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Ein Wunder auf dem Holodeck
Von Joachim Lange
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Fotos Dass sich der russische Superstar Anna Netrebko Peter Tschaikowskys letzter Oper Iolanta (1882) in besonderer Weise annahm, hat diesem Einakter ganz sicher nicht geschadet. Zuerst 2009 in Baden-Baden, dann 2011 konzertant in Salzburg, schließlich noch auf zehn Tournee-Stationen in Westeuropa. Als Oper ist das Werk ein Sorgenkind. Außerhalb Russlands fristet es Schattendasein jenseits des Repertoires. Etwas zu kurz geraten, um einen ganzen Abend allein zu füllen, ohne eine Lücke, die sich zur Pause nutzen ließe, doch eigentlich zu stark, um mit einem anderen Einakter kombiniert zu werden. Wobei die Stimme der Netrebko und ihre Präsenz selbst bei konzertanten Auftritten genau die richtige vokale Argumentationshilfe für eine Rehabilitierung dieses Stückes liefern.
Im Stück selbst ist auch die Prinzessin Iolanta ein echtes Sorgenkind. Sie ist von Geburt an blind. Doch die väterliche Übervorsorge des Königs René gaukelt ihr das als Normalzustand vor und schlägt den klugen Rat des maurischen Arztes Ebn-Hakia in den Wind, der weiß, dass nur dann Hilfe durch eine Operation möglich und Erfolg versprechend sein kann, wenn sie um ihren Zustand weiß und ihn auch ändern will. Die Verbote das Königs für jedermann bei Todesstrafe den Zaubergarten, in dem Iolanta lebt, zu betreten, nützten natürlich auf die Dauer nichts. Wie es der Opernzufall so will, verirren sich ausgerechnet der burgundische Herzog Robert (der in Kindertagen mit Iolante verlobt worden war) und sein Freund Graf Tristan Vaudemont zu Iolanta, wobei sich letzterer prompt in sie verliebt, alle Verbote missachtet und nur deshalb der angedrohten Todesstrafe entgeht, weil Iolanta, um ihn zu retten, in die Operation einwilligt. Am Ende geht die Sache gut aus: Sie wird durch die Kraft der Liebe sehend. Und da Robert längst eine andere liebt, bleibt auch da keine Frage offen.
Für Tschaikowsky ist diese ans Herz gehende Erlösungsgeschichte mit hemmungslosem happy end die Vorlage für ein emotionales Schwelgen ohnegleichen. Er entfaltet mit geradezu italienischer Melodramatik große Oper im klassischen Doppelsinn des Wortes. In ihrer Inszenierung für die Lothringer Opernhäuser in Metz und Nancy liefern der deutsche Regisseur David Hermann und sein Team (Bühne: Rifail Ajdarpasic, Kostüme: Ariane Unfried, Licht: Bernd Purkabek) all das und hinterfragen dennoch das allzu gute Ende. Der Zaubergarten Iolantas, der für jeden Fremden Tabu ist, wird hier zu einem videoprojizierten Labor in einer Fantasy-Zukunft, mit Blindenschrift und einem Laufgitter-Hilfsapparat mit weißen und roten Rosen für seine Bewohnerin. So wie die steril hermetischen Wände dieses Holodecks dann am Ende aufbrechen und Iolanta an der Hand des Arztes (und nicht an der ihres Liebsten) den Blick nach vorn richtet, wird von der Regie der grenzenlose Jubel über die wundersame Heilung atmosphärisch hinterfragt. Ohne gleich das ganze Stück zu demontieren.
Was bei der musikalischen Qualität, die Jacques Mercier und das Orchestre national de Lorraine an den Tag legen, auch schlecht möglich ist. Außerdem wird in Metz die große vokale Artillerie aufgefahren. Mag sein, dass die eine oder andere lyrische Feinheit auf der Strecke bleibt, aber der puren, wenn auch etwas metallischen Strahlkraft von Gelena Gaskarovas Sopran gelingt es, die ahnungslose Unschuld Iolantas ebenso wie das durch Liebe erweckte Selbstbewusstsein zu beglaubigen. Hinreisend als vitaler Strahlemann Georgy Vasiliev, machtvoll Mischa Schelomianskis König und Igor Gnidiis Robert, eindringlich Evgeny Libermans, durch einen Prologsprecher verdoppelter Arzt Ibn Hakia. Die Nähe dieses Ensemble zum russischen Idiom ist da nur noch der Punkt auf dem i einer mitreißenden Oper der großen Gefühle im intelligent modernen szenischen Gewand.
Bislang ist Tschaikowskys Iolanta im deutschsprachigen Raum vor allem konzertant als Steilvorlage für eine Ausnahmesopranistin wie Anna Netrebko zu Ehren gekommen. Die Skepsis, die man bei solchen konzertanten Aufführungen bezüglich einer szenischen Umsetzung die emotional allzu gradlinigen Oper haben konnte, haben David Hermann und sein Team aufs beste wiederlegt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Solisten
Le Roi René
Iolanta
Le Comte Vaudémont
Robert
Ibn-Hakia
Alméric
Bertrand
Marta
Brigitta
Laura
Prologue
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