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Skandaloper in Wien: Gift für die Bürger

Comic in der Oper: Peter Konwitschnys kontroverse Verdi-Inszenierung „Attila“ in Wien.

Ist der Tumult im Zuschauerraum mitinszeniert? Auf den Gedanken kann kommen, wer sich anschaut, wie sich das wüste, chaotische Treiben im Lager der Hunnen in wütenden Gesprächsduellen im Parkett fortsetzt. Der Dirigent setzt sich hin und wartet lange den nächsten Einsatz ab. Regisseur Peter Konwitschny spaltet in Wien nach wie vor das Publikum. Das Festbankett des Hunnenkönigs Attila, bei dem immer wieder mit Pistolen herumgefuchtelt wird, vergiftete Becher im Umlauf sind und hunnische Priesterinnen, die die Moral der Truppe heben sollen, abgeknallt werden, hat Konwitschny als Comic inszeniert. Bruchstücke des Librettos schweben als Sprechblasen vom Bühnenboden: „Niemals, elende Römer“ oder „Mein Gift soll ihm schmecken“.

Als „Ausgewachsen infantil“ hat Konwitschny dieses Bild überschrieben. Die Handlung der Verdi-Oper lässt er im Theater an der Wien auf drei Altersstufen verteilen. Zunächst „kindlich verspielt“: Da wird das Publikum von Ausstatter Johannes Leiacker ins berühmte kleine gallische Dorf von Asterix versetzt. Ein Abenteuerspielpatz: Der römische Feldherr Ezio ist ein Punk, die Hunnen fahren Tretroller und hantieren mit Töpfen und Kochlöffeln. Wenn Papst Leo Hunnenkönig Attila im Spielzeugzelt zum Innehalten mahnt, wechseln die Kinder ihr Gewand. Nun sind sie angepasste uniformierte Erwachsene. Doch kindisch bleiben sie weiterhin auf ihren Partys oder vor dem Schreibtisch.

Ein wenig läppisch wirkt das schon. Wäre da nicht das allerletzte Bild, Konwitschnys berührend einfache Deutung, Oper als Einspruch gegen eine kriegerische Welt zu verstehen. Hier gelingt ihm eine überzeugend komische Szene. Die Antagonisten der Oper, nun sehr alt geworden, sind mit ihren Rollatoren und Rollstühlen offensichtlich im selben Altersheim gelandet. Dort kämpfen sie mit viel Inbrunst und mit noch mehr greisenhafter Tücke ihre alten Kämpfe weiter. „Seid ihr Hinterhältigen wieder zu einem Anschlag bereit?“, grübelt Attila. Und Odabella, deren Vater der Hunnenkönig auf dem Gewissen hat, sticht nun endlich zu. Oder ist es doch nur Altersschwäche?

Den frühen Verdi als derbe, brutale Volksbelustigung zu inszenieren, kann durchaus Sinn machen: „Rigoletto“ zum Beispiel, mit den vertauschten Leichen im Sack, als absurdes Kaspertheaterstück. Warum also nicht auch die Welt der Hunnen als banaler Comic? Es mag ja auch sein, dass es ein Missverständnis war, wenn man, wie Peter Konwitschny nahelegt, „Attila“ zur Oper des Risorgimeto macht. In der Tat kommentiert Guiseppe Verdis Musik das politische Geschehen sarkastisch, ironisch. Und das Angebot des ehrgeizigen römischen Karrieristen Ezio an Attila „Du sollst das Universum haben, aber Italien überlasse mir“ ist in der Tat als schlichte nationale Parole wenig tauglich.

Die szenische Simplifizierung lässt jedoch der Musik viel Raum. Riccardo Frizza lotet mit dem österreichischen Rundfunksinfonieorchester geschmeidig die dunkleren Stellen aus. Auch die Figuren haben – bei allem lustvollen Kommentar – viel Tiefe. Vielleicht eine Idee zu lautstark gerät das szenisch überzeugende Altenheimfinale, aber von sehr großer musikalischer Intensität ist die Auftrittsarie der Odabella (Lucrecia Garcia). Wenn sie als Mädchen gefangen genommen wird, imponiert sie Attila, dem Anführer der Jungenbande, so sehr durch ihren Bravourgesang, dass er ihr sein Messer schenkt.

Gewaltig donnert vom Bürostuhl auch George Petean als Ezio seine Größenwahnfantasien ins Publikum, während Tenor Nikolai Schukoff in der Rolle des Odabella-Verlobten Foresto ein wenig angegriffen, schon von Beginn an altersheimreif wirkt. Sympathisch dagegen der warme Bariton von Dmitry Belosselsky in der Titelrolle. Mit dem Anarchisten Attila sympathisierte wohl auch Peter Konwitschny mehr als mit den zivilisierten Römern. Bernhard Doppler

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