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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen von Richard Wagner
Dichtung vom Komponisten

Aufführungsdauer: ca.  5 Stunden  (2 Pausen)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg am 21. Oktober 2012

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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Tobende Leidenschaften

Von Bernd Stopka / Fotos von Ludwig Olah

Leidenschaftlich, schwelgerisch, schmachtend, drängend, anrührend, erschütternd, aufwühlend… Es gibt nicht genug Adjektive, die diese unbeschreibliche Musik beschreiben könnten – so wie sie Nürnbergs Generalmusikdirektor Marcus Bosch aus dem Orchestergraben hervorzaubert. Er stürzt das Publikum in einen rauschhaften Ozean von Klängen, in den man sich nur hineinreißen lassen und dem Erlebnis hingeben kann. Bosch schwelgt in der vollen Breite der Dynamik, greift mutig zu raschen Tempi und lässt Leidenschaften toben, wo Leidenschaften toben dürfen und sollen, lässt berühren und bewegen, wo emotionale Tiefen ausgelotet werden. Es gelingt ihm, die großen Bögen zu spannen, ohne dass etwas pauschal oder künstlich aufgebauscht klingt und er arbeitet auf anderen Ebenen wunderschöne Details heraus, lässt Orchesterstimmen aufblühen und führt alles zu einem großen Ganzen zusammen, bezwingend ehrlich, nie manieriert. Ganz einfach großartig. Das Orchester folgt seinem Dirigenten höchst engagiert, fast möchte man glauben mit sinnlicher Lust an diesen Klängen. Wagner selbst war sich des Potentials seiner Musik bewusst: „…nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen“. Das Publikum in Nürnberg war am Premierenabend besonders nach dem ersten Akt schier aus dem Häuschen…

Vergrößerung in neuem Fenster Kurwenal (Jochen Kupfer), Tristan (Vincent Wolfsteiner), Brangäne (Alexandra Petersamer), Isolde (Lioba Braun)

Und das nicht nur wegen der musikalischen Seite dieser Produktion. Monique Wagemakers hat mit ihrer Inszenierung genauso ins Schwarze getroffen und so wirkt die ganze Produktion wie aus einem Guss – Szene und Musik arbeiten kongenial miteinander. Wagemakers hat den Mut, die Geschichte so zu erzählen, wie sie in Libretto und Partitur zu finden ist. Kein wilder Aktionismus, keine Textprojektionen und keine erfundenen Nebenhandlungen überlagern das Geschehen. Es gibt einen Liebestrank in einer Schale, Königsschmuck und Königsmantel usw. Wir sehen im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg Tristan und Isolde von Richard Wagner – „von“, nicht „nach“. Und alles erschließt sich und kommt an, auch ohne Aktualisierung ins Hier und Heute. Der Zuschauer ist mündig und wird als selbst denkender Mensch ernst genommen, der das alles ins wahre Leben übertragen kann. Dafür ist nicht genug zu danken.

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Tristan (Vincent Wolfsteiner), Isolde (Lioba Braun)

Der Regisseurin große Kunst ist die Personenführung. Sie konzentriert sich ganz auf die Beziehungen der Personen zueinander, scheut keine Emotionalität und so wirkt das Geschehen bestechend echt und erschreckend lebensnah. Wenn Tristan und Isolde nach dem Liebestrank erst einmal ausgiebig die Leidenschaft besingen, ehe sie sich in die Arme fallen, kommt kurz die Befürchtung auf, es werde wieder einmal ein Tristan „ohne Anfassen“ (ein seit langen Jahren bestehendes Unterscheidungskriterium unter Wagner-Freunden). Doch keine Angst. Hier entsteht eine ganz starke Szene, denn in dem Moment, in dem beide aufeinander zustürmen wollen, werden sie von Brangäne und Kurwenal getrennt. Umso heftiger und leidenschaftlicher fallen die Umarmungen und Küsse  im zweiten Akt aus. Nach dem großen Liebesduett kuscheln sie sich in Löffelchenstellung ganz nah aneinander und wirken so vertraut, so einig, so verletzlich. Dieses Bild prägt sich ein und findet im dritten Akt eine zutiefst bewegende, ja grausame  Variation, wenn Isolde sich in gleicher Weise an den leblosen Tristan schmiegt und seinen toten Arm um ihre Schultern legt.

