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Die Opernfestspiele haben begonnen: Giuseppe Verdis "Rigoletto" mit Sophie Gordeladze (als gehobene Gilda) in der Inszenierung von Erl-Chef Gustav Kuhn.

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Erl - Gesegnetes Erl. Um von Pest und Plünderung verschont zu bleiben, wird dort seit 400 Jahren Passion gespielt - der Deal ging im Großen und Ganzen auf. Vor 15 Jahren kam Dirigent und Gründerfigur Gustav Kuhn und erweiterte das lokale Angebot an großformatigen Leidensgeschichten dann um jene aus dem Schaffen Richard Wagners.

Dies wiederum gefiel dem Festspielpräsidenten und Industriellen Hans Peter Haselsteiner so sehr, dass er direkt neben dem weißen, wellenförmigen Passionsspielhaus von Robert Schuller (1959) ein schwarzes, kantiges Festspielhaus (Delugan Meissl) Wirklichkeit werden ließ. In 50 Jahren, da ist man sich mit der Servicekraft des Hotelrestaurants einig, wird daneben wohl ein drittes Haus gebaut werden: rot und, dem Erler Streben nach Modernstem verpflichtet, frei in der Luft schwebend, wie die Felsen auf Pandora in Avatar.

Glückseligkeit in der Realität, Tragik auf der Bühne: Morde, Flüche und Verwünschungen dominierten die musiktheatralische Aktion am Eröffnungswochenende der Tiroler Festspiele. Da sonst eh immer Wagner gespielt wird in Erl (so etwa im nächsten Sommer wieder der Ring des Nibelungen), konzentriert man sich heuer klugerweise auf den Co-Jubilar Verdi.

Es werden Nabucco sowie dessen Trilogia popolare gespielt, wovon man zu Beginn den Rigoletto und Il Trovatore offerierte, in so etwas Ähnliches wie eine Szene gesetzt von Erl-Chef Gustav Kuhn. Schwarze Treppen und eine schräge Fläche waren hierbei die tragenden Elemente des Bühnenbilds (Jan Hax Halama), Mobiliar wurde nur in homöopathischen Dosen beigefügt - und wenn, dann selten mit ästhetischer Schlüssigkeit. Die Choristen ergingen sich in den ewig gleichen Erler Gänsemarschprozessionen (Regie: Gustav Kuhn), oft erschreckend atmosphärefrei beleuchtet (Licht: Gustav Kuhn, Christian Falk).

Das zeitlose Schwarz

Im Rigoletto zelebrierten sie die Slow-Motion-Auftritte und Abgänge in zeitlosem Schwarz und weißen Halskrausen (Kostüme: Lenka Radecky). Der Trovatore geriet in Summe etwas stimmungsvoller: Ein kleines, wechselnd dekoriertes Karree in der Bühnenmitte deutete die unterschiedlichen Handlungsorte zumindest an. Musikalisch hingegen war vieles hochklassig:

Im Rigoletto Solisten wie die wundervolle Sophie Gordeladze als Gilda mit ihrem klaren, konzentrierten Sopran oder George Vincent Humphrey als Duca di Mantova, der mit lyrischem Belcanto die Herzen der Zuhörer gewann. Ein sanft singender George Clooney mit Hinkebein: James Roser in der Titelpartie; erst harmlos, dann zunehmend mächtig: Yasushi Hirano als Sparafucile, sexy Michela Bregantin als Maddalena, solide Johannes Schmidt als Monterone. Im Trovatore riss Ferdinand von Bothmer (Manrico) mit seinem weich-schmelzenden Tenor das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Ebenso wie Anna Princeva als makellose Leonora und der Erler Publikumsliebling Michael Kupfer als hochintensiver, differenziert rezitierender Conte di Luna. Beeindruckend stark auch Giovanni Battista Parodi als Ferrando, vielgesichtig Hermine Haselböck als Azucena.

Im "größten Orchestergraben der Welt" offerierte Kuhn zusammen mit den eher jungen, eher weiblichen Mitgliedern des Festspielorchesters eine fesselnde Mischung aus Zartheit, behutsamen Tempi und vulkanischer Leidenschaft. Frappierend, wie die - mitunter fast etwas hyperpotente - Akustik Sänger und Musiker verstärkt: Der Chor (Leitung: Marco Medved, Ljudmila Efimova) kann auf der Bühne flüsternd singen, man versteht jedes Wort.

Fast einen Tick zu hallenbadhallig die Verhältnisse für die Solisten, vor allem wenn sie nach hinten singen; auch die Holzbläsersoli kommen manchmal derart lautstark aus dem Orchestergraben, dass es fast schon an Derbheit grenzt. Im nächsten Sommer sind die Kuhn-Inszenierungen mit ihrem holzschnittartigen Probebühnencharme wieder im Passionsspielhaus zu erleben, mit dessen rohem, archaischem Ambiente sie besser korrespondieren.

Obwohl: Ist es nicht fast schon wieder eine Sünde, ein derart fantastisches Festspielhaus zu haben und dann 100 Meter daneben in einem Haus ohne Orchestergraben und mit reduziertester Bühnentechnik Oper zu spielen? Das Erler Stammpublikum sieht es nicht so, es scheint die szenische Schonkost Kuhns und auch beide Häuser gleichermaßen zu lieben. Gesegnetes Erl: Diese Qualen der Ortswahl hätten andere Festspielorte wohl auch gern. Die Festspiele dauern noch bis 28. Juli an. Wochentags gibt es ein vielfältiges Kammermusikprogramm. (Stefan Ender, DER STANDARD, 8.7.2013)