Monotone Moderne, dürftig und pompös

Kurz nacheinander brachte das Theater an der Wien zwei neue Produktionen heraus. Die eine davon in der Wiener Kammeroper, die seit dieser Saison ebenfalls von Wiens «neuem Opernhaus» bespielt wird. Die Ergebnisse waren durchmischt.

Daniel Ender
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Wolfgang Koch bewältigt die riesige Titelpartie des Mathis mit kolossaler Präsenz – und kann die Wiener Inszenierung doch nicht retten. (Bild: pd)

Wolfgang Koch bewältigt die riesige Titelpartie des Mathis mit kolossaler Präsenz – und kann die Wiener Inszenierung doch nicht retten. (Bild: pd)

Dezent ist die Szenerie nun wirklich nicht: Die Figur des gekreuzigten Jesus ragt über die gesamte Drehbühne, leuchtet blutrot, wird zerteilt; Heerscharen entfesselter «Bauern» fuchteln wild mit Mistgabeln durch die Luft, blutverschmierte Gepeinigte werden vergewaltigt und gemordet. Der Regisseur Keith Warner begegnet Paul Hindemiths Oper «Mathis der Maler» im Wiener Theater an der Wien mit der hyperrealistischen Keule, malt Inbrunst und Verzweiflung, Düsternis und Schrecken und – schlimmer noch – larmoyante Hoffnungsschimmer, bei denen betulich gelächelt und getänzelt wird, als sollte all dies in der Form unmittelbarer Affekte funktionieren.

Szenische Tautologien

Es ist gewiss nicht leicht, die verschlungene Geschichte, für die Hindemith das Schicksal des Malers Matthias Grünewald, die Luthersche Reformation und die Bauernkriege des frühen 16. Jahrhunderts miteinander vermengte, überhaupt einigermassen geordnet auf die Bühne zu bringen. Doch die Konflikte des historischen und stark zeitgebundenen Stoffs einfach plakativ zu bebildern, das wirkt, wie Warners Arrangement erweist, allzu naiv, zumal das Libretto des Komponisten nicht ohne dramaturgische Schwächen ist.

Denn das Künstlerdrama als Ausgangspunkt verliert das 1938 in Zürich uraufgeführte Werk in jenem Mass aus dem Blick, in dem sein Protagonist in die kriegerischen Handlungen und menschlichen Tragödien hineingezogen wird. Erst im letzten der sieben Bilder spannt das fast vierstündige Werk den Bogen zurück zu jenem Moment, da Mathis den Isenheimer Altar vollendet hat und bald darauf das Zeitliche segnet. Abgesehen vom pompösen Bühnenbild von Johan Engels mit dem Heiland als Kulisse für unheilvolle Vorgänge findet eine Interpretation des Stücks auf szenischer Seite schlichtweg nicht statt.

Da kann Wolfgang Koch, der die riesige Titelpartie mit kolossaler Präsenz bewältigt, sich noch so sehr in selbstlose Anteilnahme und grüblerische Selbstkritik versenken, kann Kurt Streit als Albrecht von Brandenburg noch so eindringlich mit gestemmten Höhenlagen die Flucht nach vorne antreten und die Verzweiflung seiner Figur händeringend untermauern, kann der grandiose Franz Grundheber als Riedinger noch so geschliffen deklamieren. Insbesondere mit den beiden gutherzigen, tadellos besetzten Frauengestalten (Manuela Uhl als Ursula und Katerina Tretyakova als Regina), denen die Regie nichts weiter abverlangt als Tugend und Schönheit, kommt es zu Szenen wie aus dem Bilderbuch, die ins unfreiwillig Komische kippen, zumal sich Warner in der Regel auf schlichte Verdoppelungen des im Text Gesagten und von der Musik Unterstrichenen beschränkt.

Akkurat, doch ohne erkennbaren Interpretationsansatz leitet auch der effektsichere Bertrand de Billy die Wiener Symphoniker: mit klaren Linien, straffen Rhythmen, vielleicht einem Quentchen zu viel expressivem Pathos. Durch die schiere Ausdehnung des Stücks, die Beschränktheit des musikalischen Materials und die vom Komponisten breitgetretenen, immergleichen Muster und Melodien wäre jedoch hier Monotonie ohnehin kaum zu vermeiden.

Insofern fügte sich eine weitere Premiere in der Vorwoche gut hinzu, die ebenfalls vom Theater an der Wien verantwortet wurde. Denn seit dieser Saison bespielt die Leitung dieses Hauses auch die Wiener Kammeroper, die zuvor in Finanznöte geraten war. Dass diese Institution als Veranstalterin eines grossen Sängerwettbewerbs auch verstärkt die Förderung des Nachwuchses im Auge hatte, lebt hier nun in anderer Weise fort.

«Junges Ensemble» nennen sich die sieben Sängerinnen und Sänger, die in dieser Spielzeit fünf Produktionen wie Händels «Orlando» oder Puccinis «Bohème» bestreiten, sich in Porträtkonzerten vorstellen und fallweise – wie auch beim «Mathis» – kleinere Rollen im Stammhaus am Naschmarkt bestreiten. Während dort für dieses Jahr kein zeitgenössisches Werk vorgesehen ist, wurde der kleinere Rahmen hinter einer unscheinbaren Fassade in der Innenstadt immerhin für eine Uraufführung auserkoren. Sie musste freilich mit äusserst geringen Mitteln auskommen.

Doch überwog bei «Verkehr mit Gespenstern», einem «Kammer-Musiktheater» von Hans-Jürgen von Bose, der Besetzungsaufwand bei weitem noch die musikalische Substanz und die inhaltliche Tragfähigkeit. Die Textmontage des Komponisten, der von sich selber sagt, er gehe lieber in ein Musical von Lloyd Webber als in ein Konzert mit Musik von Helmut Lachenmann, verarbeitet Bruchstücke von Franz Kafka zu einem sprunghaften Konglomerat zwischen körperlichen Befindlichkeiten und alltagsphilosophisch kreisenden Gedanken. Diese werden von einem Countertenor (Tim Severloh) und einem Bariton (Falko Hönisch) sowie einem Akkordeonisten (Martin Veszelovicz) und einem Cellisten (Luis Zorita) unaufhörlich repetiert.

Musikalisch dürftig

Alle vier, in der Regie und der Ausstattung von Peter Pawlik mit Mantel, Hut, Anzug und Krawatte wie Kafka gekleidet, wechseln zwischen Monologen und Interaktionen. In Ansätzen findet die Inszenierung dabei in surrealen Situationen und absurden Auseinandersetzungen zu an sich funktionsfähigen Bildern, die sich mit den dazu erzeugten Klängen jedoch kaum verbinden. Denn wirklich dürftig ist das Stück durch seine Musik, die sich mit einem bunten Nebeneinander divergierender Stile begnügt. Sperrige atonale Intervallsprünge der Singstimmen wechseln mit klagenden Kantilenen, bei den Instrumenten steht eine neoromantische Klangsprache unvermittelt neben Evokationen der Musik von Johann Sebastian Bach und aus der jüngeren Musikgeschichte entlehnten Verfremdungseffekten, die wohl dem Ausdruck der Beklemmung dienen sollen. Aufgegangen ist diese Rechnung nicht: Das Stück bietet kaum mehr als 70 pausenlose, aber auch weitgehend spannungslose Minuten.