Vergrößerung in neuem Fenster Tristan (Vincent Wolfsteiner), Marke (Guido Jentjens)

Ebenso berührt es, wenn Marke sich nach seiner Klage, die ihn als Verletzten, Wütenden, Traurigen, Verzweifelten, Nichtverstehenden... zeigt, mit einer majestätischen, aber zärtlichen Stirn-zu-Stirn-Berührung von Tristan verabschiedet. Tristans Wut, mit der er den Freundschafts-Verräter Melot ergreift und schüttelt, wirkt so lebendig und echt. Dass Melot im ersten Akt kurz vor dem König auf dem Schiff erscheint und die Liebe von Tristan und Isolde dort gewahr wird, erscheint als reizvoller, logischer Aspekt, der die Figur aufwertet und interessanter macht. Dass Tristan sich nicht selbst in Melots Schwert stürzt, sondern Melot aktiv den sich ihm präsentierenden Tristan angreift (harakiriähnlich bauchaufschlitzend) nimmt der Situation dagegen mehr als es ihr gibt. 

Tristans psychische Dekompensation wird  ebenso intensiv dargestellt wie Kurwenals verzweifeltes Mitleiden, wenn er sich in gleicher Haltung wie der Sieche selbst auf dessen Krankenlager zusammenkauert. Isoldes Liebestod bekommt auch virtuell Visionscharakter, wenn sich der tote Tristan erhebt und Isolde zärtlich an sich drückt während beide selig lächelnd in die gleiche Ferne blicken. So ausgiebig hatten sie von der glücklichen Vereinigung im Tode gesungen – hier wird’s Ereignis.

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Kurwenal (Jochen Kupfer), Tristan (Vincent Wolfsteiner), Hirt (Martin Platz)

Dirk Becker hat abstrahierende, hochästhetische Bühnenbilder geschaffen, die sich unaufdringlich als dezente Kommentare der Handlung erschließen und aus drei Hauptelementen bestehen. Olaf Lundt hat sie sehr stimmungsvoll ausgeleuchtet.
Erster Akt: Eine mittig gelochte Scheibe aus drei weißen Ringen schwebt über der Szene und ihr gespiegeltes Pendant steht als Spielfläche auf der Bühne. Vor einem schwarzen Rundhorizont bewegt sich ein leuchtender bühnengroßer Ring und deutet das leichte Schwanken eines recht großen Schiffes an. Aus der Mittelöffnung ragt eine lange Stange. Ein umgeknickter Mast? Ein Steuerruder?
Zweiter Akt: Die untere Scheibe hat sich gedreht und bietet als eine Art Absatz eine zweite, etwas erhöhte Spielfläche. Eine kreisrunde Scheibe leuchtet zunächst als feurige Fackel und  senkt sich nach deren Erlöschen als blauer Mond in die nächtlich blau ausgeleuchtete Szene. Eine senkrecht stehende leuchtende Leiste umkreist langsam als Warte mit Brangäne das Bühnenrund.
Dritter Akt: Die oberen Ringe haben sich  verschoben, von den unteren Ringen ist nur ein zerbrochener übrig – ein Fragment ragt senkrecht in die Höhe. Auf dem Boden liegt Erde oder Laub, die Szene ist in herbstliches Licht getaucht. Am Schluss hebt sich der leuchtende Halbkreis aus dem ersten Akt langsam gleichmäßig, jetzt gelb leuchtend, in die Höhe.

Vieles erinnert hier – wie auch im Frankfurter Ring – stark an die fünfziger Jahre, aber es geht nicht darum, das Neubayreuth Wieland und Wolfgang Wagners wieder zu beleben. Es scheint eine Bewegung zu geben, die eine Weiterentwicklung jenes Inszenierungsstils auf einem anderen Weg versucht, als auf dem, der uns zum modernen Regietheater geführt hat. Das verspricht viel – und wird spannend!

