Freitag, 29. März 2024

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Schuberts "Lazarus" in Wien
Auferweckung der Toten

Claus Guths Inszenierung des "Lazarus" von Franz Schubert am Theater an der Wien wirkt grotesk, zuweilen slapstickhaft. Die Kulisse bildet ein Flughafen-Terminal, immer wieder wirbeln fremde Musikstücke die Ordnung des Oratorien-Fragments durcheinander.

Von Frieder Reininghaus | 12.12.2013
    Es finden sich bemerkenswert "schöne" und musikhistorisch interessante Stellen in der Partitur zu Franz Schuberts Oratorien-Fragment. Der Torso stützt sich auf ein pietistisch-quietistisches Libretto zur Auferstehung des Lazarus. Das zog Lehren aus einem der vom Johannes-Evangelium berichteten Wunder des Religionsgründers für Auferstehungsglauben in einer Zeit, als naive Gläubigkeit rationalistischen Anfechtungen ausgesetzt war.
    Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt gesellten dem gescheiterten Musikwerk die Einsicht in ein Flughafen-Terminal zu. Das wurde von allen Zeichen des Konkreten gereinigt und ganz in gedecktem Weiß gehalten: Keine bunte Werbung, keine die Fluchtwege verstellenden Verkaufsflächen, noch nicht einmal Anzeigetafeln für die Flüge. Also eine Art farbloser Lego-Version von Schwechat. Wie bei fast allen Inszenierungen von Claus Guth – gleich, ob es sich um Monteverdi, Mozart oder eben jetzt um eine Musik-Montage handelt – dominiert ein blank gewienertes Treppenhaus das Bild. Seitwärts davon diesmal ein paar Abfertigungsschalter bzw. eine Sitzgruppe.
    Die Betriebsamkeit der geräuschvoll treppauf- und ab durcheinandertrudelnden Menge erstarrt und Kurt Streit bekennt seine bedrohliche Schwäche, legt sich – wie ein ihm zugestelltes Double – zum Sterben. Martha und Maria, die Schwestern des moribunden Lazarus, stehen bei und klagen. Rosen werden auf den Weg gestreut: So gibt es doch auch anheimelnde Fermente im kalten Schrecken der Abflughalle ins Jenseits. Wie schwierig das mit dem Trost für Sterbende ist, mit dem professionell verabreichten zumal, setzt Nathanael als Pastor pietätvoll ins Bild.
    Mit Wegweiser aus der Winterreise
    Stephanie Houtzeel bestreitet die Partie der beherrscht wirkenden Martha mit einer in der Höhe beklagenswert ungenauen Intonation, Annette Dasch, die impulsivere der beiden Schwestern, singt mit ansprechender Intensität. Doch die biedermeierliche Schubert-Musik mit ihren nazarenischen Zügen stellt ihrer Stimme so wenig Flügel bereit wie der Text, der über den "bleichen Harm auf deinen Wangen" räsoniert.
    Claus Guth und sein Team haben die theologisch verbogene Lazarus-Geschichte mit erschütternder Banalität nacherzählt, ohne dass die tieferen Gründe für die Bebilderung plausibel würden. Das ändert sich auch im zweiten Teil nicht wesentlich, in dem zum halb vollendeten zweiten Lazarus-Akt weitere Gesangs-Stücke von Schubert gesellt und von Charles Ives "The Unanswered Question" sowie ein Stück aus "Three Places in New England" dazwischengeschaltet wurden. Zwar wirkte die Trauerfeier-Szene etwas belebter als die Tristesse der Abflughalle und der Einzug einer Koffer-Karawane fast slapstickhaft – aber es lief schließlich darauf hinaus, dass nach dem keineswegs auf eine frohe Botschaft vom ewigen Leben ausgerichteten, der "Winterreise" entnommenen "Wegweiser" das Sanctus aus Schuberts später Es-Dur-Messe eine Rühr-Szene untermalte: Ein Knabe, anmutend wie der junge Lazarus, reicht dem vom Totenbett sich Erhebenden die Bordkarte zum Flug. Die Zuschauer dürfen raten, wohin. Ich würde darauf tippen, dass Guths Reise in die alten Bundesländer der Glaubenserweckung oder Inneren Mission geht. Die Reiseveranstalter stylen sich modern bei diesem ziemlich alten Mechanismus der Seelenfängerei.