Nürnberg
In der Promi-Hölle mit Michael Jackson

Umstritten: Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" am Staatstheater Nürnberg

12.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:50 Uhr

In der Hölle: Eurydike (Leah Gordon) geht Adolf Hitler alias John Styx (Richard Kindley) an die Wäsche - Foto: Olah

Nürnberg (DK) Am Ende liefern sich Teile des Publikums einen Wettstreit zwischen Buh- und Bravo-Rufen, als hätte gerade ein Regieberserker ein Opernheiligtum geschändet. Dabei geht es nur um Jacques Offenbachs französisch-luftige Orpheus-Persiflage, die Regisseurin Laura Scozzi am Staatstheater Nürnberg mit treffsicherem, bisweilen deftigem Humor in ein deutsches Lustspiel verwandelt hat.

Erster Treffer – das Bühnenbild: eine mehrstöckige Immobilie, von der zu Beginn Eurydikes Friseursalon und das Sozialamt im Erdgeschoss sowie zwei Wohneinheiten im ersten Stock zu sehen sind. Während Eurydike in ihrem ersten Chanson das Los beklagt, mit dem Geigenvirtuosen und Langweiler Orpheus verheiratet zu sein, vergnügt sie sich mit dem als Schäfer Aristeus getarnten Todesgott Pluto; gleichzeitig geht zwei Türen weiter der im außerehelichen Verkehr aufblühende Berufsmusiker mit einer Nachbarin zur Sache, nicht ohne seiner Gattin vorher die tödliche Schlangenfalle gestellt zu haben.

Der Aufzug des Mietshauses verbindet in der Folge dieses Szenario mit der Ober- und der Unterwelt. Dabei entpuppt sich der siebte Himmels-Stock als geriatrische Einrichtung, in der die Götter ganz schön alt aussehen. Auf Krücken und Rollatoren, in Rollstühlen und auf Krankenbetten machen sie noch einmal gegen ihren Boss Jupiter mobil – einem Wotan im Pyjama, der sich statt auf einen Speer auf seinen Infusionsständer stützt. Der soll sie endlich mit seinem Nektar und Ambrosia verschonen und stattdessen für verjüngende Action sorgen. Gerade recht kommt da der Disput um die von Pluto in die Unterwelt entführte Coiffeuse, um deren Rückkehr sich widerwillig auch Orpheus bemüht, angestachelt von der „öffentlichen Meinung“, die – zweiter Treffer – zu Beginn des Stücks lautstark im Publikum Platz genommen hat.

Die Unterwelt entpuppt sich dann im zweiten Akt als Promi-Hölle, in der Michael Jackson und Pina Bausch, Amy Winehouse und George Harrison, Marylin Monroe und Andy Warhol ihr Nachleben fristen. Als Servicepersonal gehen ihnen Stalin, Gaddafi und Bin Laden zur Hand, Eurydike hat als Aufpasser gar Adolf Hitler alias John Styx zugeordnet bekommen. Vielleicht sind es diese leicht gespenstischen Szenen, die den Unmut erregten, vielleicht auch das göttliche Partyvolk, das, animiert von Hasch und Koks, kopulierend übereinander herfällt und den bacchantischen Can-Can anstimmt. Dass es Laura Scozzi hier offenbar um die Parallelität zum irdisch-mechanistischen Stellungswechsel-Beischlaf der ersten Szene geht, wird nicht ganz klar.

Mindestens einen Treffer landet die Spezialistin fürs leichte Fach aber noch: Wie sie das Problem der Größenverhältnisse in jener Szene per Videoprojektion löst, in der Jupiter sich in Gestalt einer Fliege höchstselbst an Eurydike heranmacht, ist großes Bühnenhandwerk.

Der Witz, den die Szenerie in den gesprochenen Passagen dank guten Timings und manch vorhersehbarer Pointe zum Trotz annimmt, wird musikalisch leider nicht hörbar. Von den Zwischenakten abgesehen (vor dem zweiten Bild mit einer köstlichen Pantomime bebildert) ist Gábor Kális Dirigat rhythmisch und artikulatorisch zu wenig akzentuiert und in der Dynamik zu pauschal, um den feinsinnigen, oft wortbezogenen Humor von Offenbachs Nummern zu offenbaren. Bis auf Tilman Lichdis textgenauen Pluto und einige ausgezeichnet besetzte Nebenrollen gilt Letzteres leider auch für die Mehrzahl der Sänger, die über weite Strecken am Sinn der deutschen Gesangstexte zweifeln lassen: Orpheus in der Übertitelwelt.