Festwochen: "Il Trovatore" als ironisierter Pop-Reißer

Kreuzung aus durchgeknallter Colombine und auf dem Dachboden vergessener Puppe: Marina Prudenskaya als Azucena. Links: Gaston Rivero als Manrico.
Kreuzung aus durchgeknallter Colombine und auf dem Dachboden vergessener Puppe: Marina Prudenskaya als Azucena. Links: Gaston Rivero als Manrico.(c) APA/Hans Klaus Techt
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Wenn Regisseur Philipp Stölzl aus allen Theaterrohren feuert, geht das bei Verdis Oper „Il Trovatore“ nicht ohne Kollateralschäden ab; sängerisch dominieren die Damen.

„Il Trovatore“ sei „des deutschen Bildungsbürgers liebstes Gespött“, schrieb Maurus Pacher einmal. In der Tat gehört es beinah zum guten Ton, selbst unter Opernfreunden, sich über den angeblich unverständlich-absurden Inhalt lustig zu machen, der nur durch Verdis genial schmissige Musik erträglich werde. Diese perpetuierte Geringschätzung ist freilich keineswegs aufrechtzuerhalten, vergleicht man das Stück unvoreingenommen mit anderen Erzeugnissen der „Camp“-Ästhetik, von Romanen der Schauerromantik bis hin zum aktuellen Kino – doch leben Vorurteile bekanntlich länger. „Verstehen Sie die Handlung von ,Il Trovatore‘?“, lautet denn auch im Programmheft der aktuellen Festwochenproduktion eine Frage an Dirigent und Regisseur. Prompt verneint Omer Meir Wellber, während Philipp Stölzl einräumt: „Nach wochenlanger Beschäftigung: ja.“

Stölzl wenigstens gesteht man bei dieser Antwort einen ironischen Grundton zu – denn Ironie ist das beherrschende Element seiner Inszenierung, die ab Herbst in Berlin zu erleben ist (wobei er sich besonders für Plácido Domingo als Luna an der Seite der Leonora von Anna Netrebko wohl einiges wird neu überlegen müssen). Mit der jungen, großteils wackeren Wiener Besetzung kann er sich freilich ungehindert austoben. Drei gekachelte Seiten eines Würfels vermitteln Enge (Bühne: Conrad M. Reinhardt), die aber vielfältig aufgelockert wird: Auftritte finden durch Falltüren, Tore und Fenster statt; Videoprojektionen (fettFilm) öffnen den Einheitsraum virtuell und bebildern Fantasien wie Rückblenden in surrealem Stil à la Réne Magritte. „Ceci n'est pas un opéra“, scheint demgemäß über dem ganzen Abend als unausgesprochenes Motto zu stehen: Stölzl deutet „Il Trovatore“, gerade durch seinen trashigen Ruf der Inbegriff des musikalischen Reißers, als eine Art Überoper.

Comicartige Szenen, historisch kostümiert

Realität und Plausibilität rücken da schnell in den Hintergrund, stattdessen bemüht sich Stölzl um ein „Popkonzert, in dem jede Nummer fetzt“, wie er es formuliert. Das Werk wird zu einer Folge von comicartigen Szenen in historisch inspirierten Kostümen (Ursula Kurdna), die zwischen stilisiert zerzauster Commedia dell'arte und hochkulturell verbrämter Pulp Fiction oszillieren – wobei Letztere schließlich überhandzunehmen droht.

Vom Inhalt vorgegebene Generationsunterschiede brauchen sich in diesem Musiktheater zweiter Ordnung nicht mehr in Besetzung und Maske widerzuspiegeln: Der fast spitzbübisch junge, kultiviert tönende Ferrando (Gábor Bretz) schleicht zu Beginn karikaturhaft auf Zehenspitzen über die Bühne, seine Soldaten (Schoenberg Chor) lauschen mit schlotternden Knien seiner Erzählung – und wenn Graf Luna sich anschickt, „Il balen“ anzustimmen, dann wird sozusagen mit verdrehten Augen die Parole ausgegeben: „Leise, der Chef singt schon wieder!“ Artur Ruciński tut dies mit schlankem Bariton noch etwas eindimensional und nicht ideal geschmeidig, aber vielversprechend – und stellt auf Stölzls Geheiß einen selbstverliebten Gecken dar, der schon einmal am Griff seines Spazierstocks kaut und zuletzt selbst mit Kapuze und Beil des Henkers hereinschlurft: ein ironisierter „Bösewicht“ also.

Dagegen gilt der Leonora Stölzls ganze, wahrhaft seriöse Liebe. Carmen Giannattasio, optisch eine Art duldsam leidende Velásquez-Infantin, schafft an diesem Abend vielleicht die günstigste Verbindung von Spiel und Gesang – mit einer charaktervoll gefärbten, wendigen und vor allem ausdrucksvollen Sopranstimme, die trotz mancher Abstriche in puncto Raffinement bleibenden Eindruck hinterlässt. Dass sie sich hier schließlich einen unsichtbaren Dolch in den Bauch rammt und dann dem Luna hingibt, um Manrico zu retten, ist zwar weniger plausibel als das im Libretto vorgesehene Gift, doch will der Regisseur wohl endlich Blut sehen: Wie in Hermann Nitschs „Hérodiade“ rinnt es, diesmal freilich nur projiziert, kübelweise über die Wände.

Vokal wird Giannattasio nur noch überragt von Marina Prudenskaya als Azucena, hier weniger eine traumatisierte Tochter und Mutter als vielmehr eine Kreuzung aus durchgeknallter Colombine und auf dem Dachboden vergessener Puppe: Ihr schlanker Mezzosopran mag für die Partie zu jung klingen, erweist sich aber als gesundes, ausgeglichenes, gut eingesetztes Instrument – eine höchst erfreuliche Begegnung. Mitleid bekommen konnte man dagegen mit Yonghoon Lee als pathetisch-banalem Manrico. Nach einer Erkältung versuchte er sich ins reine Kraftmeiern zu retten und schmetterte fast alles, auch „Ah, si ben mio“, als ginge es um Otellos „Esultate“ – um dann ausgerechnet die Stretta zu verhauen: Stentortöne ohne Maß und Ziel.

Omer Meir Wellber ging es am Pult des alerten RSO Wien wohl mehr um Effekt und rhythmisches Drängen als um melodische Geschmeidigkeit, doch deckte sich das mit dem Regiekonzept. Damit ist die unter Wellbers Leitung bei den Festwochen produzierte „Trilogia popolare“ (nach „Rigoletto“ und „Traviata“ in den Vorjahren) komplettiert – mit einer Produktion, die, ob man sie nun gern erlebt hat oder nicht, vor allem szenisch im Gedächtnis bleiben wird.

Noch am 29., 31. 5., 3. 6.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2013)

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