Ein geschickt inszeniertes Goodbye

Zum Schluss seiner Intendanz bei den Bregenzer Festspielen zeigt David Pountney Mozarts «Zauberflöte» als Fantasy-Spektakel auf dem See. Im Festspielhaus kommt es zu einer Uraufführung eines vergessenen Werks – ganz im Sinne der erweiterten Zauberformel der «Bregenzer Dramaturgie», die Pountney wesentlich mitgestaltet hat.

Michelle Ziegler
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Spektakel in schillernden Farben: Rainer Trost als Tamino und Gisela Stille als Pamina. (Bild: EPA)

Spektakel in schillernden Farben: Rainer Trost als Tamino und Gisela Stille als Pamina. (Bild: EPA)

27 Meter hohe feuerspeiende «Drachenhunde», ein sämtliche Rekorde brechendes Kleid für die Königin der Nacht, drei von Puppenspielern bediente Fabelwesen für die drei Damen und haufenweise über die Bühne wirbelnde Stuntmen: Die neuste Inszenierung David Pountneys für die Bregenzer Festspiele ist ein Spektakel der hohen Schule. Sie setzt einen in allen Farben schillernden Schlusspunkt hinter die Intendanz des britischen Regisseurs, der in diesem Sommer nach einer zehn Jahre dauernden Amtszeit die letzte grosse Produktion auf der Seebühne verantwortet. Pountney hat sich für die «Zauberflöte» entschieden, da er die Kassen nach der mässig besuchten Oper «Andrea Chénier» von Umberto Giordano zum Ende seiner Intendanz füllen wollte.

Fürs Auge . . .

Es war ein Entscheid für das Publikum, ein Entscheid aber auch, der es David Pountney erlaubt, seiner Auffassung des «intelligenten» Bregenzer Opernspektakels ein weiteres Denkmal zu setzen. Die «Zauberflöte» in einer Inszenierung des kürzlich verstorbenen Jérome Savary war es denn auch gewesen, die in Bregenz vor fast dreissig Jahren den Übergang von der Operette zur Oper und den Beginn eines neuen Regiestils markiert hatte. Seither wurde hier im grossen Stil die Vermittlung von Bildern gepflegt, die für alle verständlich sind. Riesige Skulpturen schaffen als Blickfang für jede grosse Produktion ein eigenes Wahrzeichen, das auf Fotografien an Bregenzer Restaurant- und Hotel-Wänden ins kollektive Gedächtnis eingeht. Pountneys «Zauberflöte» versteht sich bewusst als Abschluss einer dreissig Jahre dauernden Entwicklung.

Dem Auge bietet Pountneys «Zauberflöte» denn auch einiges. Zu Füssen der drei Ungeheuer – Drachen oder Hunde wie aus dem Comic – ist ein Hügel mit einer Fantasy-Landschaft (Bühne: Johan Engels) zu sehen: übergrosse, aufblasbare Grashalme, durch die sich Tamino und Papageno in ihren Abenteuern bewegen. Die andere Seite der Kuppe bietet einen kahlen Tempel für Sarastro oder aber einen Sternenhimmel für die Königin der Nacht. In dieser Bildsprache wird die «Zauberflöte» zum Märchen, in dem gute und böse Kräfte aufeinandertreffen.

Die Welt Sarastros präsentiert sich zunächst als Reich der bösen Mächte, in dem es ungeheuerlich knallt und dröhnt und in dem agile Spider-Men in Panzern und Helmen herumwirbeln. Diese Welt in starke Bilder zu übersetzen, bedeutet auch, die Szene, in der Monostatos mit Peitschenhieben auf die Fusssohlen bestraft wird, realistisch darzustellen. Daneben lässt Pountney die komischen Elemente nicht zu kurz kommen. Papagena tritt zunächst als wunderbar schrullige alte Dame mit klapperndem Teewagen auf. Papageno ist ein Tunichtgut in gelbem Trainingsanzug und mit Baseballcap, der Daniel Schmutzhard wie auf den Leib geschnitten ist.

. . . und fürs Ohr

Auch für das Ohr bietet die Bregenzer «Zauberflöte» einiges. Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Patrick Summers klingen in der technisch komplexen Übertragung, die seit einigen Jahren in Bregenz für Aufregung sorgt, gut ausgewogen. Nur in der Ouvertüre ergaben sich an der Premiere leichte Koordinationsprobleme. Die heikle Partie der Königin der Nacht meisterte Ana Durlovski tadellos, mit schön heller Stimme, vielleicht in der Höhe etwas gar vorsichtig. Alfred Reiter entfaltete seinen voluminösen Bass als mächtiger Sarastro frei.

Zu kurz war der Applaus aufgrund des plötzlich einsetzenden Regens an der Premiere auch für die Pamina von Gisela Stille und für den Tamino von Norman Reinhardt. Die beiden standen im Zentrum von Pountneys Interpretation, in der die Zukunft Mann und Weib gehört. Sie kommen am Ende im regenbogenfarbigen T-Shirt durch das Wasser hindurch auf das Publikum zu, was in der sonst eher deutungsarmen Lesart einen humanistischen Akzent setzt.

Für Geist und Seele

Auch am Ende der Oper «Der Kaufmann von Venedig» beschwören zwei die Liebe: Jessica, die Tochter des jüdischen Wucherers Shylock, und Lorenzo, ihr christlicher Liebhaber. Es ist jener Moment der Shakespeare-Komödie, der den polnischen Komponisten und Pianisten André Tschaikowsky dazu bewog, zusammen mit dem Librettisten John O'Brien eine «Ode an die Musik» zu schreiben. Daraus wurde eine ganze Oper, das Lebenswerk des 1982 verstorbenen Polen, das in Bregenz erstmals öffentlich gespielt wird. Die sorgfältige Aufführung durch die Wiener Symphoniker unter Erik Nielsen ist elementar für diese fein orchestrierte, dichte Musik, die sich an Idiomen des früheren zwanzigsten Jahrhunderts orientiert, an Berg, Schostakowitsch oder Britten; eine Musik, die in den 1980er Jahren unter den Verteidigern einer rigide abgesteckten Avantgarde womöglich für rote Köpfe gesorgt hätte.

In Bregenz überzeugt sie auch dank einer hochkarätigen Besetzung: Adrian Eröd deutet den geplagten Shylock differenziert, sein Gegenpart Antonio, der Countertenor Christopher Ainslie, wirkt fein und hitzköpfig, Kathryn Lewek überzeugt als warme Jessica und Magdalena Anna Hofmann als hitzige Portia. In seiner Inszenierung gibt sich der Regisseur Keith Warner bewusst zurückhaltend, indem er auf Grautöne setzt und die jüdischen Stereotypen nicht zu stark in den Vordergrund stellt. Nur gelegentlich verweist er auf Tschaikowskys eigenes, erschütterndes Leben, das in der eben erschienenen Biografie «Die tägliche Mühe ein Mensch zu sein» beschrieben ist. Der jüdische Komponist wird in Bregenz mit Konzerten und einem Symposium vorgestellt. Dieser Schwerpunkt steht in der Reihe der Präsentation von polnischen Komponisten wie Mieczyslaw Weinberg und Karol Szymanowski, mit der David Pountney in seiner Intendanz besonders verdienstvolle persönliche Akzente gesetzt hat.

Anastasia Belina-Johnson (Hg.): André Tchaikowsky. Die tägliche Mühe ein Mensch zu sein. Hofheim 2013. 272 S., € 29.-.