Idomeneo, ein zaudernder Antiheld

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René Jacobs interpretiert Mozarts vielleicht faszinierendste, kühnste Oper sensibel - in jähem Kontrast zu Damiano Michielettos teils forciert drastischer Inszenierung.

Wer sich in Familie begibt, kommt darin um. Aber wie sollten die Verhältnisse auch anders sein als verkorkst, wenn der Vater seinen kleinen Sohn zurückgelassen hat, um in den Krieg zu ziehen – und erst nach zehn Jahren wiederkehrt, als dieser schon erwachsen ist? Und ihn dann als Preis für die Rettung aus Seenot opfern soll, während die Tochter einer anderen zerrütteten Familie den Sohn für sich haben will, obwohl dieser eine andere liebt, eine Kriegsgefangene?

Regisseur Damiano Michieletto, am Theater an der Wien mit Puccinis „Trittico“ und letzten Sommer in Salzburg mit Verdis „Falstaff“ erfolgreich, richtet seinen Blick ganz auf den Generationenkonflikt in einem düsteren Endzeitszenario. Die Bühne stellt eine wüste Insel dar: Paolo Fanin zeigt uns Kreta als Katastrophenschauplatz, als tristen Seelenraum in Form einer Schuhschachtel, die mal von weißen Vorhängen, mal von schwarzen Wänden begrenzt wird. Und alle stapfen, wanken, taumeln in dem dunklen, mit unzähligen Militärstiefeln übersäten Sand: Festen Grund hat keiner unter den Füßen, schon gar nicht Idomeneo. Alles andere als ein skrupelloser Militär, der unvermutet in private Gewissensnöte gerät, entpuppt dieser sich als von Grund auf unsicherer Antiheld: in die Jahre gekommen, zaudernd, gequält und selbstquälerisch.

Tenor mit Migräneattacken

Richard Croft lässt ausdrucksvoll die Schultern hängen, ringt mit blutüberströmten Dämonen, fleht mit fragilen Tenortönen um Erbarmen und deutet die mühelos aus seiner Kehle strömenden Koloraturketten von „Fuor del mar“ schlüssig als Migräneattacke.

Der Knabe Idamante ließ sich vom bedrohlichen, aber auch idealisierten Vater noch in den würdigen Anzug des einstigen Nachfolgers stecken, wie ein Video (Rocafilm) zur Ouvertüre zeigt, doch erwachsen solidarisiert er sich kleidungstechnisch mit seiner Freundin Ilia: Bei Michielletto ist sie sogar schwanger, wodurch die allseitigen emotionalen Beschädigungen mühelos in die nächste Generation weitergeschleppt werden können.

Ilia gebiert den Thronfolger

Am Schluss nämlich, wenn das Ungeborene seinen großen Auftritt als Deus-ex-machina-Orakel absolviert und Idomeneo nicht nur abgedankt, sondern hier überhaupt das Zeitliche gesegnet hat, gebiert Ilia zur gekürzten Ballettmusik den Thronfolger. Da ist dann Idamante auch äußerlich (Kostüme: Carla Teti) voll in die überwunden geglaubte Vaterrolle hineingewachsen.

Sophie Karthäuser mag als gepeinigte Ilia absichtlich spröder klingen als sonst; der Zusammenklang mit dem hellen, ausdrucksvollen Mezzosopran von Gaelle Arquez in der Hosenrolle des Idamante geriet dennoch betörend harmonisch. Am einprägsamsten wirkte Marlis Petersen als Elettra – auch wenn gerade an ihrer forciert profilierten Figur unmissverständlich wird, dass und wie Michieletto den Bogen überspannt. Gewiss ist sie bereits musikalisch janusköpfig angelegt, changiert zwischen lyrischer Liebesentrückung und furiosem Zorn. Aber der Spagat zwischen brutalem Biest, selbstverliebter Zicke, skrupellosem Vamp und einer zuletzt sich im Schlamm wälzenden Irren will dem Regisseur nicht recht gelingen – obwohl er in Petersen eine fulminante Sängerdarstellerin zur Verfügung hat, die all das mit prallem Leben erfüllt und sängerisch die enormen Anforderungen der Partie, auch die gefürchtete Arie „D'Oreste, d'Ajace“, weit mehr als nur respektabel absolviert.

Die szenisch fehlenden Zwischentöne lieferte dafür René Jacobs mit dem vorbildlichen Schoenberg Chor und natürlich dem Freiburger Barockorchester nach, das unter seiner Leitung vor allem dem Widerborstigen der überreichen Partitur in Gestalt von dunklen Farben und manch expressiven Brüchen nachspürte, aber auch mit Piano-Effekten überraschte: Dramatische Akzente blieben bisweilen einigen ungeniert hinzugefügten Schlagzeugeffekten vorbehalten, wie sie für Jacobs' kreativen Zugang typisch sind. Große, nahezu einhellige Begeisterung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2013)

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