Keine Auferstehung für Lazarus

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Claus Guth stellt zu Schuberts Oratorienfragment "Lazarus" träge Reflexionen über das Sterben an, denen es auch musikalisch an Spannung mangelt.

Wie, er erweckt die Toten? Ich verbiete ihm, das zu tun. Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen!“, ereifert sich Herodes in Straussens „Salome“ verständlicherweise über jene Wunder Jesu, die diesen als Herrn über Leben und Tod zeigen – und bei denen im naiven Volksglauben der biologische Unsinn bis heute mühelos über den theologischen Sinn triumphiert. Insgesamt drei Erweckungsszenen finden sich in den Evangelien, am spektakulärsten, also werbewirksamsten inszeniert ist jene des Lazarus aus dem spätesten Jesusbericht des Johannes: Der Bruder von Maria und Martha schlief garantiert nicht bloß wie vielleicht die Tochter des Jairus und war nicht nur nachweislich tot wie der Jüngling aus Nain, sondern sogar seit Tagen begraben, sodass er schon „roch“...

In der bildenden Kunst war das Sujet überaus beliebt, in der Musik sind Beispiele seltener. Zu den bekanntesten zählt jene Vertonung, die Franz Schubert 1820 begonnen hat: Auf der Grundlage eines 40 Jahre alten Librettos von August Hermann Niemeyer, einem evangelischen Theologen und Dichter aus Halle, unternahm er so einen weiteren Versuch, sich auf dem Gebiet der dramatischen Komposition zu profilieren – vergeblich. Erst 1863 kam es zu einer ersten Aufführung; eine dauerhafte Auferstehung bleibt diesem seither alle heiligen Zeiten wieder ausgegrabenen „Lazarus“ ebenso versagt wie der Titelfigur in dem Fragment gebliebenen Werk: Die erhaltene Partitur bricht nach der Grablegung mitten in einer exaltierten Klagearie der Martha ab; die „Dritte Handlung“ mit der eigentlichen Auferweckung hat Schubert definitiv nicht mehr komponiert.

Patina statt Intensität

Ob das rein pragmatische Gründe hatte oder doch in Verbindung mit den Problemen des Komponisten mit Religion und Kirche stand, sei dahingestellt – jedenfalls sah der Regisseur Claus Guth gerade in dem Werk eine Möglichkeit, sich erneut zu sakral motivierter Musik auf zeitgemäß säkulare Weise mit dem Sterben auseinanderzusetzen. Vor vier Jahren hatte Guth Händels „Messiah“ als Folie für eine frei assoziierte, tragische Familiengeschichte rund um einen Suizid genützt: Die Solisten, im Original keine handelnden Personen, sondern bloß Verkünder der zum Libretto montierten Bibeltexte, schlüpften damals in Rollen und zeigten eindringlich Menschlich-Allzumenschliches auf manchmal platte, aber auch ironisch witzige, oft sogar poetische Weise – ein verdienter Erfolg.

Auf ähnliche Intensität mit einem eng verwandten, im besten Falle konsequent weitergedachten Thema wartete man diesmal vergeblich. Das lag freilich schon an den Wiener Symphonikern unter Michael Boder, die zu Schubert keinen Zugang fanden, der über lyrisch-weihevolle Patina (mit kleinen Holperern) hinausgewiesen hätte. Vor allem aber konnten Guth und sein Dramaturg Konrad Kuhn angesichts der vom pietistischen Libretto verlangten Rollen nicht so frei schalten und walten wie bei Händel.

In jener Mischung aus schlichter Metaphorik und kleinlichem Realismus, der für Träume typisch ist, trifft also der sterbende Lazarus, bald gespalten in schmerzerfüllt grell singende Seele (Kurt Streit) und sich windenden Körper (Paul Lorenger), in einer Flughafenhalle mit – no na! – breiter Treppe nach oben (Ausstattung: Christian Schmidt) auf seine entsetzten Schwestern (Annette Dasch mühte sich hörbar, Stephanie Houtzeel wirkte zuletzt überfordert). Ein Priester (Ladislav Elgr zeigt das Hohle seiner salbadernden Phrasen) will trösten, zweifelt aber selbst. Doch das Ganze bleibt zäh und träge.

Etwas Spannung kam nach der Pause durch den zuvor nur stummen, den Tod suchenden Simon des Florian Boesch, der auch beim „Wegweiser“ aus der „Winterreise“ zu präzis verstörenden Tönen fand – und durch den heimlichen Star, den Arnold Schoenberg Chor, der als individuell in Szene gesetzte Luxuskomparserie ebenso ungemein präsent agierte wie musikalisch, zuletzt beim Sanctus aus der Es-Dur-Messe. Jubel für alle.


Noch am 13., 16., 18., 20. und 23.12., 19 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2013)

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