Dunst und Tand – aus deutschem Land

Mit dem Einzug von Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden hat für die Osterfestspiele Salzburg eine neue Zeit begonnen. Wagners «Parsifal» gab zu erkennen, dass sie älter ist als die alte.

Peter Hagmann
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In Klingsors Skulpturenhalle bietet der Salzburger «Parsifal» einige Überraschungen. (Bild: Forster)

In Klingsors Skulpturenhalle bietet der Salzburger «Parsifal» einige Überraschungen. (Bild: Forster)

«Einladung zum Neubeginn» steht auf den in der Stadt ausgehängten Plakaten. Das darf wörtlich genommen werden. Seit der Gründung der Osterfestspiele Salzburg 1967 durch Herbert von Karajan bildeten die Berliner Philharmoniker einen festen Bestandteil des Festivals, deren Chefdirigent amtete sozusagen ex officio als ihr Künstlerischer Leiter. Das ist 2012, nach 35 Jahren, brüsk zu Ende gegangen. Die Berliner Philharmoniker liessen verlauten, sie sähen keine Zukunft in Salzburg, es gebe dort keine Möglichkeit für die Erweiterung des Programms in ihrem Sinn, nämlich durch mehr Opernaufführungen, mehr Kammermusik und pädagogische Projekte. Nach der Produktion von «Carmen» im letzten Jahr brachen sie die Verbindung zu Salzburg ab und zogen weiter nach Baden-Baden; im dortigen Festspielhaus sind sie mit offenen Armen empfangen worden – und dort haben sie jetzt, als neue Konkurrenz zur Salzburger Veranstaltung, ihre ersten Osterfestspiele in eigener Regie durchgeführt. In Salzburg musste derweil sehr rasch für Ersatz gesorgt werden – und wurde mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann eine hochattraktive Alternative gefunden.

Ästhetische Wende

Der Einschnitt ist nicht nur in institutioneller Hinsicht bedeutend, noch mehr Gewicht hat die ästhetische Wende. Wie schon sein Vorgänger Claudio Abbado hat Simon Rattle in den zehn Jahren seines Wirkens den Pfingstfestspielen im Rahmen dessen, was an diesem Hochpreisfestival möglich ist, ein bemerkenswert aufgeschlossenes Profil verliehen. Es gab nicht nur die Stützen des Repertoires, sondern auch Stücke, die für diesen Ort eher ungewöhnlich waren – «Peter Grimes» von Britten zum Beispiel oder Debussys «Pelléas et Mélisande». Es gab sogar Inszenierungen, die mit hergebrachten Bilderwelten brachen und Denkanstösse boten wie die «Salome» mit Stefan Herheim 2011. Vor allem gab es orchestrale Kultur der feinsten Art; die selbstbewusste Art, in der sie ausgestellt wurde, stiess allerdings nicht überall auf Zustimmung.

Mit dem Einzug Christian Thielemanns zeichnen sich da nun erhebliche Veränderungen ab. Der demnächst 54-jährige Dirigent gibt sich heute gelassener als vor zehn, fünfzehn Jahren (und die Öffentlichkeit reagiert gelassener auf ihn), aber an seinem ausgeprägt konservativen Profil hat sich wenig geändert. Zu seinem Einstand an den Osterfestspielen Salzburg hat er Wagners «Parsifal» mitgebracht – und dabei gleich den Tarif durchgegeben: Solange er das Sagen habe, ereigne sich das Bühnenweihfestspiel weder in einer Garage noch an einem Flugplatz, und zu den Vorspielen bleibe der Vorhang zu. Gut so, denn die Art «Regietheater», die der Dirigent damit meint, ist tatsächlich seit geraumer Zeit tot.

Die in Salzburg gebotene Alternative ist indessen nicht wesentlich lebendiger. Mit Alexander Polzin wurde ein bildender Künstler eingeladen, als Ausstatter für die drei Aufzüge drei Phantasieräume zu entwerfen. Der Wald aus Plexiglassäulen, die sich nach und nach mit Trockeneisnebel füllen und so zunehmend zu Marmorstelen werden, die Skulpturenhalle mit ihren teils übergrossen, teils kopfüber von der Decke herabhängenden Gipsfiguren und die von zwei bronzenen Fabeltieren bewachte Auslage von Wellplastic – sie haben mit dem Stück so wenig zu tun wie eine Garage oder ein Flugplatz. Immerhin füllen sie die Breitleinwand-Bühne des Salzburger Grossen Festspielhauses. Einen Ausweg aus den Sackgassen der Rezeptionsgeschichte, mit der nicht nur der «Ring des Nibelungen», sondern ebenso sehr der «Parsifal» beladen ist, bieten sie jedoch nicht.

Unterstrichen wird das durch eine Inszenierung, deren Unbeholfenheit im Suchen nach optischer Konkretisierung schon fast nicht mehr zu überbieten ist – vom Publikum ist sie denn auch in Grund und Boden gebuht worden. Eine Fülle an symbolgetränkten Nebenhandlungen hat sich der Regisseur Michael Schulz, seines Zeichens Generalintendant am Musiktheater Gelsenkirchen, einfallen lassen. Stets präsent ist etwa der Gekreuzigte, und wie es sich gehört, wird er von einem schwarzen Teufel begleitet – bis im dritten Aufzug dieser Christus stirbt und der Böse als neuer Guter dessen Partie übernimmt, um sich gleich rührend der zu Maria Magdalena gewordenen Kundry zuzuwenden. Zu den Figuren des Geschehens war hingegen so gut wie nichts zu erfahren, sie blieben statisch, gaben sich dem vielleicht doch nicht mehr so geschätzten Händeringen hin oder ergingen sich in den Freuden des Rampensingens. So kam es zu einer konzertanten Aufführung, die durch den bedeutungsschwanger aufgeblähten optischen Tand mehr gestört als ergänzt wurde. Mit Musiktheater hat das nichts zu tun.

Die «Wunderharfe» am Werk

Musikalisch wurde dieser «Parsifal» freilich zu einer überwältigenden Erfahrung: ebenso packend wie zweifelhaft. Die Sächsische Staatskapelle Dresden, Wagners «Wunderharfe», ist das Orchester Christian Thielemanns, das war nicht zu überhören. Mit ihm vermag er jenen Dunst, auch jenen Rausch zu erzeugen, der für ihn zu Wagner gehört. Ermöglicht wird das durch eine klangliche Ästhetik, die sich von jener der Berliner Philharmoniker grundlegend unterscheidet. Die Dresdener spielen sehr dunkel und sehr weich, weshalb sich der Klang mit einer geradezu lasziven Geschmeidigkeit ins Ohr fügt. Wenn Thielemann loslässt, seine bisweilen extrem langsamen Tempi anvisiert und die Takte wagemutig dehnt, dann betritt er jenes Reich des Feierlichen, Erhabenen, das ihm allein gehört. Dann wird es aber auch grenzwertig überwältigend. Wie es in jenen Momenten war, da sich die Chöre der Staatsopern von Dresden und München an den Wänden links und rechts des Auditoriums wie in der Tiefe der Bühne aufreihten und die Zuhörer förmlich überfluteten. Nur wäre da noch etwas an der Intonation zu feilen gewesen.

Sehr ordentlich und sehr konventionell die Vokalbesetzung. Johan Botha gab einen unangestrengt leuchtenden, von jeder Schärfe befreiten Parsifal, Wolfgang Koch war Amfortas und Klingsor in einem und in beiden Fällen zuverlässig, Stephen Milling ein würdiger Gurnemanz und Michaela Schuster eine schön eingemittete, darum auch etwas brave Kundry.