidungsorgie sein kann, um dem lüsternen Baron Ochs eins auszuwischen, wird bei Waltz bitterernst und zur boshaften Bloßstellung. Durch die transparent werdenden Wände starren Ochs Gesichter an – keine „Gespenster“, sondern alle diejenigen, vor denen er seine pädophilen Neigungen eigentlich verbergen wollte.

Viel körperliche Nähe gibt es in diesen dreieinhalb Stunden. Nicht nur beim Abwehrkampf des als Mariandl maskierten Octavian gegen einen notgeilen Ochs, sondern auch vorher. Wenn anfangs die tiefe Liebe der Marschallin zu Octavian Haut an Haut deutlich wird. Aber auch später, wenn (die mit Hanne Roos sehr jung besetzte) Jungfer Marianne die winzige Wunde des Barons verbindet und der bei ihr schon das nächste Ziel seiner steigenden Säfte ausmacht – wieder so eine Waltz’sche Nebenschauplatz-Pointe.

Manches, das sei nicht verschwiegen, hängt durch. Der an sich gute Vorsatz, Sänger nicht zu „stören“, keine Überbebilderung zu produzieren, schlägt da um ins Gegenteil. Und gelegentlich beschleicht einen ein ganz anderer Gedanke: Ob das Waltz’sche Blicketheater, diese Regie der delikaten, präzise gesetzten Zeichen, nicht doch etwas nur von Reihe eins bis fünf ist? Der leise, innerliche Zusammenbruch Octavians am Ende, nach der Abfuhr der Gräfin, ist kaum fürs Opernhaus gedacht. Waltz inszeniert vieles zu klein, als ob da ein Regisseur auf die Filmkamera neben ihm vertraut, die schon die notwendigen Großaufnahmen liefern wird.

Ganz anders ist der Mann im Graben gestrickt. Chefdirigent Dmitri Jurowski begreift den „Rosenkavalier“ als Tondichtung mit Sängerbeilage. Viel symphonisches Aufrauschen, viel Lautstärke, unter ein sattes Mezzoforte sinkt der Pegel kaum. Delikatesse und Ironie Fehlanzeige, genau das Gegenteil also von dem, was Waltz möchte. Dafür stehen ihm hervorragende Sängerschauspieler zur Verfügung. Stella Doufexis mit ihrem herben, nuancierten, sehr überlegten Octavian entwickelt Filmstar-Qualitäten, Maria Bengtsson spielt und singt eine Marschallin, die immer mehr zu erkalten scheint, Christiane Karg gibt nicht die süßliche Sophie, sondern eine in sich gekehrte, frühreife junge Frau: genau Octavians Beuteraster eben. Mit Albert Pesendorfer wird man nicht recht froh. Endlich einer, der den Ochs auch „schön“ singt, der vokal nicht grimassiert. Doch zwei, drei Schmutzeleien braucht die Partie schon, zudem werden die Monologe von ihm diffus wegparliert.

Viel Jubel, auch für Waltz und seinen gelungenen Einstand im Opernclub. Mozart als Folgeprojekt wäre jetzt nicht übel. Dumm nur, dass die Konten der Opernhäuser mit denen Hollywoods kaum mithalten können.

Aus Antwerpen berichtet Markus Thiel

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