Vergrößerung in neuem FensterKurwenal (Jochen Kupfer), Tristan (Vincent Wolfsteiner), Isolde (Lioba Braun)

Am musikalischen Sternenhimmel, den der Dirigent heraufbeschwört, leuchtet ein Stern ganz besonders hell: Alexandra Petersamer ist eine wundervolle Brangäne. Ihr klangschöner,  gleichmäßig durchgeformter Mezzosopran verfügt über ein sattes stimmliches Fundament (man vermutet, dass sie nach oben und unten jeweils noch mindestens eine halbe Oktave zur Verfügung hätte) und eine ausgefeilte Technik, die ihren Gesang ganz selbstverständlich und unangestrengt klingen lässt. Auf dieser Basis kann sie interpretatorisch aus dem Vollen schöpfen und tut dies mit Leidenschaft. Die Stimme blüht üppig in unzähligen Farben und Schattierungen. Selten hört man die Wacht-Rufe so eindringlich gesungen – und so genau intoniert! Man kann die Brangäne anders singen – aber nicht besser.
Vincent Wolfsteiner ist ein jugendlich-stürmischer, szenisch und stimmlich draufgängerischer Tristan. Er stürzt sich in die Partie ohne Schonung, hat wunderschön strahlende Töne, aber auch immer wieder eine instabile Intonation. Im zweiten Akt des Premierenabends stellte sich dann doch die Frage, ob er sich nicht zu früh an den Tristan gewagt hat. Eine Ansage vor dem dritten Akt konnte einiges erklären: Er war durch eine Indisposition angeschlagen – sang dann aber dennoch einen fulminanten 3. Akt mit grandiosen Höhen, stabiler Tongebung und eindringlicher Interpretation. Das lässt hoffen und erwarten, dass er mit zunehmender Erfahrung in der Partie – und gesund – an seinen großen Erfolg als Siegmund in Hannover anknüpfen kann.

Tristan (Vincent Wolfsteiner) und Isolde (Lioba Braun)

Lioba Braun hat ihre Karriere als Mezzosopran begonnen und steht in Nürnberg erstmals szenisch als Isolde auf der Bühne. Sie ist nicht die erste Mezzospranistin, die nach der Brangäne die Isolde singt. Für diese mörderische Partie sind das dunkle Timbre und die satte Tiefe und Mittellage gute Voraussetzungen und klingen auch bei ihr sehr schön. In der Höhe bedient sie sich eines starken Vibratos und die Spitzentöne im Liebesduett hat sie (vielleicht „noch“) nicht. Sie  singt hochkonzentriert und stets gut kontrolliert, vielleicht springt deshalb der letzte Funke nicht über. Die wilden Leidenschaften überlässt sie Tristan. Ihrer Stimme liegt die Verdeutlichung des Leidens am Schicksal mehr als die rachelüsternen Wutausbrüche und die wild-sinnlichen Liebesschwüre. Mit schlankem, aber doch volltönendem Bariton macht Jochen Kupfer auch stimmlich sehr prägnant und stimmschön deutlich, dass Kurwenal seinem Herrn ein starker Halt mit sensiblem Kern ist. Guido Jentjens ist mit seinem kultivierten Bass ein anrührender Marke, der sowohl die verletzte Zuneigung als auch den verletzten Stolz des betrogenen Königs zum Klingen bringt. Hans Kittelmann überzeugt mit hellen, geradezu stechenden Tönen in der undankbaren Rolle des Melot und Martin Platz verströmt als junger Seemann und Hirt mit angenehm leichtem Tenor Wohlklang. Mit Sébastien Parotte als solidem Steuermann ist das Ensemble komplett, das vor allem in den Nebenrollen sehr gut aufeinander abgestimmt ist.



FAZIT


Eine ungeheuer spannungsreiche, lebendige Inszenierung, die die Geschichte librettogetreu in hochästhetischen abstrahierenden Bildern mit viel Leidenschaft erzählt, ein phänomenales, mitreißendes Dirigat, das die Leidenschaften kongenial zur Bühne toben lässt und eine Brangäne zum Niederknien. Nicht entgehen lassen!
Weitere Aufführungen am 28. Oktober 2012, am 1. und 17. November 2012, am 2., 15., 23. und 30. Dezember 2012 sowie am 12. und 20. Januar 2013.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Monique Wagemakers

Bühne
Dirk Becker

Kostüme
Gabriele Heimann

Chor
Tarmo Vaask

Licht
Olaf Lundt

Dramaturgie
Sonja Westerbeck


Staatsphilharmonie
Nürnberg

Chor, Extrachor und
Statisterie des
Staatstheaters Nürnberg


Solisten

Tristan
Vincent Wolfsteiner

König Marke
Guido Jentjens

Isolde
Lioba Braun

Kurwenal
Jochen Kupfer

Melot
Hans Kittelmann

Brangäne
Alexandra Petersamer

Ein Hirt/
Ein junger Seemann
Martin Platz

Steuermann
Sébastien Parotte




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)




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