Bregenz: Geld regiert die Christenwelt

Bregenz Geld regiert Christenwelt
Bregenz Geld regiert Christenwelt(c) APA/DIETMAR STIPLOVSEK (DIETMAR STIPLOVSEK)
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"Der Kaufmann von Venedig" von André Tchaikowsky (1935–1982) erfuhr seine späte Uraufführung. Eine herbe, aber wertvolle Kost mit Adrian Eröd als Shylock im expressiven Zentrum.

Später hasste er den Namen, der ihm 1942 das Leben gerettet hatte: Damals wurde aus dem siebenjährigen, nicht nur musikalisch hochbegabten Robert Andrzej Krauthammer durch gefälschte Papiere der nichtjüdische polnische Bub Andrzej Jan Czajkowski. Seine Großmutter hatte ihn aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt und sich mit ihm bis 1945 in verschiedenen Verstecken durchgeschlagen. Seine Mutter blieb zurück – und wurde in Treblinka ermordet: frühe Traumata in dem an Brüchen und Verwerfungen reichen Leben des André Tchaikowsky, wie er sich schließlich schrieb.

Es folgten Abstrusitäten wie mehrere Operationen, um die Beschneidung rückgängig zu machen, eine gescheiterte Beziehung zum leiblichen Vater, den er nach dem Krieg kennenlernte – aber auch große Erfolge am Klavier. Der Förderung durch Arthur Rubinstein entzog sich Tchaikowsky jedoch bald wieder. Technisch herausragend und mit fotografischem Gedächtnis ausgestattet, verabscheute er jegliches Üben, litt aber an notorischem Lampenfieber und gierte nach Publikumsjubel. Er ließ sich willig als Konzertpianist vermarkten, auch um mit dem verdienten Geld Freiraum zum Komponieren zu erlangen – seiner eigentlichen Berufung. Schließlich entwickelte er sich zum Widerständler im herkömmlichen Kulturbetrieb, fiel mit bewussten oder ihm schlicht unterlaufenden Provokationen aus der Rolle, bis er vom exzentrischen Künstler, dem man gerne etliches nachsah, zum echten Außenseiter geworden war. Einen ihm zu lau erscheinenden Applaus soll er einmal mit den kompletten Goldberg-Variationen als Zugabe quittiert haben. Und als er 1982 mit nur 47 Jahren an Darmkrebs starb, vermachte er seinen Schädel der Royal Shakespeare Company, damit er bei „Hamlet“-Aufführungen eingesetzt werden könne – was 2008 auch geschah.

Mag sein, dass Tchaikowskys Leben insgesamt fesselnder, schillernder wirkt als sein kompositorisches Hauptwerk, die lange vergessene Shakespeare-Vertonung „The Merchant of Venice“ (Libretto: John O'Brien), die nun beim Tchaikowsky-Schwerpunkt der Bregenzer Festspiele mit hoher Ensembleleistung zu Uraufführungsehren kam. Entstanden 1968 bis 1982, teilt sich an ihr über manch spröde Herbheit jedoch vor allem eine düstere, unerbittliche Kraft mit, die sie, trotz der langatmigen letzten halben Stunde, von gefälligeren Bregenzer Opernnovitäten der letzten Jahre abhebt. Alle paar Takte lauert ein Abgrund in der sich weder um Eingängigkeit noch um Avanciertheit scherenden Musiksprache. Polystilistische Einsprengsel, ironische Zitate, etwas bizarre Komik und zuletzt expressionistisch gebrochene Naturschilderung sind die wohldosierten helleren Elemente auf einer vorwiegend finster psychologisierenden Klangleinwand, welche die Wiener Symphoniker unter Erik Nielsen mit großer Sensibilität ausbreiten.

Ein Werk ganz ohne Lichtgestalten

Lichtgestalten kennt freilich auch die Handlung nicht, doch auf den Juden Shylock konzentriert sich zumindest das Mitgefühl: Unbarmherzig auf seinem Recht beharrend, um Genugtuung für erduldete Schmach zu erlangen, wird ihm schließlich noch übler mitgespielt. Adrian Eröd verleiht ihm mittels Tchaikowskys ausdrucksvoller Kantilenen an manchen Stellen vokal etwas schlank anmutende, insgesamt aber markante Kontur. Völlig gebrochen geht er zuletzt ins Wasser – und wird nicht einmal vermisst, denn seine Tochter Jessica (Kathryn Lewek stattet sie mit empfindsamem Jubelklang aus) hat er an den jungen Lorenzo (Jason Bridges) und einen fremden Glauben verloren. Dabei wurde ihre Entführung erst durch ein von ihm gegebenes Almosen möglich...

Regisseur Keith Warner zeigt präzis die Schattierungen des Antisemitismus im Ambiente des 19. Jahrhunderts; Ashley Martin-Davis (Ausstattung) baut alle Gänge, Straßen und Räume Venedigs aus endlos scheinenden Schließfachwänden: Geld regiert die selbstgerechte Christenwelt. Das zeigt sich auch an der reichen, vielfach umworbenen Portia, die dann als verkleideter Winkeladvokat den gordischen Rechtsknoten durchschlägt: Magdalena Anna Hofmann, am Vorabend noch Erste Dame in der „Zauberflöte“, meistert die anspruchsvolle Partie mit vokaler und szenischer Verve. Dass freilich trotz szenischen Bezugs aufeinander keinerlei Solidarität aufkeimt zwischen Shylock und dem anderen Außenseiter des Stücks, gehört zu den schmerzlichen Aspekten von Warners Deutung: Der schwermütige Antonio, von Christopher Ainslie mit zart klagenden Kontratenortönen gezeichnet, liegt zu Beginn und am Ende auf Prof. Freuds Couch – es ist die unterdrückte, unerfüllte Liebe zu Bassanio (Charles Workman singt prägnant, müht sich aber etwas in der Höhe), die ihn den Handel mit Shylock abschließen lässt.

Etwas müder, aber einhelliger Jubel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2013)

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