Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Barockoper: Man sieht nur mit den Ohren gut

Bühne und Konzert Barockoper

Man sieht nur mit den Ohren gut

Freier Feuilletonmitarbeiter
Es soll ein Psycholabor sein, weil wir ja in Sigmund Freunds Heimatstadt sind, es kling aber prima. Patricia Bardon singt im „Radamisto“ am Theater an der Wien die Zenobia, Florian Boesch den Tiridate. René Jacobs dirigiert Es soll ein Psycholabor sein, weil wir ja in Sigmund Freunds Heimatstadt sind, es kling aber prima. Patricia Bardon singt im „Radamisto“ am Theater an der Wien die Zenobia, Florian Boesch den Tiridate. René Jacobs dirigiert
Es soll ein Psycholabor sein, weil wir ja in Sigmund Freunds Heimatstadt sind, es kling aber prima. Patricia Bardon singt im „Radamisto“ am Theater an der Wien die Zenobia, Florian... Boesch den Tiridate. René Jacobs dirigiert
Quelle: Monika Rittershaus
Augen zu und durch: Vincent Boussard inszeniert Händels „Radamisto“ in Wien, aber das ist nicht so wichtig. Der Dirigent René Jacobs verwandelt die Oper zur Wellnesspackung für Hirn und Gehör.

Drei Türen, ein dunkles Zimmer. Auftritte, Abgänge. Dazwischen viele Arien. Viel mehr passiert auch in der „Radamisto“-Inszenierung des eigentlich immer gleich langweiligen, nichtssagenden, nur dekorativ arrangierenden Regisseurs Vincent Boussard nicht.

Na, sind wir ehrlich: Es gibt noch einen rein- und rausfahrbaren Tisch, wie von Geisterhand (das Unbewusste!) klappbare Stühle, eine mysteriöse Schüssel Waldmeisterbowle und ein paar hübsche, irgendwie beruhigende Videoprojektionen vor sich hin schnappender Zierfischlein, die über die glänzenden Wände schwimmen.

Wir sind im Theater an der Wien, also in der Stadt Sigmund Freunds, und das lässliche Gedöns soll irgendwas mit Träumen zu tun haben. So wie auch die zwölf Statistinnen, die hier ziemlich unmotiviert, aber hübsch anzusehen als das Unterbewusste herumtrippeln, vom Ex-Couturier Christian Lacroix in raschelnde Knitterstoffschläuche gesteckt und durch die Waschmaschine geschleuderten Vermeer-Mädchen ähnelnd.

Musikalisch ist der Abend ein Genuss ohne Reue

Doch wir sind hier zum Glück nicht nur in Wien, sondern auch in der Barockoper, und da transportiert sich eigentlich das Allermeiste der in der Regel hanebüchen komplizierten, eigentlich völlig unerheblichen, weil sowieso nach drei Akten gut ausgehenden Liebesintrigen über die instrumental-vokale Seite. Und um die ist es an diesem trotzdem traumschönen Abend ganz wunderbar bestellt. Man kann ohne Reue die Augen schließen, sich hingeben, genießen und wird trotzdem angerührt und aufgerüttelt, fühlt sich am Ende wie nach einer besonders luxuriösen Wellnesspackung für Hirn und Ohren.

Schließlich haben der Dirigent René Jacobs und das nunmehr 25 Jahre junge Freiburger Barockorchester gerade bei Händel zu einer Opernsymbiose der besonderen Art gefunden; die vom Theater an der Wien nach Kräften gefördert wird. „Radamisto“, 1720 im King’s Theatre am Londoner Heymarket uraufgeführt, war das erste Werk für das nur neun Jahre existierende, von König Georg I. mitunterstützte Privatunternehmen der Royal Academy of Music.

Zu hören ist eine intensiv durchpulte Partitur gleichwertig guter Solonummern, aus der eigentlich nicht einmal Händels angebliche Lieblingsarie „Ombra cara“ heraussticht, die der trauernde Thraker-Prinz Radamisto am der Stelle singt, wo seine Gattin Zenobia vorgeblich in einem Fluss umgekommen ist. In die Reihe der Händel-Hits hat es das hörenswerte Opus, von dem hier weitgehend die dritte von vier Fassungen gegeben wird, nie geschafft.

René Jacobs webt einen feinen Klangteppich

Sparsam sind die Soloeinsätze, da mal ein markantes Cello, hier eine liebliche Oboe, dort zwei beherzt fanfarende Hörner, doch René Jacobs und die Freiburger weben das zu einem herrlich dichten, dabei ebenmäßigen und klangfein kolorierten Notenteppich zusammen, der sich streicherdominiert immer weiter ausrollt und einen eigentlich ins Unendliche forttragen könnte.

Es ist neuerlich staunenswert, wie genial und innovativ, dabei melodisch erfüllt Händel viele hunderte Mal das fast immer gleiche Dacapo-Arienmodell variiert und erneuert. Umso schöner dann, wenn es sich hier zum Finale schließlich zu einem erstaunlich sparsam und doch schon individuell widerstreitende Emotionen sich entfalten lassenden Quartett ausweitet. Dirigent und Orchester entwickeln das wie unter dem Mikroskop, konturenklar und geordnet, dabei mit sensiblem Instrumentalschimmer und souveräner Dramaturgie der Affekte.

Da können die Sänger, sie alle erste ihres Fachs, zum Teil auch schon länger mit Jacobs assoziiert, einfach nur mitschwimmen, getragen von dieser herrlichen Klangstütze wirken sie in den schwierigsten Läufen, den nicht enden wollenden Lamenti-Schleifen über pochendem Bass selbst an den allertraurigsten Stellen wie lustig wippenden Bojen auf einem fabulös ausbalancierten See der Töne. Händel ist paradoxerweise selbst in seinen melancholischeren Werken ein Gute-Laune-Bringer, ein exzellenter Seelenputzer.

Ein amerikanischer Countertenorstar überstrahlt alles

Anzeige

Sophie Karthäuser mag auch als Mozartsopran nicht das einprägsamste Timbre haben, aber sie ist der Innbegriff der lyrisch Leidenden, auf ewig jungmädchenhaft und hier als Polissena, Schwester Radamistos und Ehefrau des armenischen Usurpatoren Tridate, ideal besetzt. Den Bösen singt wiederum Christian Boesch mit locker-wohlgefälligem Bariton als narzisstischen Diktator, der nicht begreift, dass ihn Radamistos Gattin verachtet, statt zu lieben.

Patricia Bardon ist ganz sehnig-erdige Mezzostrahlkraft, dabei flexibel und weich abgetönt, in ihrer heroischen Trauerarbeit nuancenreich und fantasievoll. Jeremy Ovenden fügt sich da nahtlos tenorsicher als weitere Gefühlsverwirrungen verursachender Militär Tigrane ein, Fulvio Bettini gibt den nicht sonderlich verhaltensauffällige Pater familias Farsamene.

Zentrum der Aufführung ist und bleibt aber der Radamisto von David Daniels. Die Stimme mag inzwischen an Klangdifferenzierung verloren haben, man hört Schärfen, aber mit was für einer Musikalität und technischen Versiertheit gestaltet der amerikanische Countertenorstar. Und wie wenige nur ist er auch auf der Bühne ein ganzer Kerl mit durchschimmernder Teddybärweichheit. Da darf dann einen Abend lang auch mal Händel nicht aus dem Aquarium der Harmlosregie herausfinden.

Termine: 29., 31. Januar

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema