Theater an der Wien: "Fidelio" als Hohelied der Liebe

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Beethoven als intellektuell-musikalisches Abenteuer: Triumph für Dirigent Harnoncourt und den Concentus Musicus, Buhrufe für Regisseur Föttinger.

Nein, Beethoven hat sich keineswegs im Grab umgedreht. Zuletzt trat er mit wohlwollender Miene sogar persönlich auf, um das in C-Dur und immer mehr Licht erstrahlende Schlusskonzert zu leiten. Da hat sich Rolf Langenfass' Bühnenbild verflüchtigt, lässt uns der Regisseur über das wahre Schicksal der Protagonisten im Unklaren und präsentiert die Utopie des Komponisten nur als jenes Oratorium, als welches das Finale von jeher gescholten wurde... Doch der Reihe nach:

Nicht als Feier der Freiheit, sondern vor allem als Hohelied der Liebe wollten Nikolaus Harnoncourt und der Musiktheaternovize Herbert Föttinger Beethovens einzige und politisch vielfach gebrauchte, missbrauchte Oper im Theater an der Wien zeigen. Den inszenatorischen Bemühungen des Josefstadt-Direktors und jenen der Sänger zum Trotz kommt das in doppeltem Sinne Aufregendste des Abends aber aus dem Graben. Harnoncourts „Fidelio“-Deutung, erstmals in Wien und vor allem erstmals mit seinem auf ihn eingeschworenen Concentus Musicus, das bedeutet, wie schon bei der „Zauberflöte“ im vergangenen Sommer in Salzburg, eine unerhörte Zuspitzung und Verschärfung zwischen Finsternis und schreiender Grelle: Von dröhnenden Kontrafagott- bis zu alarmierenden Piccolotönen, verstörenden Stößen und schaurigen Pianollängen der Posaunen schien jede Note zweimal umgedreht und auf ihre Bedeutung hin abgeklopft, wirkte die Partitur wie in ihre Einzelteile zerlegt, auf höchste Farbigkeit geputzt – und dann allerdings nicht an jeder Stelle wieder ganz fertig zusammengesetzt: Bewusste Brüche und Verwerfungen durchfurchten den Abend.

Denn im Grunde dirigiert er so, wie Beethoven laut seinem Adlatus Anton Schindler Klavier gespielt habe: nach dem rhetorischen Prinzip, ähnlich der Deklamation eines Schauspielers, wobei das Setzen nicht notierter Pausen oder der stellenweise freie Umgang mit dem Takt legitime Mittel seien, den Tönen Sinn zu verleihen. Auf Schritt und Tritt bringt Harnoncourt deshalb Zäsuren, Dehnungen, Fermaten, irritiert damit die Traditionalisten wieder einmal erheblich und erheischt jedenfalls ständig höchste Aufmerksamkeit. Diese Flexibilität im Vortrag erlaubt ihm etwa, durch allerlei emphatische Verbreiterungen Marzellines Liebesträume ebenso bedeutungsschwanger herauszuheben wie die chromatische Linie vor der Erwähnung des Gouverneurs – nur zwei von unzähligen Beispielen. Diese Freiheit paart sich mit einem unerbittlichen Beharren auf den notierten Temporelationen: Allegro vivace im C-Takt muss es auch bleiben, sprich, „O namenlose Freude“ genauso schnell ablaufen wie der Beginn des unmittelbar folgenden Finales – während die herkömmliche Lesart zwischen ekstatische Schnelligkeit und pompöse Breite noch die dritte „Leonoren“-Ouvertüre schiebt, die hier selbstredend fortbleibt.

Föttinger zeigt eine rührende Umarmung

Dergleichen bedeutet immer wieder unerhörten Gewinn – doch stellenweise auch Verlust. Dass eben jenes Duett des wiedervereinten Paares keine heroische Eruption, sondern ein Moment intimen, mehr inneren Jubels unter Tränen sein kann, ja, sein muss, war jedenfalls mit bewegender Intensität zu erleben – auch deshalb, weil Föttinger hier rührend zeigte, wie sie die Umarmung nicht aufzugeben vermag und beide vergessen, dass er noch mit hoch erhobenen Armen angekettet dasteht. Es wurde zum Höhepunkt einer Aufführung, deren zentrale Partien durchaus nicht so leicht besetzt waren, wie zunächst behauptet. Denn für Michael Schade bedeutete der Florestan nur den logischen nächsten Schritt. Den „Engel Leonore“ etwa rief er mit unerschrockenem Aplomb an und wird dort, wo lyrischer Liedtonfall gefordert ist, künftig sicher noch rundere, noblere Phrasen formen. Für Juliane Banse ist die Leonore eine mögliche, keine zwingende Partie, obwohl sie den vermeintlichen jungen Mann begnadet darstellt: Mit ihrem vom Timbre her etwas gestresst wirkenden Sopran kommt sie anständig über Beethovens unbarmherzig geforderte Runden, ohne dabei echt reüssieren zu können.

Spannungsmanko im Kerkerquartett

Problematisch ist dagegen der Paradebösewicht Pizarro besetzt: Martin Gantner klingt wenig bedrohlich, schwächelt in der Tiefe und kann auch in den sprachlich modernisierten, aber allgemein um Nuancen zu gestelzt vorgetragenen Dialogen die vielleicht intendierte leise Gefährlichkeit nicht ausreichend vermitteln – darf (oder muss) dafür zum Wutabbau einen Unschuldigen erschießen. Gemeinsam mit Harnoncourts gezügeltem Tempo im Kerkerquartett (nur Allegro!) bedeutete das ein erhebliches Spannungsmanko an entscheidender Stelle. Inmitten der von Birgit Hutter passend faschistisch grau in grau eingekleideten, aber etwas zu locker daherstaksenden Soldaten wirkte Gantner zu gemütlich, gerade neben Lars Woldts prägnantem Rocco, einem schaurig-habgierigen Buchhalter des Todes – oder auch neben dem ekelhaft opportunistischen Jacquino von Johannes Chum, dessen Grapscherei die sängerisch etwas unausgeglichene Anna Prohaska als Marzelline (eine Art Traudl Junge) kaum entkommen konnte.

Also triumphierte Harnoncourt, der begnadete Übertreibungskünstler vom Range eines Thomas Bernhard: Insgesamt ein mehr intellektuell-musikalisches Abenteuer als mitreißendes oder gar erhebendes Theater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2013)

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