„A Harlot's Progress“: London schluckt seine armen Mädchen

Theater Wien
Theater Wien (c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Drastische Handlung und dunkel dräuender Londoner Nebel als Basis für eine große Sopranistinnen-Rolle: Diana Damrau brilliert im Theater an der Wien in der gelungenen Uraufführung einer achtbaren Opernnovität.

Dunkel und dräuend legt sich der Nebel des noch nächtlichen London am Beginn über die Zuschauer. Nicht nur klanglich aus dem Orchestergraben, sondern auch wabernd von der Bühne. So beginnt „A Harlot's Progress“ im Theater an der Wien. Eine Uraufführung, die der junge britische Komponist Iain Bell für die von ihm verehrte Sopranistin Diana Damrau maßgeschneidert hat. So wie schon Strawinsky zu seinem „Rake's Progress“, der zuvor die Saison im Theater an der Wien eröffnet hat, ließ sich auch Bell von einem Bilderzyklus von William Hogarth inspirieren.

Es ist diesmal der grausige Niedergang eines Mädchens in Hogarths London des 18.Jahrhunderts. Mit Moll Hackabout kommt ein naives junges Ding in die große Stadt. Sie gerät an die falschen Menschen, wie die Kupplerin Mother Needham, wird als Geliebte an den alten, reichen John Lovelace vermittelt, verliebt sich in den Ganoven James Dalton. Ihr reicher Liebhaber verstößt sie und sie sinkt zur Straßenhure ab. Dann geht es Schlag auf Schlag: Syphilis, Schwangerschaft, Gefängnis, Wahnsinn, Tod.

Peter Ackroyd hat sich von Hogarths Bilderfolge zu einem raffiniert deftigen, sehr bühnentauglichen Libretto inspirieren lassen. Es ist aber nicht nur die Tragödie um Moll Hackabout, sondern auch die Stadt London, ihr Sog, ihre finstere Faszination, ihr Elend, die für Bell von Bedeutung sind.

Nach der Pause kommt der Wahnsinn

Wie eine dunkle geheimnisvolle Kraft lässt er die Stimmung der Stadt als klangliches Fundament vor allem in den Streichern tönen. Es ist eine meist tonal gestimmte Basis auf die Bell dann aufsetzt, mit Akzenten und Einwürfen von Holz, Blech, Schlagzeug und auch mit der Harfe. Darüber singen die Protagonisten ihren Text, meist in langen Linien. Bell flicht Leitmotive ein, setzt immer wieder melodische Akzente und lässt auch die Musikgeschichte durchklingen. Die Wiener Symphoniker unter Mikko Franck setzen das sehr souverän um. Es ist kein musikalischer Bildersturm, kein Versuch, sich avantgardistisch oder zwanghaft originell zu geben, vor allem im ersten Teil des Abends klingt es auch bald etwas banal, aber insgesamt durchaus gekonnt gebaut.

Erst nach der Pause, wenn Moll ihren Wahnsinn bis zum letzten Atemzug durchlebt, gelingt Bell eine stringentere Zuspitzung, entfaltet sich eine gehörige dramatische Kraft. Es ist die Stunde der wunderbaren Diana Damrau, die sich mit höchster Intensität dieser Rolle annimmt und sie stimmlich wie darstellerisch fulminant durchlebt. Bell schreibt ihr kraftvolle Ausbrüche, zarte Lyrismen und immer wieder auch Koloraturmomente in die Kehle. An der Seite des Kraftzentrums Damrau geben sich auch die anderen Protagonisten keine Blöße: Tara Erraught beeindruckt als Molls Freundin Kitty, Marie McLaughlin ist die hinterhältig dralle Mother Needham, Nathan Gunn der brutal virile Lover James Dalton, Christopher Gillett gibt den schmierigen John Lovelace, und Nicolas Testé verleiht drei Nebenrollen markantes Profil.

Die höchst solide Inszenierung von Jens-Daniel Herzog ist für all das ein brauchbares Vehikel. Herzog versagt sich keine Drastik, lässt reichlich kopulieren und schlagen, leiden und sterben. Sein Bühnenbildner Mathis Neidhardt hat ihm dafür ein schnell verwandelbares London aus Bretterverschlägen gebaut, in dem die etwas plakativ geratenen Kostüme zwischen Barockrüschen und Heute auf die Zeitlosigkeit des Themas anspielen. Vom Schnürboden regnen nach und nach dunkle Fetzen herab, die wie der Schmutz des verkommenen London an den Protagonisten haften bleiben und am Ende den Boden ganz bedecken, auf dem Moll stirbt. So erlebte man eine gelungene Uraufführung einer durchaus gut konsumierbaren Novität, mit bitterem Ausgang und reichlich Publikumsjubel am Ende. (mus)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2013)

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